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Sinkflug zu spät befohlen?

[Grafik: Skyguide] [Grafik: Skyguide]

Reichen 50 Sekunden für ein Ausweichmanöver? Die Schweizer Flugleitung Skyguide wich dieser Frage aus.

Vor den Medien in Zürich-Kloten wollte sich am Dienstag niemand der Firma Skyguide dazu äussern, ob ihr Fluglotse zu spät reagiert habe. Die Untersuchungen seien noch im Gang, hiess es. Bekannt gegeben wurden die Fakten, die am frühen Dienstagabend vorlagen.

Zur Zeit des Unfalls befanden sich insgesamt fünf Flugzeuge auf dem Radarschirm der Flugsicherung in Zürich. Von den beiden Dienst habenden Fluglotsen war nur einer am Arbeitsplatz, der andere machte Pause. Der erste Befehl zum Sinkflug erfolgte gemäss Toni Maag, dem Zürcher Flugsicherungsleiter, eine gute Minute vor der Kollision. Dieser Wert wurde nach der Medienkonferenz gar auf 50 Sekunden korrigiert, nachdem am Morgen noch von 90 Sekunden die Rede war.

TCAS (Traffic Collision Avoidance System)

Neben dem Fluglotsen wacht ein automatisches System über die Flugzeuge: Das Kollisions-Warngerät Traffic Collision Avoidance System (TCAS) müssen alle grösseren Flugzeuge installiert haben. Die Geräte kommunizieren miteinander und teilen einander ihre Position mit. Der Pilot sieht die anderen Flugzeuge auf dem Navigations-Display. Er hat – wie auf einem Radar – eine Distanzangabe.

TCAS-Warnungen haben Priorität gegenüber Anweisungen des Fluglotsen. Auch die Tupolew müsste über ein solches Gerät verfügte haben.

Steig- und Sinkflug

«Auf der Höhe, wo die beiden Flugzeuge flogen, findet eine erste akustische Warnung etwa 45 Sekunden vor dem Zusammentreffen statt. Bei 35 Sekunden zum kritischen Punkt wird ein Befehl in beiden Flugzeugen ausgelöst, wenn beide Flugzeuge entsprechend ausgerüstet sind», erklärt Jürg Schmid, Vizepräsident Flight Safety Swiss, die Arbeitsweise der TCAS-Geräte.

Dem einen Flugzeug werde Steigflug befohlen, dem anderen Sinkflug. Ausgewichen werde nur in der Vertikalen ausgewichen, nicht in der Horizontalen.

Beim Zusammenstoss über dem Bodensee ergab sich die unglückliche Konstellation, dass eine Maschine einen Sinkbefehl vom Fluglotsen erhielt, die andere einen solchen vom TCAS.

Pilot habe nicht sofort reagiert

«Der Controller hat den beiden Flügen die Durchflugbewilligung erteilt und hat dann als sich die Kreuzung abzeichnete das russische Charterflugzeug auf seine tiefere Höhe freigegeben,» beschreibt Toni Maag den Unfallhergang.

Leider habe der russische Pilot diese Anordnung nicht sofort befolgt und habe nochmals zurückgerufen werden müssen. Dieser habe dann erst nach einigem Zögern die Flughöhe 36’000 Fuss verlassen, um auf die neue Flughöhe abzusinken.

«Diese Verzögerung führte dazu, dass dieses Kreuzungsproblem eine enge Situation ergab. Viel gravierender war aber, dass diese Situation im zweiten Flugzeug die automatische Kollisions-Warnung auslöste und dem Piloten im Frachtflugzeug einen automatischen Befehl zum Sinkflug erteilte, welcher der Pilot gemäss Vorschriften sofort auszuführen hatte.»

Vorgesehene Staffelung funktionierte nicht

Durch dieses doppelte Absinken der beiden Flugzeuge wurde die Staffelung, die der Controller vorgesehen hatte, wieder aufgehoben und die beiden Flugzeuge haben sich dann auf tragische Weise in einer Höhe von 35’300 Fuss berührt und sind beide abgestürzt.

Knappe Vorwarnzeit

An der Medienkonferenz war nicht mehr von einem allfälligen Pilotenfehler die Rede. Anlass zu Fragen gab die knappe Zeit, die der Fluglotse der russischen Maschine für das Ausweichmanöver einräumte. Schliesslich war der Lotse bereits seit 13 Minuten über die bevorstehende Kreuzung informiert.

Die Instruktion des russischen Piloten erfolgte indes ohne Zeitreserve. Denn ein Flugzeug kann im Normalfall in einer Minute lediglich rund 1000 Fuss sinken, 1000 Fuss beträgt aber der vorgeschriebene vertikale Mindestabstand.

Flugsicherungsleiter Maag möchte aber nicht von einem Fehler des Lotsen sprechen: «Es liegt in der Eigenverantwortung des Lotsen zu entscheiden, zu welchem Zeitpunkt er ein Flugzeug auf eine andere Höhe bewilligt. Das Verhalten des Lotsen war nicht unverantwortlich, sondern höchstens ein bisschen spitz, wie wir sagen würden.»

Dass die Vorwarnzeit knapp bemessen war, bestätigte auch Axel Raab von der deutschen Flugsicherung im deutschen Fernsehen. «Falls die Warnzeit wirklich nur eine Minute betrug, dann ist das tatsächlich etwas eng.»

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