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Der lange Weg zum Frauenstimmrecht

Frauen in der Schweizer Politik sind noch lange nicht am Ziel

Bild des Aargauer Regierungsrates - alles Männer
Weiterhin keine Seltenheit: Der frisch gewählte Aargauer Regierungsrat im Oktober 2020 ist ein reines Männergremium. Ganz rechts im Bild ist die Staatsschreiberin Vincenza Trivigno. Keystone / Alexandra Wey

50 Jahre nach Einführung des Frauenstimmrechts sind Frauen im Schweizer Parlament so gut vertreten wie nie zuvor. Die Schweiz steht weltweit von 191 Ländern auf dem 17. Platz. Doch dieser Erfolg täuscht: Auf lokaler Ebene geht es nur sehr schleppend vorwärts.

Vor 50 Jahren, am 7. Februar 1971, entschieden die Schweizer Männer per Volkswahl, dass von nun an auch die Frauen in der Schweizer Politik mitbestimmen dürfen. Die eidgenössischen Wahlen vom 31. Oktober 1971 waren die ersten, an denen die Frauen als Stimmbürgerinnen und als Kandidatinnen teilnehmen durften.

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Einführung des Frauenstimmrechts weltweit

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Schweiz gehörte zu den letzten europäischen Ländern, die das Frauenstimmrecht einführten.

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In dieser Wahl schafften elf Frauen den Sprung in den Nationalrat, was einem Anteil von 5.5 % entspricht, und eine Frau schaffte es unter die 42 Ständeräte.

Was hat sich seither getan? Konnten die Schweizerinnen sich in den vergangen 50 Jahren ihren Platz in der Politik erkämpfen?

Am 7. Februar 1971 sagten die Schweizer Männer Ja zum Frauenstimmrecht – 123 Jahre nach der Staatsgründung. Die Schweiz war somit eines der letzten Länder, welche das allgemeine Wahlrecht einführte. Das macht sie, die international gern als Modell der direkten Demokratie zitiert wird, zu einer jungen liberalen Demokratie.

SWI swissinfo.ch widmet dem unrühmlichen Jubiläum einen Schwerpunkt mit Textbeiträgen, Videos und Bilderstrecken.

Am 4. März organisiert SWI swissinfo.ch eine digitale Podiumsdiskussion zum Thema “50 Jahre nach dem Frauenstimmrecht: Alte Machtfrage, neue Kämpferinnen, neue Erfolge”. Teilnehmerinnen: Marie-Claire Graf, Klimaaktivistin und UNO-Klimabotschafterin; Estefania Cuero, Spezialistin für Diversität und Menschenrechte sowie Regula Stämpfli, Politikwissenschafterin mit Spezialgebiet Macht.

Frauenwahl nach Frauenstreik

Die letzten eidgenössischen Parlamentswahlen im Oktober 2019 gingen als “Frauenwahl” in die Geschichte ein. So viele Frauen wie noch nie in die beiden nationalen Parlamentskammern gewählt. Im internationalen Vergleich steht die Schweiz damit nicht schlecht da. Mit einem Frauenanteil von 41.5% im Nationalrat ist sie weltweit von 191 Ländern auf dem respektablen 17. Platz.

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Was führte zu diesem Erfolg? “2019 kamen verschieden Faktoren zusammen.” erklärt die Politikwissenschaftlerin Sarah Bütikofer, die bereits an mehreren Forschungsprojekten in den Bereichen Schweizer Politik, Karrierewegen von Politikerinnen und Politikern sowie Genderfragen beteiligt war.

Bütikofer verweist auf den Zeitgeist und internationale Entwicklungen, beispielsweise MeToo und Gegenbewegungen zum Sexismus von ex-US-Präsident Donald Trump, sowie die Situation in der Schweiz mit dem Frauenstreik und der Klimabewegung. Sie ergänzt: “Es kandidierten viel mehr Frauen und links-grüne Parteien, die einen hohen Frauenanteil auf den Wahllisten haben, gewannen viele Sitze, die meisten davon besetzten sie mit Frauen.”

