Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

“Wirtschaft profitiert vom Schweizer Franken”

Laut Jean-Pierre Roth ist die gegenwärtige Franken-Schwäche noch kein Anzeichen für eine definitive Abschwächung. swissinfo.ch

Trotz der gegenwärtigen Schwäche des Frankens verfügt die Schweiz langfristig über eine stabile und gesunde Währung, sagt der Präsident der Schweizerischen Nationalbank gegenüber swissinfo.

Für Jean-Pierre Roth ist der Franken als eigene, Euro-unabhängige Währung eine Voraussetzung dafür, dass die Schweiz eine flexible Wirtschaftspolitik betreiben kann.

swissinfo: Was hat sich in den letzten Jahren an der Schweizer Währungs- und Wirtschaftsfront grundlegend geändert, dass der Franken gegenüber dem Euro so schwach geworden ist?

Jean-Pierre Roth: Man muss sich das Ganze schon langfristig vor Augen halten. Effektiv hat sich in der letzten Zeit eine Abschwächung des Frankens gegenüber dem Euro ergeben. Doch betrachtet man das Ganze längerfristig, zeigt sich, dass wir in der Schweiz eine gesunde und stabile Währung besitzen.

Es gab beim Franken immer stärkere und schwächere Phasen. Aber nun aus der Jüngsten folgern zu wollen, der Franken sei definitiv schwächer geworden, entbehrt der Grundlage. Denn gleichzeitig wächst in der Schweiz die Wirtschaft stark, bei tiefer Inflation. Mit anderen Worten: Alle Elemente einer gesunden und stabilen Währung sind vorhanden, die Schwäche kann nur von vorübergehender Natur sein.

swissinfo: Sie haben aber vor kurzer Zeit vor den Gefahren infolge verteuerter Importe und der zunehmenden Teuerung gewarnt. Wie reagiert die SNB darauf?

J.-P. R.: In Schwächephasen des Frankens kommt es in der Regel zur Erhöhung der Import- und damit auch der Grosshandelspreise. Also müssen wir darauf achten, dass sich dieser Inflationsdruck von aussen nicht auf unsere Inlandteuerung auswirkt.

Als Währungshüter zielen wir auf die Preisstabilität. Zur Zeit ist sie gegeben, aber wir wollen sie auch weiterhin sichern. Deshalb entfalten wir beispielsweise mit Zinsentscheiden eine präventive Wirkung.

swissinfo: A propos Zinspolitik. Nimmt die Zinsdifferenz zwischen Franken und Euro ab? Diese Differenz war besonders dann ein starkes Argument, wenn die Industrie unter dem starken Franken litt.

J.-P. R.: Sie ist es auch jetzt. Sie entwickelte sich in den letzten Jahren aber unterschiedlich. Momentan befinden wir uns ungefähr auf dem historischen Durchschnitt. Die Zinsdifferenz wird immer wieder schwanken.

Zurzeit stellen wir fest, dass die Wirtschaft in Mittelosteuropa von den tiefen Franken-Zinsen profitieren will und Franken-Kredite deshalb vermehrt gefragt sind. Das zeigt, dass die Zinsdifferenz immer noch bedeutend ist. Ich habe Vertrauen, dass unsere Währung auch in Zukunft mit tiefen, respektive günstigen Zinsen auskommen kann.

swissinfo: Was für Gründe sprechen denn sonst noch für eine eigene, nationale Währung?

J.-P. R.: Erst eine eigene Währung ermöglicht es, eine eigene Wirtschaftspolitik zu führen. So sind wir nicht gezwungen, vom Ausland gemachte Zinsentscheide zu übernehmen und entscheiden somit selbst über unser Zinsniveau. Damit können wir auch Einfluss auf die Teuerung in unserem Land nehmen.

Das sind grosse Vorteile. Sie machen uns flexibler als jene Länder in Währungsunionen, die sich ihre Geldpolitik mit anderen teilen müssen. Der Schweizer Franken bringt der Schweizer Wirtschaft Vorteile.

swissinfo: Vor 100 Jahren, als die Nationalbank gegründet wurde, befand sich die Schweiz in einer Art Goldstandard-gestützten, einheitlichen europäischen Währungsordnung. Weshalb funktionierte das nicht?

J.-P. R.: Das war zwar ein gemeinsames Währungssystem, aber die Länder hielten sich nicht an die Disziplin. Es kam zu zahlreichen Abwertungen und Turbulenzen, unter denen die Schweiz stark zu leiden hatte. Im Gegensatz zu damals herrscht heute mit dem Euro in Europa viel mehr Stabilität.

Für die Schweiz ergeben sich daraus grosse Chancen. Im Aussenhandel sind die Voraussetzungen für uns heute viel besser als noch vor 10 oder 15 Jahren. Bei der Goldstandard-Ordnung vor 100 Jahren waren die Wechselkurse fix. Heute ist die Schweiz auf der Basis flexibler Wechselkurse mit dem Euro beweglicher. Wir haben damit bessere Möglichkeiten, im Inland selbst auf stabile monetäre Rahmenbedingungen zu achten.

swissinfo: Als die SNB gegründet wurde, war der Schweizer Franken kaum 50 Jahre alt. Die Schweiz hatte im 19. Jahrhundert aus dem kantonalen Währungsföderalismus einen einheitlichen Franken schmieden müssen. Kann die SNB deshalb der Europäischen Zentralbank nicht als Beispiel dienen?

J.-P. R.: Es gibt zwei grosse Unterscheide zwischen der Währungsintegration von 1850 in der Schweiz und der heutigen in Euroland: Die Schweiz verfügte 1850 bereits über eine Bundesregierung und eine Bundesverfassung. Die EU hat heute noch keine Regierung, und an einer Verfassung wird seit Jahren gearbeitet.

Zweitens war die Währungsintegration einfacher zu bewerkstelligen, weil sich die Kantone damals auf eine Goldwährung, also einen gemeinsamen Wert-Standard, einigen konnten.

Dadurch war das Vertrauen in den neuen Franken automatisch gegeben – sein Wert war vom Gold her definiert. Heute gibt es keine Goldwährungen mehr. Das Vertrauen basiert auf der Politik der Europäischen Zentralbank. Eine solche Währungsintegration ist viel schwieriger zu handhaben.

swissinfo-Interview: Alexander Künzle

Jean-Pierre Roth, geboren 1946, ist seit 2001 Präsident des Direktoriums der SNB. Er steht dem I. Departement vor, das sich mit der Geldpolitik befasst.

1969 schloss er in Genf sein Ökonomiestudium ab. 1979 begann er als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Nationalbank.

1996 wurde er zum Vizepräsidenten des SNB-Direktoriums und zum Leiter des II. Departements ernannt, das sich mit den Banknoten und seit einigen Jahren mit Fragen der Stabilität des Finanzsystems befasst.

Die Schweizerische Nationalbank nahm am 20. Juni 1907 ihre Arbeit als Zentralbank des Landes auf.

Sie führt seit 100 Jahren als unabhängige Zentralbank die Geld- und Währungspolitik der Schweiz. Ziel ihrer Politik ist Preisstabilität, eine wesentliche Voraussetzung für Wachstum und Wohlstand.

Die Nationalbank verfügt über das alleinige Recht, Banknoten auszugeben und setzt im Auftrag des Bundes über ihr Bankstellennetz auch die Münzen in Umlauf.

Ihr Gewinn wird zwischen den Kantonen (2/3) und dem Bund (1/3) aufgeteilt.

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft