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Die Kunst des Loslassen-Könnens

Alfred Hiestand, Ex-CEO und Gründer der Hiestand Holding, beginnt inzwischen neu. Keystone

Unternehmen, die in den 60er- und 70er-Jahren gegründet worden sind, wechseln langsam die Hand. Die Kunst des Loslassen-Könnens beherrschen nur wenige der Gründer.

Es gibt verschiedene Arten, das Zepter aus der Hand zu geben.

In den 60er- und 70er-Jahren waren in der Schweiz sehr viele Unternehmen gegründet worden. Die Generation der Firmengründer erreichte inzwischen grösstenteils das Pensionierungsalter und muss sich nun Gedanken machen über das weitere Schicksal ihres Unternehmens.

Wie der Steuermann von Bord geht, ist eine Stilfrage. Hier der Versuch einer Typisierung:

Der Unermüdliche

Der Unermüdliche lebt nach der Devise: “Einmal Unternehmer, immer Unternehmer”. Nach dem Rückzug aus dem eigenen Geschäft erwacht der Drang nach einer neuen beruflichen Tätigkeit wieder.

Dies kann sich in einer Zweitgründung oder in aktiven oder passiven Engagements in anderen Unternehmen äussern.

Walter Fust gehört zu diesen Unverwüstlichen. 1994 gab der 61-Jährige seine Handelskette Dipl. Ing. Fust unter die Fittiche des Jelmoli-Konzerns.

Er habe in seiner Familie keinen Nachfolger gefunden, begründete Fust den Verkauf. Im Gegenzug beteiligte er sich mit acht Prozent an Jelmoli.

Zwei Jahre später griff Walter Fust erneut zu. Nach einigen Turbulenzen verkaufte die Basler UTC ihre Jelmoli-Mehrheit an Fust.

Im Februar 2003 verkaufte dieser seine Mehrheit an die Pelham Investments, blieb aber einer der Hauptaktionäre. Im Mai veräusserte Fust weitere Aktien an die Pelham. Inzwischen hält Fust wieder rund acht Prozent der Jelmoli-Aktien.

Auch der Vater des Frischbackgipfelis, Alfred Hiestand (60), und Crossair-Gründer Moritz Suter (60) können es nicht lassen.

Suter, der vor knapp 30 Jahren ein Lufttaxi-Unternehmen gegründet hatte, die nachmalige Crossair, ist wieder unter die Neuunternehmer gegangen. Ab Ende Oktober will er mit einer neuen Fluggesellschaft die Strecke von Lugano-Agno nach Genf fliegen.

Hiestand verkaufte Anfang Juli 2003 sein Aktienpaket an der von ihm vor 36 Jahren gegründeten Hiestand AG bis auf drei Prozent. Im Oktober 2001 war er als Konzernchef mehr oder weniger freiwillig zurückgetreten.

Nun will er mit tiefgekühlten Torten und Desserts die Konditoreien revolutionieren. Die Firmen dazu hat er schon gegründet.

Der Maximierer

Ein anderer Typ ist der Maximierer. Er will am Abgang möglichst viel verdienen. Der Verkauf des Unternehmens ist dazu der einfachste Weg.

Als Käufer treten bei KMU (Kleine und mittlere Unternehmen) meist befreundete oder konkurrierende Lieferanten oder Kunden auf. Bei Grossunternehmen sind es professionelle Investoren.

Der Vorteil des Verkaufs an den Meistbietenden liegt auf der Hand: Der Unternehmer macht sofort richtig Kasse und ist weitere Sorgen los.

So verkaufte Disetronic-Gründer Willy Michel (56) vor einigen Monaten seine Beteiligung äusserst lukrativ an den Roche-Konzern.

Der Patron mit sozialem Gewissen

Finanziell meist weniger lukrativ ist ein Management-Buy-Out, bei dem Kaderangestellte die Firma kaufen. Der Vorteil liegt in der Kontinuität: Lieferanten, Kunden und Mitarbeiter wissen in der Regel, was auf sie zukommt.

Das Modehaus Schild ging kürzlich diesen Weg. In der Familie des 74-jährigen Peter Schild hatte sich kein Nachfolger gefunden.

Nach Abwägung finanzieller und sozialer Aspekte habe man sich für die finanziell zwar nicht interessanteste, aber die nachhaltigste Offerte mit der Sicherung der Arbeitsplätze entschieden, hiess es.

Der Patriarch

Der Patriarch sucht eine familieninterne Lösung. Voraussetzung ist, dass eine Tochter oder ein Sohn willens und fähig ist, das Unternehmen weiterzuführen.

Nicolas Hayek (75) ist dies mit seinem Sohn Nick (49) gelungen. Den Ausstieg aus dem operativen Geschäft hat der Senior bereits vor zwei Jahren angekündigt.

Seit Anfang Jahr ist der Junior Konzernchef. Vater Nicolas kontrolliert das Geschäftsverhalten aber weiterhin als aktiver Verwaltungsratspräsident.

Ems-Chemie-Chef Christoph Blocher (63) plant einen ähnlichen Abgang. Auch er ermöglicht seiner ältesten Tochter Magdalena Martullo und seinem Sohn Markus erste eigenständige Gehversuche im väterlichen Konzern, bevor er das Zepter aus der Hand geben will.

Seit zwei Jahren ist die 34-jährige Magdalena Vizepräsidentin der Ems Chemie Holding. Ihr jüngerer Bruder Markus leitet das Projekt zur Veränderung der Kapitalstruktur. Wer das Rennen um die Unternehmensleitung schliesslich gewinnen wird, ist noch offen. Es lebe der Wettbewerb!

Der souveräne Aussteiger

Souverän ist der Berner Warenhauschef François Loeb zurückgetreten. Er, der zuvor auch als Nationalrat stets die Öffentlichkeit suchte, ist inzwischen vor allem im Kulturbereich tätig und widmet sich seiner Gemäldesammlung.

Der 63-jährige Loeb gab auf Anfang 2003 seine Verwaltungsratspräsidien bei der Loeb AG, der Loeb Holding und Bayard/Wartmann, Krompolz an seine beiden Kinder sowie an Rolf Portmann (Holding) ab. Als “einfacher” Verwaltungsrat will er noch zwei Jahre bei der Loeb AG aktiv sein.

Bereits 1996 habe er mit der räumlichen Trennung seines Büros vom Hauptgeschäft schrittweise die Nachfolge eingeläutet, sagt Loeb. Tochter Nicole (Jahrgang 1967) wurde 1999 Modechefin bei Loeb, Sohn Mark (1971) trat 2001 als Controller in die Firma ein.

Der Verlierer

Liquidation als ultimo ratio. Die Gründe warum sich kein Übernehmer finden lässt, können vielfältig sein: Unrealistische Preisvorstellungen des Patrons, nicht bilanzierte und schwer abschätzbare latente Risiken oder wirtschaftliche Schwierigkeiten. In den meisten fällen droht dann die Liquidation.

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