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“Kochen nach Vorschrift”

So zerlegt man nach paduanischem Rezept von 1600 ein Kaninchen. www.stub.unibe.ch

Eine sympathische Bücher- und Rezeptsammlung in der Stadt- und Universitäts-Bibliothek Bern zeigt die Entwicklung der Essgewohnheiten in den letzten fünf Jahrhunderten.

Weniger einfach zu erklären ist der stetig wachsende Erfolg der modernen Kochbücher.

Von Rezeptsammlungen der Kochkünstler aus der Renaissance zu Büchern über Diät und das Haltbarmachen von Lebensmitteln, von Kochbüchern der ersten Nahrungsmittel-Industrien zu kostbaren kulinarischen Werken der Gegenwart: Die Ausstellung “Kochen nach Vorschrift – Kochbücher aus fünf Jahrhunderten” in der Stadt-und Universitätsbibliothek Bern bietet mit dutzenden und dutzenden von gekonnt angeordneten Bänden ein interessantes Panorama über die Entwicklung der Essgewohnheiten in den letzten fünf Jahrhunderten.

“Rezepte kannte man natürlich schon vor der Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert”, erläutert Claudia Engler, die Kuratorin der Ausstellung. “Aber es handelte sich im wesentlichen um mündliche Kenntnisse, die von Mutter zu Tochter überliefert wurden. Oder um Notizen der grossen Gastronomen der damaligen Zeit, wie etwa von Marcus Gavius Apicius, des einzigen römischen Kochkünstlers, dessen Aufzeichnungen erhalten sind”.

Kochanleitungen für luxuriöse Bankette



In den Rezepten der Schrift von Apicius “De re coquinaria” im ersten Jahrhundert nach Christus werden die äusserst reichhaltigen und fantasievollen Gerichte beschrieben, die an luxuriösen Banketten serviert wurden. Die Rezepte zeichneten sich durch einen Überfluss an damals sehr kostbaren Zutaten wie Fleisch und Gewürzen aus, um zu zeigen, wie reich die Gastgeber waren.

Die gewöhnlichen Leute aus dem Volk ernährten sich hingegen vorwiegend aus Brei und Getreide. Und nicht nur zur Zeit der Alten Römer: Getreide und Gemüse waren noch Jahrhunderte danach Grundnahrungsmittel von ganzen Völkern in Europa, denn die unteren Schichten konnten sich nur selten etwas anderes leisten als Brei, Suppe, ganz einfache Fleischgerichte oder Fisch.

Doch so eintönig sie auch war, enthielt die Küche der gewöhnlichen Leute im Mittelalter viele Hülsenfrüchte und Gemüse, die heute nicht mehr existieren. ” Dies gilt vor allem für einige Rübensorten und Getreidearten”, erklärt Claudia Engler. Sie wurden vom Aufkommen der Kartoffel verdrängt, welche im 18. Jahrhundert als Volksnahrungsmittel Furore machte.

Vorschriften für Diätküche und Konservieren



Bis zum Mittelalter waren die Rezepte oder besser die Kochanleitungen überwiegend den Hofköchen oder den Ärzten vorbehalten, die schon damals bei gewissen Krankheiten Diätkuren verschrieben.

Es ging dabei meist um Rezepte auf Fleischbasis und vor allem mit vielen Gewürzen, welchen man eine magische Wirkung nachsagte. So wurde beispielsweise behauptet, dass der Pfeffer gegen die Pest schütze, und wer es sich leisten konnte, machte davon reichlichen Gebrauch.

“Die beliebtesten Kochbücher, wie wir sie heute kennen”, so Claudia Engeler, “entstanden erst im 18. Jahrhundert. Es handelt sich um Bücher mit einer gewissen systematischen Ordnung, mit Rezepten, die so formuliert sind, dass auch wenig versierte Personen sie nachkochen können”.

Zuerst wurden Kochrezepte in anderen Publikationen veröffentlicht: Abgesehen von Diätvorschriften in den Medizinbüchern, waren Anweisungen über die Herstellung, den Gebrauch und das Haltbarmachen von Lebensmitteln in Kompendien über Haushaltführung zu finden.

