Das steckt hinter der Fake News über die Schweiz als Zuwanderungs-Eldorado
Auf den digitalen Kanälen zirkuliert die Falschinformation, wonach die Schweiz so sehr unter dem Arbeitskräftemangel leidet, dass sie massiv Arbeitskräfte im Ausland rekrutieren müsse. RTS hat versucht, den Ursprung dieser Fake News zu rekonstruieren.
Die Information kursiert seit einigen Wochen in den sozialen Netzwerken: Die Schweiz sehe sich mit einem gravierenden Arbeitskräftemangel konfrontiert, der sie zwinge, 85’000 ausländische Arbeitskräfte ohne Diplom zu rekrutieren. Der Verdienst betrage zwischen 3500 und 6500 Euro.
Diese Nachricht wurde von Influencer:innen und der Boulevardpresse aufgegriffen und im Internet massenhaft geteilt. Sie erscheint auf Online-Portalen in vielerlei Ländern, von Deutschland über Frankreich und Belgien bis nach Tunesien. Sie ist ein perfektes Beispiel dafür, wie eine Fake News viral geht.
Es sind alle Zutaten vorhanden, um Klicks zu erzeugen: verlockende Gehälter, der Ruf eines Eldorados, der an der Schweiz haftet, und Postkartenmotive, das Ganze aufgebauscht in einem Kontext wirtschaftlicher Spannungen.
Bundesstellen dementieren
Eine Nachfrage beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) ergibt: Von den zuständigen Stellen beim Bund stammt die Zahl der 85’000 gesuchten Arbeitskräfte nicht. «Das Seco ist nicht in der Lage, die Herkunft dieser Daten zu bestimmen», sagt Seco-Sprecher Fabian Maienfisch. «Nach unseren Recherchen stammen sie weder von unseren Diensten noch vom Bundesamt für Statistik. Wir empfehlen grösste Vorsicht bei der Interpretation dieser Zahlen.»
Gemäss den Recherchen vom Westschweizer Radio und Fernsehen (RTS) taucht diese Falschinformation seit 2022 regelmässig wieder auf. Die Quellen werden nie genannt und die Informationen sind oft fehler- oder lückenhaft. Einige Publikationen sprechen zum Beispiel von einem «Gesetz», das die Schweiz dringend erlassen habe, um diese 85’000 Arbeitskräfte zu rekrutieren.
Andere Informationen erweisen sich als zutreffend: zum Beispiel, dass die Gesundheitsbranche oder das Gastgewerbe Mühe haben, Personal zu rekrutieren. Auch die erwähnten Gehälter sind real.
«Auf den ersten Blick können diese Informationen glaubwürdig erscheinen, zumal oft ein Teil davon wahr ist», betont Patrick Haack, Professor für Strategie und verantwortungsvolles Management an der Universität Lausanne. «Die Emotionen, die mit solchen Fake News mitschwingen, verbunden mit ihrer Plausibilität, fördern die Viralität. Resultat: Die Information taucht immer wieder auf.»
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Aus dem Kontext gerissen
Auf der Suche nach dem Ursprung der Zahl von 85’000 stösst RTS auf einen Artikel der Zeitung «Blick» aus dem Jahr 2022. Darin wird diese Zahl in Zusammenhang mit der Vermittlungsagentur Dynajobs erwähnt. Es handelt sich um ein Aargauer Unternehmen, das sich als aktiv in der Rekrutierungshilfe und Ausbildung bezeichnet. Die Expertise des Unternehmens bleibt schwer zu ermitteln: Auf seiner Internetseite wird kein einziger Kunde erwähnt.
Im Januar 2022 veröffentlicht der Direktor von Dynajobs eine Analyse des Arbeitsmarkts nach der Corona-Krise. Darin schätzt er, dass in der Schweiz rund 85’000 Fachkräften fehlen, um das Wachstumsniveau von vor der Krise zu erreichen. Woher der Direktor diese Zahl hat, bleibt offen. Aber immerhin: Es gibt eine Quelle für sie. Nur wurde sie völlig aus ihrem ursprünglichen Kontext gerissen.
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