Das unglaubliche Schicksal der ersten Studentinnen der Schweiz
Eine Studentinnengesellschaft an der Universität Bern, um 1900.
Bern University
Anna Tumarkin (1875-1951). Die aus Dubrowna (heute Weissrussland, früher Teil des Russischen Reichs) stammende Anna kam im Alter von 17 Jahren nach Bern und wurde Schweizer Philosophin. Sie "kletterte stetig die universitäre Karriereleiter hinauf und scheute dabei nie vor ihrem Ehrgeiz zurück", so die damalige Zeitung der Universität Bern.
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Ida Hoff (1880-1952) stammte ebenfalls aus dem ehemaligen Russischen Reich. Hoff studierte Medizin und wurde Ärztin. Sie und Tumarkin zogen in dasselbe Haus. Die Art ihrer Beziehung wird als "Freundschaft und lebenslange Partnerschaft" beschrieben.
bezg
Frida Imboden-Keiser studierte Medizin in Bern und Genf. Später wurde sie Kinderärztin in St. Gallen und engagierte sich erfolgreich gegen die hohe Kindersterblichkeit. Sie und Ida Hoff lernten sich in einem Studentenwohnheim kennen und gehörten demselben Kreis von Frauenaktivistinnen an.
Ostschweizer Kinderspital St. Gallen, zVg
Nadeschda Suslowa wurde 1854 mit Unterstützung ihres Vaters offiziell die erste Studentin an der Universität Zürich. Im ehemaligen Russischen Reich durften Frauen keine eigenen Pässe besitzen und waren auf die Dokumente ihres Vaters oder Ehemanns angewiesen. Viele Studentinnen gingen überstürzte Ehen oder Scheinehen ein, um im Ausland studieren zu können.
Bern University / Wikimedia Commons
Sophia Jex-Blake, die erste Ärztin Schottlands und Kämpferin für die Gleichberechtigung der Frauen, wurde im Vereinigten Königreich nicht zum Studium zugelassen und ging deshalb mit zwei anderen britischen Studentinnen nach Bern. Obwohl alle Prüfungen und Vorlesungen auf Deutsch abgehalten wurden, schafften die drei Frauen 1877 den Abschluss und wurden Ärztinnen.
Science Photo Library
Lina Stern (1878-1968), eine Jüdin aus dem heutigen Litauen, spezialisierte sich auf die Neurowissenschaften. Im Jahr 1918 wurde sie ausserordentliche Professorin an der Universität Genf (die erste Professorin an dieser Uni). Mangels Beschäftigungsmöglichkeiten in Genf musste sie 1925 nach Moskau umziehen, wo sie ein neues Institut für Physiologie in der Akademie der Wissenschaften der UdSSR gründete und leitete. In Stalins Terrorjahren wurde sie verhaftet und in ein Arbeitslager geschickt. Nach ihrer Entlassung konnte sie wieder als Wissenschaftlerin arbeiten. Sie starb im Alter von 92 Jahren.
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Mileva Marić stammte aus einer wohlhabenden österreich-ungarischen Familie. Als brillante Studentin absolvierte sie ein Semester an der medizinischen Fakultät in Zürich und setzte ihr Studium am Polytechnikum Zürich (heute ETH) fort. Sie heiratete ihren Studienkollegen Albert Einstein, doch ihre wissenschaftliche Karriere kam nicht in Schwung: Sie widmete sich mehrere Jahre der Forschung ihres Mannes und kümmerte sich dann um einen Sohn, der psychiatrisch behandelt werden musste. Die Frage, ob sie dem berühmten Wissenschaftler bei der Relativitätstheorie geholfen hat, bleibt ungeklärt.
Eth-bibliothek Zürich, Bildarchiv
Vera Figner kam 1872 aus Russland in die Schweiz, um Medizin zu studieren. In Bern schloss sie sich einer revolutionären Bewegung an und kehrte in ihre russische Heimat zurück, um als Sanitäterin zu arbeiten. Später war sie an einem Terroranschlag gegen Zar Alexander I. beteiligt. Sie wurde zum Tod verurteilt, eine Strafe, die später in lebenslange Haft umgewandelt wurde, und verbrachte 20 Jahre im Gefängnis. Sie starb 1942 im Alter von 89 Jahren in Moskau.
Wikimedia commons
Die Politikerin und Diplomatin Alexandra Kollontai studierte von 1898-99 an der Universität Zürich. Sie wurde zu einer der prominentesten Frauen nach der Sowjetrevolution und war die erste Frau in der Geschichte, die ein offizielles Mitglied eines Regierungskabinetts wurde.
Universal History Archive/Universal Images Group via Getty Images
Lou Andreas-Salomé, oder Lioulia, wie sie von ihrer Familie genannt wurde, kam 1879 von St. Petersburg nach Zürich. Als "Gaststudentin" besuchte sie Vorlesungen in Philosophie und Psychologie, bevor sie mit ihrer Mutter nach Rom zog. Die charismatische Intellektuelle ging als Freundin und Muse von Friedrich Nietzsche, Sigmund Freud und Rainer Maria Rilke in die Geschichte ein.
Wikimedia /commons
Die Schweizer Universitäten übernahmen im späten 19. Jahrhundert eine Vorreiterrolle in der Frauenbildung und zogen Frauen aus nah und fern an. Einige dieser Studentinnen schlugen eine glänzende Karriere ein, andere hatten ein eher tragisches Schicksal.
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Als Mitglied unseres Multimedia-Teams konzentriere ich mich auf alles, was mit Bildern zu tun hat - Fotobearbeitung, Fotoauswahl, redaktionelle Illustrationen und soziale Medien.
Ich studierte Grafikdesign in Zürich und London, 1997-2002. Seitdem habe ich als Grafikdesignerin, Art Director, Bildbearbeiterin und Illustratorin gearbeitet.
Die Öffnung der Hochschulen für Frauen ab den 1870er-Jahren hatte einen positiven Einfluss auf die Gleichstellung der Geschlechter. Die intellektuellen Fähigkeiten und Begabungen von Frauen wurden nicht mehr in Frage gestellt, und das Schweizer Beispiel trug zur Entwicklung eines integrativeren Hochschulwesens in anderen Ländern bei.
Für die ersten Studentinnen in der Schweiz war das Studium jedoch kein leichter Schritt. Es erforderte aussergewöhnliche Charakterstärke und Entschlossenheit. Die meisten von ihnen waren Ausländerinnen aus der Oberschicht des damaligen Russischen Reichs, zu dem unter anderem die baltischen Länder, Moldawien, die Ukraine und Weissrussland gehörten.
Später kamen auch Schweizer Studentinnen hinzu, die viele Hindernisse überwinden mussten. Die Universitäten erklärten zwar formell die Gleichstellung der Geschlechter, nahmen aber eine Zeit lang nur einheimische junge Männer auf.
Viele dieser Frauen hatten ein aussergewöhnliches Leben und machten eine aussergewöhnliche Karriere als Politikerinnen, Ärztinnen und Wissenschaftlerinnen. Aber für andere blieben ein Arbeitsplatz und akademische Anerkennung unerreichbar. Die Galerie blickt auf einige Schicksale zurück.
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