Deutschland gewährt Aufschub
Aufatmen für Verkehrsminister Moritz Leuenberger: Berlin setzt die zum 10. Juli geplanten verschärften Auflagen für Anflüge nach Zürich-Kloten bis zum 30. Oktober aus.
Dafür wird Bern vom 30. Oktober an die Anflüge vom Süden her sicherstellen.
Zwei Wochen vor in Kraft treten der nächsten Stufe deutscher Einschränkungen für die Anflüge zum Schweizer Airport Zürich-Kloten haben sich der deutsche Verkehrsminister Manfred Stolpe und Bundesrat Moritz Leuenberger auf eine Übergangslösung geeinigt.
Nach einem Gespräch in Bonn erklärten sie am Donnerstag, die Schweiz werde bis zum 30. Oktober die Zürich-Anflüge von Süden her sicherstellen. Dies entlastet deutsche Anrainer. Im Gegenzug setzt Berlin die zum 10. Juli geplanten Verschärfungen bis 30. Oktober aus. Bis dahin wird die Schweiz die technischen Voraussetzungen für normale Anflüge auf Zürich von Süden her schaffen.
Ursprünglich wollte Berlin die Überflugverbote über Süddeutschland nachts und an Wochenenden ab 10. Juli verschärfen und Übertretungen der Sperrzeiten nur noch bei Schlechtwetter hinnehmen. Grossraum-Flugzeuge hätten in Randzeiten nach Basel umgeleitet werden müssen.
Der Preis
Allerdings bezahlt die Schweiz auch einen Preis: Sie muss bis Februar 2005 zwei Warteräume für den Zürcher Flughafen über Deutschland aufgeben. Insgesamt gibt es drei dieser Warteräume über Süddeutschland.
Ferner umfasst die Einigung den Willen, einen Staatsvertrag über eine deutsche Beteiligung an der Schweizer Flugsicherung Skyguide abzuschliessen. Dessen Einzelheiten müssen noch verhandelt werden.
Provisorische Lösung
Stolpe sagte an der Pressekonferenz in Bonn, die Lärmbelästigung für Anwohner in Baden-Württemberg werde sich durch die neue Regelung mit mehr Süd-Anflügen verbessern. «Ich gehe davon aus, dass auch Baden-Württemberg diese Regelung mittragen wird.»
Leuenberger sprach von einer «provisorischen Lösung». Bei der Lärmverteilung gebe es weiter noch keine definitive Regelung. Hier wirke sich auch negativ aus, dass sich die Nachbarregionen «mit Misstrauen» begegneten, sagte er. «Das Schlechteste konnte abgewendet werden, aber weitere Arbeit liegt vor uns.»
Leuenberger erklärte weiter, der Durchbruch sei möglich geworden, weil die Schweizer Behörden vor zwei Tagen die Bewilligungen für den Südanflug auf Zürich gegeben hätten. Er sei froh über die erreichte Lösung, weil der Flughafen so seinen Betrieb weiterführen könne.
Ein vorzeitiger Tod der Fluggesellschaft Swiss und des Flughafens Kloten sei abgewendet, bekräftigte Leuenberger nach seinen Verhandlungen in Bonn vor den Medien in Bern. Deutschland wolle die Swiss und Kloten «nicht erledigen».
In Bonn sagte Stolpe, unabhängig von der getroffenen Übergangslösung halte die deutsche Seite an ihren verhängten Beschränkungen für Nord-Anflüge nach Zürich über deutsches Gebiet fest. Berlin hatte die Auflagen am 17. April verfügt, nachdem das Schweizer Parlament den ausgehandelten Fluglärm-Staatsvertrag abgelehnt hatte.
Unique begrüsst Übergangslösung
Die Betriebsgesellschaft des Zürcher Flughafens, Unique, hat den Aufschub der verschärften deutschen Anflugbeschränkungen begrüsst. Dadurch sei das Schlimmste abgewendet, die Grundsatzprobleme seien aber noch nicht gelöst, sagte Unique-Sprecher Jörn Wagenbach.
Dank des Aufschubes könne Unique den Kunden weiterhin einen offenen Flughafen bieten. Der Preis dafür sei aber sehr hoch, nämlich «die Diskriminierung der Schweizer Bevölkerung durch mehr Fluglärm», wie Wagenbach sagte.
Unique hält an Nordanflügen fest und sieht in Süd- und Ostanflügen nur Übergangslösungen. Das Grundsatzproblem sei deshalb trotz des Aufschubs nicht gelöst.
Swiss erleichtert
Die Fluggesellschaft Swiss hat mit Erleichterung auf die Übergangslösung reagiert. Die drastischen Auswirkungen auf den Flugbetrieb der Swiss könnten dadurch vorderhand abgewendet werden, hiess es bei der Swiss.
Der Flughafen und der Kanton Zürich hätten nun mehr Zeit, um sich auf Alternativen für die Nordanflüge einzustellen.
Skyguide erfreut
Die Schweizer Flugsicherung Skyguide hat sich erfreut gezeigt über das Verhandlungsergebnis. Grundsätzlich ändere sich aber für die Flugsicherung nicht viel, sagte ein Sprecher. In der täglichen Arbeit sei Skyguide vom Entscheid nicht betroffen. Der Fahrplan für die Südanflüge bleibe so wie geplant.
Die Schweizer Regierungsparteien nehmen den Aufschub der einseitigen Massnahmen im Fluglärmstreit unterschiedlich zur Kenntnis. Alle betonen sie aber, dass der Aufschub die Probleme nicht löse.
Betroffene Südgemeinden kritisieren Einigung
Die von den Südanflügen betroffenen Gemeinden haben die Verschiebung der Einschränkung kritisiert. Der Süden sei als Bauernopfer für die wirtschaftlichen Interessen von Unique geopfert worden, sagte Richard Hirt, Präsident des Fluglärmforums Süd, im Schweizer Radio DRS.
Für die Bürgerinitiative Fluglärmsolidarität bringt die Einigung nur einen Aufschub. Gehofft wird, dass in der Zeit bis Ende Oktober ein besseres Verfahren für alle Beteiligten gefunden wird.
Auch der Zürcher Stadtpräsident Elmar Ledergerber ist enttäuscht über das vereinbarte Vorgehen zwischen der Schweiz und Deutschland im Fluglärmstreit. Als Grund gibt er das Weiterbestehen der Südanflüge an.
«Wer meint, Südanflüge seien die Lösung, irrt. Die Zürcher Bevölkerung wird dies nie akzeptieren», sagte Ledergerber.
Dagegen hat der Kanton Zürich mit Erleichterung auf den Aufschub der verschärften deutschen Massnahmen reagiert. Damit sei die Zukunft des schweizerischen Luftverkehrssystems nicht mehr unmittelbar durch dramatisch verschärfte Rahmenbedingungen gefährdet, teilte der Zürcher Regierungsrat mit.
swissinfo und Agenturen
Einseitige Verordnung:
Seit 14. April gilt über Süd-Deutschland:
Keine Anflüge mehr von 6 bis 7 Uhr und von 21 bis 22 Uhr.
Alle minimalen Flughöhen werden um 600 Meter erhöht.
Das Nachtflugverbot an Wochenenden zwischen 9 und 20 Uhr bleibt bestehen.
Ab 10. Juli hätten auch die Ausnahmeregelungen während den Sperrzeiten eingeschränkt werden sollen.
Die Schweiz hält trotz der mit Deutschland erzielten Einigung die Klage bei der EU-Kommission in Brüssel aufrecht. Die Klage hatte die Schweiz Anfang Mai angestrengt. Ein Verhandlungstermin steht noch nicht fest. Die Schweiz hatte in Brüssel gegen allfällige Diskriminierungen geklagt.
Der Kompromiss von Berlin kommt nicht vors Parlament: Die Übergangslösung mit Deutschland sei in Form einer sogenannten Protokollnotiz erfolgt, hiess es im Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK). Auch eine Neuauflage des Mitte März vom Parlament begrabenen Staatsvertrags komme nicht in Frage.
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