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Warum die Schweiz Palästina nicht als Staat anerkennt

Eine palästinensische Flagge in einer Ruinenlandschaft
Im Zuge des aktuellen israelisch-palästinensischen Krieges haben mehr Staaten die Anerkennung Palästinas in Aussicht gestellt. Afp Or Licensors

Rund 150 Staaten erkennen Palästina als Staat an. Die Schweiz nicht. Das sind die Gründe.

Bei der UNO-Konferenz zum Nahen Osten Ende Juli stellten mehrere westliche Länder in Aussicht, Palästina demnächst als unabhängigen Staat anzuerkennen – unter ihnen Grossbritannien und Kanada. Zuvor hatte Frankreich die Anerkennung angekündigt. Damit würden vier der fünf Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates (mit Ausnahme der USA) einen palästinensischen Staat anerkennen.

Die Schweiz spricht sich schon lange für die Zweistaatenlösung aus. Eine Anerkennung Palästinas schliesst sie allerdings zurzeit aus. Das sind die Antworten auf die wichtigsten Fragen zum Thema.

Wie steht es um die Anerkennung Palästinas in der Schweiz?

Die Schweiz bekenntExterner Link sich zur Zweistaatenlösung, wie sie von der UNO skizziert wird, auf der Grundlage der Grenzen von 1967 und mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt. Diese wird zuweilen als unrealistisch oder unmöglich beurteilt, ist aber weiterhin die einzige völkerrechtlich breit abgestützte Vision für Israel/Palästina. Palästina ist bisher von 147 der 193 UNO-Mitgliedstaaten (rund 76%) als Staat anerkannt worden.

Frankreich und Malta haben eine Anerkennung Palästinas für September angekündigt. Grossbritannien hat diese an Bedingungen geknüpft, von weiteren Staaten werden diesbezüglich Ankündigungen erwartet:

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An der UNO-Konferenz im Juli fassteExterner Link die EDA-Vertreterin, Botschafterin Monika Schmutz Kirgöz, die Schweizer Position folgendermassen zusammen: «Für die Schweiz muss eine bilaterale Anerkennung Palästinas im Rahmen der Perspektive eines dauerhaften Friedens auf der Grundlage der Zweistaatenlösung erfolgen.» Sie könne in Betracht gezogen werden, wenn «konkrete Massnahmen zugunsten dieser Lösung – die sowohl die Sicherheit Israels als auch das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes garantiert», aufgegleist seien.

Das bedeutet: Die Schweiz will einen palästinensischen Staat erst anerkennen, nachdem es eine umfassende Friedenslösung und einen entsprechenden politischen Fahrplan gemeinsam mit Israel geben wird.

Damit geht die Schweiz einen anderen Weg als viele andere Staaten, die mit einer Anerkennung Palästinas Druck gegenüber Israel aufbauen wollen, um die Zweistaatenlösung voranzubringen. Grossbritannien beispielsweise hat eine mögliche Anerkennung daran geknüpft, ob Israel einen Waffenstillstand ausruft und sich zu einem nachhaltigen Frieden und der Zweistaatenlösung bekennt.

Ob Druck gegenüber Israel gelingt, ist fraglich: Das israelische Parlament, die Knesset, hat im letzten Jahr in einer ResolutionExterner Link einen palästinensischen Staat als «existenzielle Gefahr für Israel» deklariert und lehnt die Gründung eines solchen «entschieden» ab.

Wie erkennt die Schweiz andere Staaten an?

Die Schweiz erkennt seit dem Zweiten Weltkrieg nur Staaten an, und keine Regierungen, wie das viele andere Länder tun. Ob und wann ein Staat einen anderen Staat anerkennt, ist völkerrechtlich nicht festgelegt. Die Anerkennung wird als Ausdruck einer einseitigen Willenserklärung verstanden; sie ist Ausdruck staatlicher Souveränität. Jeder Staat hat demnach eigene Regeln und Traditionen, wie er andere Staaten als Völkerrechtssubjekte anerkennt.

Zentral für die Schweiz ist die effektive Staatlichkeit, die sich meist anhand von drei Elementen zeigt: durch ein Staatsgebiet, ein Staatsvolk und eine Staatsgewalt. Dabei liess sie sich je nach politischer Grosswetterlage stets eine grosse Bandbreite bei der Anwendung dieser Kriterien offen. Der EntscheidExterner Link einer Anerkennung liege im «politischen Ermessen» der Schweiz. Weitere Elemente wie «das Verhalten der internationalen Staatengemeinschaft oder einer für die Schweiz relevanten Staatengruppe» würden berücksichtigt.

Die Anerkennung eines Staates erfolgt durch den Bundesrat – die Schweizer Regierung ist zuständig für die Aussenpolitik des Landes. Es gab in der Vergangenheit immer wieder Diskussionen darüber, das Parlament stärker einzubeziehenExterner Link. Beispielsweise während der Anerkennung Kosovos, den die Schweiz als eines der ersten Länder anerkannte. Das ist bisher nicht geschehen.

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Bezüglich Nahost ist die Haltung der Schweizer Regierung allerdings deckungsgleich mit derjenigen des Parlaments: 2024 forderte ein VorstossExterner Link im Nationalrat die Anerkennung Palästinas. Das Geschäft wurde im Nationalrat heftig diskutiert, letztlich aber mit 131 zu 61 Stimmen verworfenExterner Link. Aussenminister Ignazio Cassis sagte in der Debatte, aus Sicht der Regierung sei «momentan nicht der richtige Zeitpunkt» für eine Anerkennung Palästinas. Damals hiess es ebenfalls, die Staatsanerkennung müsse Teil eines Friedensplans sein.

Zuvor enthielt sich die Schweiz beim Antrag Palästinas auf eine UNO-Vollmitgliedschaft der Stimme (Palästina hat seit 2012 den Status eines Beobachterstaats bei der UNO). «Die Schweiz erachtet eine Aufnahme Palästinas als UNO-Vollmitglied aufgrund der aktuell sehr instabilen Lage im Nahen Osten und in einer gesamtheitlichen friedenspolitischen Perspektive zum gegenwärtigen Zeitpunkt als nicht förderlich», schriebExterner Link der Bundesrat damals dazu.

Wann hat die Schweiz Israel anerkannt – und was lässt sich davon ableiten?

Israel ist bisher von 164 der 192 UNO-Mitgliedstaaten (rund 85%) anerkannt worden. Gemäss dem im November 1947 beschlossenen UNO-Teilungsplan für Palästina sollte das Gebiet in einen arabischen und einen jüdischen Staat aufgeteilt werden. Die israelische Unabhängigkeitserklärung erfolgte am 14. Mai 1948, das Land wurde ein Jahr später in die UNO aufgenommen.

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Die Schweiz hat Israel offiziell am 18. März 1949 anerkannt. «Im Bestreben, die guten Beziehungen mit den arabischen Ländern des Nahen Ostens zu erhalten, wartete der Bundesrat den Entscheid anderer Staaten ab», heisst es dazu im Historischen Lexikon der SchweizExterner Link.

Welche Nahostpolitik verfolgt die Schweiz?

Die Anerkennung von Staaten war also immer schon von verschiedenen politischen Faktoren abhängig – nicht zuletzt von globalen Entwicklungen und innenpolitischen Überlegungen. Während es zurzeit ein internationales Momentum zur Anerkennung Palästinas gibt, um einen Frieden in der Region zu ermöglichen, spricht sich die offizielle Schweiz noch dagegen aus.

Die Schweiz hat immer wieder betont, internationale Bemühungen zur Umsetzung der Zweistaatenlösung «entschieden zu unterstützen». In Genf haben wiederholt Gespräche diesbezüglich stattgefunden oder sind Initiativen gegründet worden. Würde die Schweiz einen palästinensischen Staat anerkennen – den Israel entschieden ablehnt – könnte es passieren, dass Genf nicht mehr als Austragungsort von Gesprächen in Frage kommt.

Allerdings ist die Schweiz generell zurückhaltend in ihrer Nahostpolitik. So verurteiltExterner Link sie zwar klar die militärische Eskalation in der Westbank und beklagt die «völlige Straffreiheit» für Gewalttaten. Anders als die USA und die EU hat sie allerdings bisher keine Sanktionen gegen extremistische israelische Siedler:innen verhängt. Der Bundesrat behalteExterner Link sich diese Möglichkeit jedoch vor.

Editiert von Benjamin von Wyl/vdv

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