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Gewerkschaften und Gewerbe: Streit um Steuerreform

Die Sozialwerke werden unter der Steuerreform leiden, befürchtet SGB-Präsident Paul Rechsteiner. Keystone

Ein Schritt in die richtige Richtung oder Gefahr für die Sozialwerke? Der Gewerbeverband und die Gewerkschaften machen mobil für und gegen die Unternehmenssteuerreform.

Während die Gewerkschaften vor massiven Einnahmenausfällen für AHV und IV warnen, wirft das Gewerbe den Gegnern vor, “bösartige Falschdarstellungen” zu verbreiten.

Rund 300 bis 400 Mio. Franken pro Jahr würden der AHV, der IV und der Arbeitslosenversicherung entgehen, sollte in der Volksabstimmung vom 24. Februar die Unternehmenssteuerreform II angenommen werden. Davor warnt der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) aufgrund eigener Berechnungen.

Dies seien drei bis vier Mal mehr, als Finanzminister Rudolf Merz öffentlich zugebe, sagte SGB-Chefökonom Daniel Lampart.

In der Botschaft des Bundesrates von 2005 habe es geheissen, dass bei einem Dividenden-Teilbesteuerungssatz von 70% die AHV-Finanzierung gefährdet wäre. Doch das Parlament habe 60% beschlossen. Bundesrat Merz bemühe sich nun, die Zahlen aus der Bundesverwaltung herunterzureden.

Finanzminister Merz hatte demgegenüber vergangene Woche von kurzfristigen Mindereinkommen von bis zu 130 Millionen für die AHV gesprochen. Diese würden durch von der Reformvorlage ausgelöste Wachstumsimpulse jedoch langfristig kompensiert, heisst es im Finanzdepartement.

Etikettenschwindel?

Würden Dividenden gegenüber Lohnbezügen steuerlich bevorzugt, würden Aktionäre ihre Bezüge künftig vermehrt über Dividenden statt über den Lohn fliessen lassen, erklärte SGB-Präsident Paul Rechsteiner.

Seit Bundesrat Hans-Rudolf Merz Finanzminister sei, verfolge seine Steuerpolitik nur ein einziges Ziel, und zwar Steuervorteile für die Reichen und Mehrbelastungen für die unteren und mittleren Einkommen. Diese hätten am Schluss die Zeche zu bezahlen.

Rechsteiner bezeichnete den Begriff “Unternehmenssteuerreform” als Etikettenschwindel. Es gehe nämlich nicht um die Unternehmen, sondern um Geschenke an die Grossaktionäre.

Rekordtiefe Steuern?

Die Schweiz habe gegenüber vergleichbaren Ländern bereits heute rekordtiefe Steuern. Dazu komme, dass private Kapitalgewinne in nahezu allen Ländern in Europa im Gegensatz zur Schweiz versteuert werden müssten.

Für die Unternehmen seien die Steuern deshalb – im Gegensatz zu mancher Schweizer Familie – kein Problem, wie eine Untersuchung der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich zeige.

“Bösartige Falschdarstellung”

“Sozialistische Demagogen” reduzierten die Vorlage auf einen einzigen Punkt, nämlich die Besteuerung der Dividenden, bedauerte dagegen der Schweizerische Gewerbeverband (SGV). Dies gehe schlicht nicht an. “Das ist nichts anderes als eine bösartige Falschdarstellung”, sagte SGV-Präsident Edi Engelberger.

Die Vorlage umfasse ja insgesamt zehn Massnahmen. Sieben davon erleichterten das Leben der Personengesellschaften, die 56% der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) stellten. Mit der Unternehmenssteuer II werde es etwa für junge Firmen einfacher, Investoren zu finden.

Die Unternehmenssteuer II bringe den KMU massive Erleichterungen im Überlebenskampf. Die “linken Propagandisten” verschwiegen jedoch hartnäckig, dass vor allem die KMU von der Reform profitierten. Die Warnung des SGB, die Unternehmenssteuer II schwäche die AHV, bezeichne Engelberger als “diffamierende Unterstellung”.

Die Unternehmenssteuerreform II erfülle zwar längst nicht alle vom Gewerbeverband formulierten Anliegen, so der SGV-Präsident. Sie sei jedoch ein Schritt in die richtige Richtung. Die gröbsten Missstände des heutigen Systems würden zugunsten der KMU beseitigt.

swissinfo und Agenturen

Im Zentrum der Unternehmenssteuer-Reform steht gemäss der Schweizer Regierung die Milderung der wirtschaftlichen Doppelbelastung, namentlich von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) und ihrer Eigentümer.

So sollen bei Beteiligungen von mindestens 10% des Aktienkapitals die Dividenden nur noch teilbesteuert werden. Die Gegner der Vorlage stossen sich vor allem an dieser Steuererleichterung.

Das Paket enthält eine Reihe weiterer Massnahmen zur Entlastung von KMU. Sie zielen unter anderem darauf ab, Nachfolgeregelungen steuerlich einfacher und billiger zu machen.

Der Bundesrat, der die Reform unterstützt, beziffert die Ausfälle für den Fiskus mit rund 400 Mio. Franken pro Jahr. Die grössten Einbussen entfallen auf die Kantone. Dem Bund entgingen nur 56 Mio. Franken.

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