“Und schliesslich wurden Rezepte auch in gewissen literarischen Werken beschrieben”, fährt die Kuratorin der Ausstellung fort, “in antiken Komödien oder in philosophischen Kolloquien; aber es handelt sich um zufällige Zitate, nicht um Kochbücher”.

Kulinarische Wende im 18. Jahrhundert



Vom 18. Jahrhundert an gibt es in ganz Europa viel mehr Lebensmittel zu importieren. “Zum Beispiel Zitronen”, sagt Claudia Engler; “sie kommen plötzlich in allen Kochbüchern mit Berner Rezepten vor. Und obwohl für den raschen Transport von frischer Ware noch die entsprechenden Eisenbahnverbindungen fehlen, erscheinen auf den Märkten viele neue Produkte.”

Es ist die Zeit, wo viele Frauen sich das Lesen und Schreiben aneignen und beginnen, untereinander Rezepte auszutauschen, um neue Gerichte auszuprobieren. So entstehen die ersten von Frauen redigierten Bücher mit Rezepten für den Alltag, erschwinglich für alle, und mit Ratschlägen und Anweisungen zum Gebrauch von technischen Neuheiten, wie etwa des Dampfkochtopfs.

Am Ende des 19. Jahrhunders fangen auch Lebensmittelhersteller wie Maggi oder Dr. Oetker an, als Werbung für ihre Produkte Rezeptsammlungen zu publizieren.

Und heute ist das Angebot grenzenlos: auf dem Markt ist für jede Küche alles zu finden: sei es mediterran, asiatisch oder afrikanisch; zusammen mit ganzen Sammelsurien von Kochbüchern, Gratis-Rezeptbroschüren zu Reklamezwecken oder kostbaren Bildbänden signiert von der Haute-Volée der internationalen Meisterköche.

Und obwohl es also heute von Rezepten überall wimmelt – in Zeitungen und Illustrierten, am Radio und am Fernsehen, in Werbeprospekten und sogar auf vielen Lebensmittel-Verpackungen – scheint der Kochbücher-Boom nicht nachzulassen. Er ist im Gegenteil dermassen lebhaft, dass die Gastronomie in vielen Buchhandlungen die grösste Abteilung darstellt.

Ein Paradox? Für Claudia Engler “handelt es sich vielmehr um einen zumindest überraschenden Erfolg, in einer Epoche wo Schlankheitskuren, Fast Food und Fertigprodukte grassieren”. Oder vielleicht delektieren sich viele unfreiwilligen Asketen halt nur an den Rezepten …

swissinfo, Fabio Mariani
(übertragen aus dem Italienischen von Monika Lüthi)

Die Ausstellung präsentiert bis zum 9. Oktober 2004 über 60 Werke von 15. – zum 21. Jahrhundert.


Den Schwerpunkt bildet eine Sammlung von Berner Rezepten aus dem 18. Jahrhundert und später.

Neben der Entwicklung der Essgewohnheiten über die Jahrhunderte hinweg liefern die Kochbücher Informationen über die Einführung und Verbreitung von neuen Anbaumethoden und Änderungen der kulinarischen Traditionen.

Sie vermitteln auch ein Bild über die sozialen und religiösen Unterschiede auf dem Gebiet der Nahrung, sowie über Diätvorschriften und gastronomische Gepflogenheiten in den verschiedenen Epochen.

Bis Mitte des 19. Jhrhunders waren die Kochbücher nicht illustriert, enthielten aber manchmal schematische Zeichnungen von Tieren und ihren essbaren Teilen, oder Anweisungen darüber, wie man Servietten faltet.

Ab den Zwanziger Jahren hält die Fotografie auch in den Rezeptbüchern Einzug, um komplizierte Handhabungen oder unbekannte Ingredienzen anschaulicher darzustellen.

Heutzutage beschränkt sich der schriftliche Teil der Rezepte auf das Wesentliche, und die virtuos illustrierten Kochbücher sind oft eigentliche Kunstobjekte.

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