Nach kurzer Durstrecke wieder auf Vormarsch

Vor den Wahlen 2019 sah es für die Befürworterinnen und Befürworter einer angemessenen Geschlechtervertretung nicht gerade vielversprechend aus. Zwar zeigte die Entwicklung im Nationalrat nach oben, doch im Stände- sowie im Bundesrat ging es mit dem Frauenanteil bergab.

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Dabei waren Frauen im siebenköpfigen Bundesrat, der Regierung des Landes, 2010 für kurze Zeit erstmals in der Mehrheit. Doris Leuthard, die damals Teil dieser Frauenmehrheit war, sagte im Nachhinein über diese Periode: „Mit der Frauenmehrheit im Bundesrat haben wir mutigere Entscheide gefällt als vorher und nachher.“

Im Ständerat ging mit der Wahl 2019 eine Durststrecke zu ende. Nach dem Zwischentief erreichte der Frauenteil gar einen neuen Höchstwert. Allerdings ist dieser mit rund 26% weiterhin bescheiden.

Wo bleiben die Frauen in der lokalen Politik?

Durch das föderalistische System, wo viele Kompetenzen auf lokaler Stufe liegen, kommt den Kantons- und Gemeindeparlamenten in der Schweiz in der Summe eine gewichtige Rolle zu.

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Gewaltenteilung

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Auf der lokalen Ebene beginnt die typische politische Karriere: Man startet im Parlament der eigenen Gemeinde, arbeitet sich hoch in den Kantonsrat, und wenn man gute Arbeit leistet, die richtigen Kontakte knüpft, lockt mit etwas Glück die nationale Bühne. Die lokale Politik ist daher wichtig für die politische Nachwuchsbildung.

Ausserhalb der Schweiz sieht das häufig etwas anders aus: “In der Regel beginnen politische Karrieren in anderen Ländern in Parteien, weniger in Ämtern”, so Bütikofer. Sie stellt da in der Schweiz in letzten Jahren allerdings ebenfalls eine leichte Verschiebung fest: “Man beobachtet auch in der Schweiz immer mehr politische Karrieren, die über direkte Engagements beginnen, z.B. im Bereich Umwelt und Klima, oder bei konkreten Sachvorlagen”.

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Trotzdem ist zu beobachten, dass Frauen für gewöhnlich auf lokaler Stufe den Weg in die Politik finden, wie Corinne Huser, Genderverantwortliche beim Departement für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), erklärt: „Gemäss aktuellen Zahlen ist der Frauenanteil eigentlich höher lokal. Man geht davon aus, dass es für Frauen tendenziell einfacher ist, dort einzusteigen. Das ist aber nicht in Stein gemeisselt, es gibt auch Hinweise, dass die Hürden auf lokaler Ebene für Frauen manchmal höher sein können.“

Durch die Rekordwerte bei den eidgenössischen Wahlen 2019 ist es in der Schweiz nun gerade umgekehrt. Die Frauen sind anteilsmässig auf dem nationalen Parkett besser vertreten als in den Gemeinden und Kantonen. Ganz alleine ist die Schweiz damit nicht: “Andere Länder haben zum Teil Quoten eingeführt, die dann natürlich starke Effekte zeigten”, so Bütikofer.

Gemächliche Entwicklung in den Kantonen

In den kantonalen Parlamenten sitzen über die gesamte Schweiz betrachtet 30% Frauen. Immerhin: Nach einer Stagnation zwischen 2007 und 2015 zeigte der Trend klar aufwärts. In den kantonalen Exekutiven ist die Entwicklung weniger deutlich.

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Nicht in jedem Kanton sieht die Situation jedoch gleich aus. Während die Männer in allen kantonalen Parlamenten in der Mehrheit sind, sitzen in den Regierungen der Kantone Waadt, Zürich und Thurgau mehr Frauen als Männer.

In den meisten Kantonen geben jedoch auch in den Regierungen weiterhin die Männer den Takt an. Sechs Kantonsregierungen – meistens fünf- oder siebenköpfige Gremien – sind sogar reine Männerclubs.

