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“Vertrauensbeweis des Papstes für die Schweiz”

Georges-Marie Cottier dankt Papst Johannes Paul II. nach seiner Ernennung zum Kardinal. Keystone

Unter den von Papst Johannes Paul II ernannten neuen Kardinälen befindet sich auch der Schweizer Dominikanerpater Georges Cottier. Der päpstliche Haustheologe lebt seit 14 Jahren im Vatikan.

swissinfo sprach mit Cottier (81) zu aktuellen Fragen der katholischen Kirche.

swissinfo: Kardinal Cottier, Sie wurden für die Aufgabe, die Sie im Vatikan inne haben, schon einmal als “Gralshüter” bezeichnet. Was bedeutet dies?

Kardinal Cottier: Ich muss alle Texte gegenlesen, die für den Heiligen Vater vorbereitet werden. Ich muss verifizieren, ob die Texte mit der offiziellen Kirchendoktrin übereinstimmen und keine Zweideutigkeiten beinhalten. Denn die Verfasser der Texte stammen aus unterschiedlichsten Denkschulen und Strömungen. Deshalb braucht es eine Person, die eine ganzheitliche und einheitliche Sicht der Doktrin hat.

Mit ihrer Ernennung zum Kardinal ist die Schweiz sehr gut in der Gemeinschaft der Purpurträger vertreten. Ein kleines Land wie die Eidgenossenschaft, die auch einen grossen Anteil von Protestanten hat, kann auf drei Kardinäle zählen. Stellt dies nicht eine Übervertretung dar?

Ich hoffe nicht. Die Ernennungen zum Kardinal sind immer ein grosser Vertrauensbeweis des Heiligen Vaters für unser Land. Unsere protestantischen Brüder verstehen genau, dass diese Nominierungen von der internen Struktur unserer Kirche abhängen. Deshalb kann ich mir nicht vorstellen, dass es irgendein Problem geben könnte, weil drei Kardinäle aus der Schweiz stammen. Im Gegenteil: Ich habe sogar viele Glückwünsche von protestantischer Seite erhalten. Das hat mich sehr bewegt.

In den vergangenen Jahren hatte die katholische Kirche in der Schweiz einige Krisen zu bewältigen, von der Gründung der Gemeinschaft von Ecône über das Problem mit dem erzkonservativen Bischof Haas bis zur Vaterschaft von Bischof Vogel. Wie beurteilen Sie diese Fälle?

Die Angelegenheit von Ecône ist in der Schweiz als Fremdkörper wahrgenommen worden, denn es handelte sich ja um Franzosen, sowohl bei Bischof Lefèbre als auch bei seinen Anhängern. Aber es lässt sich nicht wegdiskutieren, dass es auch in der Schweiz Personen gab, insbesondere im Wallis, die die liturgischen Reformen als brutal empfunden haben.

Der Fall Haas ist im Prinzip an eine einzige Person gebunden. Er hängt aber auch mit der schweizerischen Besonderheit zusammen, dass einige Kantone in Angelegenheiten der Kirche mitreden können. In Rom hat man die Affäre Haas sehr ernst genommen und darüber viel nachgedacht. Denn wenn erst einmal ein Bischof in Folge von Protesten versetzt wird, ist ein Präzedenzfall geschaffen. In Rom denkt man immer auf einer universaler Ebene.

Bei Bischof Vogel in Basel handelt es sich schliesslich um einen Fall menschlichen Leids. Es ist nicht der erste Fall in der Geschichte der Kirche. Man muss Mitleid für solche Schwächen haben und für alle Menschen beten, auch für unsere Bischöfe und Priester.

Viele Katholiken in der Schweiz haben Probleme mit der Zentralisierungs-Tendenz und den starken Hierarchien ihrer Kirche. Vielen denken, dass die katholische Kirche gegenüber der protestantischen Kirche ein Demokratiedefizit aufweist.

Das Prinzip der Demokratie kann nicht auf die Kirche angewendet werden. Denn die Kirche ist ihrem Wesen nach hierarchisch geordnet. Aber es gibt auch viele Vorurteile, beispielsweise in Hinblick auf den angeblichen Zentralismus Roms. Ich bin seit 14 Jahren im Vatikan und kann feststellen, dass wir sehr viele Vernehmlassungen durchführen und Kommissionen einsetzen. Der Papst fällt seine Entscheide immer erst, nachdem er viele und die unterschiedlichsten Personen befragt hat.

Johannes Paul II hat sich gegen eine unkontrollierte Globalisierung sowie gegen den Krieg stark gemacht und sich für die Benachteiligten dieser Erde eingesetzt. Er ist ein moderner Papst, der aber gleichzeitig widersprüchliche Signale ausgesendet hat.

Ich weiss nicht, ob diese Signale widersprüchlich sind. Man müsste schauen, ob es in der Haltung des Papste nicht eine Logik gibt. Ein Übel der Welt besteht für den Papst ganz klar im philosophischen Liberalismus. Wenn der Mensch allein über gut und schlecht richtet, bedeutet dies einen Zerfall. Denn es entwickelt sich ein totaler Relativismus, ohne objektive Kriterien. Der Mensch ist allein seiner Individualität überlassen, und dies schafft Probleme.

Seit seinem Amtsantritt hat der Papst sich mit Problemen von Partnerschaft, Ehe, Familie und Sexualleben befasst. Und natürlich hat er sich immer wieder über die Sozialdoktrin gebeugt. Es gibt eine Einheit zwischen dem Einsatz für Solidarität und gegen unkontrollierte Globalisierung. Denn es geht immer um die Dominanz der Starken über die Schwachen. Die individuelle Freiheit von Personen ohne ethische Normen kann zum Machtfaktor der Unterdrückung in menschlichen Beziehungen werden.

Welches Bild von Papst Johannes Paul II wird Ihrer Meinung nach in die Geschichte eingehen?

Es wird ein Bild der Kontraste sein. Auf der einen Seite der aktive, starke und medienwirksame Mann von einst. Und auf der anderen Seite das Bild eines kranken und leidenden Papstes, so wie wir es jetzt kennen. Es bleibt vor allem das Bild eines leidenden Christus, der das Geheimnis des Glaubens in aller Tiefe durchlebt. Unsere Gesellschaft will Leiden und Tod verdrängen. Und jetzt ist da ein Mann, der dasselbe Schicksal wie viele alte Menschen, Behinderte und Kranke durchlebt und doch einen grossen Dienst an der Gemeinschaft erbringt. Es wird einen starken Eindruck hinterlassen.

swissinfo-Interview: Paolo Bertossa und Mariano Masserini
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Kardinal Cottier wurde am 25. April 1922 in Celigny GE geboren.
Seit 1989: Theologe des Papstes. Zuvor war er Philosophieprofessor an den Universitäten von Freiburg und Genf.
Cottier ist seit 1945 Dominikaner.

Der Schweizer Dominikanerpater Georges Cottier dient Johannes Paul II. als Haustheologe. Dem Kardinalskollegium gehören nun drei Schweizer an; die beiden anderen sind Henry Schwery, ehemaliger Bischof von Sitten, und Gilberto Agustoni.

Nach der Ernennung von 30 neuen Kardinälen zählt das Kollegium der Purpurträger nun 195 Angehörige. 135 von ihnen – aus 59 Ländern – erfüllen heute die Bedingungen, um am Konklave teilnehmen zu können, in dem der Nachfolger Johannes Pauls II. gewählt werden wird; die anderen 60 Kardinäle sind ausgeschlossen, da sie über 80 Jahre alt sind.

Die 66 Kardinäle aus Europa stellen den grössten Block, jedoch nicht mehr die absolute Mehrheit im Konklave. 38 Kardinäle stammen aus Nord- und Südamerika. 18 Kirchenfürsten stammen aus Asien und Ozeanien. Afrika stellt 13 Kardinäle.

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