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Zollunion mit der EU: Bundesrat meidet Diskussion

Eine Zollunion mit der EU ist für die Schweiz noch weit entfernt. swissinfo C Helmle

Trotz Wirtschaftsflaute will der Bundesrat von einem Beitritt zur EU-Zollunion nichts wissen. Priorität haben die Schengen-Verhandlungen.

Ein neuer Schweizer Sonderwunsch wäre wohl unrealistisch.

Der Bundesrat tritt auf die Bremse. Trotz Vorschlägen einer internen Arbeitsgruppe und trotz Forderungen der Freisinnigen soll der Beitritt zur EU-Zollunion vorerst kein Thema sein.

Das Stichwort Zollunion taucht denn auch im Wirtschaftsprogramm 2004, das Bundesrat Josef Deiss diese Woche präsentiert hat, nirgends auf.

Zumindest die Prüfung eines Zollunion-Beitritts hätte Josef Deiss gerne in den Massnahmenkatalog aufgenommen, doch laut “Basler Zeitung” blieb sein Vorschlag im Bundesrat chancenlos.

Man werde im Laufe der Legislatur erst mal einen Bericht erstellen über das Verhältnis der Schweiz zur EU, erläuterte Deiss die Argumentation des Kollegiums. “Es ist nicht nötig, eine weitere schwierige Baustelle einzurichten, da wir die Frage im Rahmen der Abklärungen unseres Verhältnisses zur EU thematisieren.”

Erst Schengen, Zollunion vielleicht später

Die zögerliche Haltung der Landesregierung ist nicht neu: Bereits vor einem Jahr hatte der Bundesrat die Prüfung einer Zollunion mit der EU abgelehnt. Damals hatte die interdepartementale Arbeitsgruppe Wachstum eine solche wirtschaftliche Annäherung an die EU vorgeschlagen.

Zuerst will der Bundesrat nun also die “schwierige Baustelle” der zweiten bilateralen Verhandlungen zu einem Ende bringen, in deren Zentrum – aus Schweizer Perspektive – der Beitritt zum Schengener Abkommen (Polizeiliche Zusammenarbeit) steht.

Mit diesem Übereinkommen werden die Personenkontrollen an den Binnengrenzen der Schengen-Mitgliedstaaten abgebaut, während die Kontrollen an den Aussengrenzen erhöht werden. Im zentralen Schengen-Informationssystem werden zudem alle gesuchten und unerwünschten Personen europaweit erfasst.

Qualitativ neue Beziehung

Dieses Abkommen würde die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU auf eine qualitativ neue Ebene heben.

Erstmals müsste sich die Schweiz nämlich verpflichten, die Weiterentwicklung des EU-Schengenrechts lückenlos zu übernehmen, ohne im einzelnen Fall mitbestimmen zu können. Die bisherigen bilateralen Abkommen dagegen sehen bei allen wesentlichen Änderungen jeweils neue Verhandlungen vor.

Ein Beitritt zur EU-Zollunion hätte politisch ein ähnlich grosses Gewicht wie eine Schengen-Mitgliedschaft: Auch hier müsste die Schweiz die Weiterentwicklungen in der europäischen Aussenhandelspolitik übernehmen müssen, ohne mitentscheiden zu können.

Fachleute schätzen den wirtschaftlichen Nutzen eines Beitritts zur Zollunion als hoch ein. Dem nach wie vor stark abgeschotteten Binnenmarkt Schweiz würde eine Öffnung nur gut tun, meint etwa der Ökonome Thomas Zimmermann von der Hochschule St.Gallen.

Parallelimporte würden möglich

Parallelimporte – sie werden in der Schweiz noch heftig bekämpft – wären möglich, und der Konkurrenzdruck auf die einheimische Wirtschaft würde steigen. Zudem würden zahlreiche Behinderungen wie die langwierigen Grenzkontrollen und die aufwändigen Ursprungsregeln entfallen.

Trotz des heute geltenden Freihandelsabkommens, das das EFTA-Mitglied Schweiz mit der EU abgeschlossen hat, existieren im Warenverkehr mit der EU beachtliche Einschränkungen.

Zwar können viele Waren zollfrei in die EU importiert werden, doch nur, wenn es sich um Ursprungswaren aus der Schweiz handelt. Sobald bei der Produktion aussereuropäische Bestandteile eingesetzt werden, droht von der EU ein Zollaufschlag. Zudem werden alle Warenlieferungen am Zollübergang in die EU eingehend geprüft.

In der EU-Zollunion dagegen sind alle Zölle und Mengenbeschränkungen aufgehoben. Auf den Ursprung einer Ware kommt es nicht mehr an, weil zuvor auf alle importierten Waren ein einheitlicher Aussenzoll erhoben wird.

Keine “EU à la carte”

Wenn der Bundesrat nun aber einen Beitritt zur EU-Zollunion auf der Wunschliste zurückstellt, zeigt er sich durchaus realistisch. Die EU hat wiederholt erklärt, eine EU “à la carte” sei nicht zu haben.

Mit den Verhandlungen über einen Schengen-Beitritt ist das Nicht-EU-Land bereits weit auf diesem Weg fortgeschritten.

Ein weiterer Sonderwunsch des Nicht-Mitgliedlandes Schweiz käme in Brüssel wohl schlecht an, zumal der Bundesrat erst kürzlich darüber diskutiert hat, sogar das eingefrorene EU-Beitrittsgesuch zurück zu ziehen.

swissinfo, Katrin Holenstein

Die EU-Zollunion ist 1968 unter den 6 EU-Gründer-Staaten verwirklicht worden. Unterdessen ist sie auf die 15 EU-Mitglieder und die Türkei angewachsen.

In der Zollunion fallen Zölle und Waren-Beschränkungen weg. Gegenüber Drittländern werden einheitliche Zolltarife angewendet.

Im Warenverkehr mit den EFTA-Staaten sind seit 1977 die Zölle für fast alle gewerblichen Waren abgeschafft, allerdings nur, wenn sie die Ursprungs-Regeln erfüllen.

Ursprungsregeln und Zollkontrollen bedeuten für Schweizer Export-Firmen weiterhin beachtliche Umtriebe und Kosten.

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