Stagnation in den Städten – mit deutlichen Ausnahmen

In den Städten bewegen sich die Frauenanteile auf einem ähnlichen Niveau wie in den Kantonen. Was erneut auffällt: In den Regierungen sind die Frauen im Durchschnitt schlechter vertreten als in den Parlamenten.

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Im Gegensatz zu den nationalen und kantonalen politischen Gremien zeigt sich keine klare Entwicklung hin zu einem höheren Frauenanteil. In den letzten zehn Jahren scheinen die Zahlen zu stagnieren.

Das gilt allerdings nicht für jede Stadt: In Bern etwa gibt es seit den Wahlen im vergangenen November mehr als doppelt so viele Parlamentarierinnen als Parlamentarier. Damit ist sie unter den Schweizer Städten eine deutliche Ausnahme.

swissinfo.ch/Carlo Pisani, Céline Stegmüller, Jonas Glatthard

Obwohl die Frauen in anderen grossen Städten nicht in der Mehrheit sind, zeigt sich doch, dass in grösseren Städten mehr Frauen gewählt werden als in den kleinen. Bütikofer erklärt das so: “Es gibt vor allem einen Links-rechts-Graben, was den Frauenanteil angeht. Da grüne und linke Parteien im städtischen Umfeld stark sind und diese Parteien auch einen hohen Frauenanteil haben, resultiert am Ende ein hoher Frauenanteil.”

Bewirkt die Frauenwahl 2019 einen langfristigen Umschwung?

Die Parteistärken spielen dann auch eine wichtige Rolle, wenn die Frauenanteile sich auf lokaler Ebene langfristig erhöhen sollen, so Bütikofer: “Entscheidend sind die Parteienstärken bzw. der Frauenanteil in den jeweiligen Parteien.”

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Schweizer Frauen mussten lange warten, bis auch sie abstimmen und wählen konnten. Aber wie kam es zu dieser unglaublichen Verzögerung?

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Ob sich der Schwung der nationalen Wahlen langfristig auf allen Ebenen der Schweizer Politik fortsetzt, muss sich auch für Corinne Huser noch zeigen: “Wie sehr diese Dynamik auf diesem Niveau anhält, kann ich nicht abschätzen.” Auf jeden Fall sollte man sich nicht einfach auf dem Erfolg der eidgenössischen Wahlen 2019 ausruhen.

Laut Huser sehe man das an der Frauenvertretung international, wo die Tendenz langfristig nach oben zeige: „Aber dies erfolgt nicht immer linear und es ist nicht einfach so: je länger, je mehr. Proaktive Massnahmen haben einen wichtigen Einfluss.“

Bücher

“50 Jahre Frauenstimmrecht. 25 Frauen über Demokratie, Macht und Gleichberechtigung”,Externer Link herausgegeben von Isabel Rohner und Irène Schäppi.

“Auf die Wartebank geschoben. Der Kampf um die politische Gleichstellung der Frauen in der Schweiz seit 1900”Externer Link, Werner Seitz.

Der Tag, an dem die Männer Nein sagtenExterner Link“, Roman von Clare O’Dea.

Blog: CH2021Externer Link

Podcasts

Frauen ins Bundeshaus. 50 Jahre FrauenstimmrechtExterner Link (zur Ausstellung); Historisches Museum Bern.

diepodcastin.deExterner Link: Serie vom Isabel Rohner und Regula Stämpfli.

50 Jahre Frauenstimmrecht in der Schweiz – Das Wahlrecht kam, die Gleichstellung nichtExterner Link (Podcast.de).

Film

“Die göttliche Ordnung”,Externer Link Gewinner des Schweizer Filmpreises 2017.

Gosteli-Archiv: Das “Gedächtnis der schweizerischen Frauenbewegung”Externer Link ist gerettet – dank eines Beitrags des Bundes von zwei Millionen Franken für die nächsten vier Jahre.

Song

“We have a Voice” von Lea Lu. Hier kostenlos anhören.Externer Link

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