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Schweizer gegen totale Privatisierung der Swisscom

Swisscom-Privatisierung: Ja, aber nicht ganz, findet eine Mehrheit der Schweizer. Keystone

Wenn sie heute abstimmen könnten, würden 56% der Schweizer Stimmbevölkerung die vollständige Privatisierung der Swisscom ablehnen. Nur 25% würden zustimmen, 19% haben keine Meinung.

Eine teilweise Privatisierung fände hingegen eine Mehrheit, wie eine repräsentative Umfrage zeigt, welche das Forschungsinstitut gfs.bern für die SRG durchführte.

Vier von fünf Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern haben ihre eigene Meinung zur Privatisierungsfrage der Swisscom. Dabei steht noch gar nicht fest, ob die Frage je an die Urne kommen wird.

Denn die Schweizer Regierung, welche die Privatisierung im November 2005 angekündigt hatte, erlitt einen klassischen Fehlstart: Schon die erste Instanz, die sich mit dem Geschäft befasste, die vorberatende Kommission für Kommunikation des Nationalrates (grosse Kammer), wies das bundesrätliche Ansinnen zurück.

Nein an Sondersession erwartet

Beobachter gehen davon aus, dass der Nationalrat an der Sondersession vom 8. Mai dem Antrag der vorberatenden Kommission folgen und nicht auf das Geschäft eintreten wird. Der Ständerat (kleine Kammer) wird im Juni darüber beraten.

Falls die Ständeräte Eintreten beschliessen, kommt die Privatisierungsfrage wieder vor den Nationalrat. Bleibt der beim Nein, ist das Geschäft vom Tisch.

Für den Fall, dass das Parlament doch noch auf die Linie der Regierung einschwenkt, haben die Sozialdemokraten (SP) sowie die Christlichdemokraten (CVP) mit dem Referendum gedroht. Wäre dieses erfolgreich, käme die Swisscom-Privatisierung schätzungsweise im März 2007 vor das Volk.

Skepsis quer durch Parteien

Gemäss der Umfrage wollen 38% der Stimmbürger absolut nichts von einer vollständigen Privatisierung der Swisscom wissen, während 18% “eher dagegen” sind. Die Gegner stammen aus allen Parteien, wobei der Grossteil der Stimmen(73%) aus dem SP-Lager kommt.

Dabei zeigte sich, dass Personen mit höheren Einkommen deutlicher für eine Privatisierung waren als solche mit niedrigeren Einkünften. Nach Regionen aufgeschlüsselt ergab sich die grösste Skepsis im Tessin (62% Nein), gefolgt von der Deutschschweiz mit 58%. Am geringsten waren die Zweifel in der Westschweiz, wo 46% der Befragten Nein sagen würden.

Milchkuh nicht verscherbeln

Das wichtigste Argument gegen die Privatisierung war, dass die Schweiz ihre “Milchkuh” verlieren würde, an zweiter Stelle folgten die befürchteten Einbussen beim Service Public.

Die Befürworter einer Privatisierung strichen ihrerseits am meisten heraus, dass die Swisscom unternehmerische Freiheiten gewinnen würde. Auch erhofften sie sich Chancen auf tiefere Gebühren.

Sperrminorität als Pfand

Das Institut gfs.bern hat dem Stimmvolk auch den Puls gefühlt, was eine teilweise Privatisierung der Swisscom betrifft. Für diese Variante hatte sich beispielsweise der Schweizer Finanzminister Hans-Rudolf Merz ausgesprochen. Bei einer Teilprivatisierung würde der Bund die Aktienmehrheit zwar abgeben, aber über eine Sperrminorität verfügen. Damit könnte er verhindern, dass das Unternehmen in ausländische Hände geraten würde.

56% der Befragten haben sich für diese Lösung ausgesprochen. 23% waren absolut dieser Meinung, 33% waren “eher” dafür, während 31% dagegen waren. 13% hatten keine Meinung. Auch hier stammten die Gegner aus dem sozialdemokratischen Lager (36%) und aus der Südschweiz (50%).

Die Argumente der beiden Seiten waren dieselben wie bei der Frage der vollständigen Privatisierung.

Graben

Das Umfrageergebnis fördert einem Graben zwischen Regierung und Bevölkerung zu Tage, was die Zukunft der Swisscom betrifft. Denn eine Mehrheit der Schweizer Bevölkerung kann sich, anders als der Bundesrat, eine Expansion des Unternehmens ins Ausland vorstellen, wie die Autoren der Studie folgern.

Anders gesagt: Das Risiko, das eine Auslandbeteiligung der Swisscom für den Bund als Mehrheitsaktionär mit sich bringen könnte, beunruhigt das Schweizer Stimmvolk nicht sonderlich.

swissinfo, Marc-André Miserez
(Übertragung aus dem Französischen: Renat Künzi)

Im November 2005 kündigte die Schweizer Regierung an, dass sie die Swisscom ganz privatisieren und ihre Mehrheit von 60% abgeben will.

Das Schweizer Parlament beriet im November über die Frage. Sozialdemokraten (SP) und Christlichdemokraten (CVP) drohten, die Privatisierung mit dem Referendum vors Volk zu bringen.

Im Januar 2006 trat Swisscom-Chef Jens Alder zurück, weil die Regierung seine Politik, ins Ausland zu expandieren, nicht unterstützte.

Am 17. März verabschiedete der Bundesrat die Botschaft zur gänzlichen Privatisierung des Unternehmens ans Parlament.

Am 10. April beantragte die vorberatende Kommission des Nationalrates dem Plenum, an der Debatte über die Swisscom am 10. Mai nicht auf das Geschäft einzutreten.

Die Umfrage wurde vom Forschungsinstitut gfs.bern im Auftrag der SRG/SSR idée suisse durchgeführt.
Zwischen dem 18. und 26. April befragte das Institut telefonisch 1220 Personen aus der ganzen Schweiz.
Die Fehlerquote der Umfrage liegt bei 3,6%.

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