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Gegen Ausbeutung: Gemeinden sollen handeln

Schlechte Arbeitsbedingungen: Hier in China. Reuters

Viele Gemeinden schauten beim Einkauf von Waren nur auf den Preis, kritisiert das Schweizerische Arbeiterhilfswerk SAH. Damit nähmen sie Ausbeutung, Sklaverei und Kinderarbeit in Kauf. Eine neue Kampagne will die Einkaufspolitik (fair)ändern.

Pflastersteine für Schweizer Strassen, abgebaut unter ausbeuterischen Bedingungen in indischen Steinbrüchen, oder von pakistanischen Kindern genähte Fussbälle in den Schulen: Für solche Zustände seien Gemeinden mitverantwortlich: “Statt bei der Beschaffung von Gütern ein paar Franken sparen zu wollen, sollten sich Gemeinden und Städte um die Einhaltung der elementaren Menschen- und Arbeitsrechte kümmern”, fordert SAH-Medienbeauftragter Christian Engeli.

Die öffentliche Hand könne Einiges bewegen und habe besonders dort Einfluss, wo es um grössere Einkaufsmengen gehe, führt Engeli aus.

Das Beschaffungsvolumen der öffentlichen Hand schätzt das SAH auf jährlich 36 Mrd. Franken. Ins Gewicht fallen laut Engeli der Bausektor mit seinem Bedarf an Natursteinen wie auch Textilien, die in Spitälern und Altersheimen verwendet werden. Kaffee und Tee in Kantinen von Gemeindebetrieben oder Fussbälle im Turnunterricht machten einen weiteren grossen Anteil aus. “Als Alternative könnten Fair-Trade-Produkte dienen”, sagt Engeli.

Faire Beschaffung fordert die am “Internationalen Tag der Erinnerung an Sklavenhandel und dessen Abschaffung“ (23. August) lancierte SAH-Kampagne. Auf ihrer Website können Bürgerinnen und Bürger ihre Gemeinde anfragen, ob diese ihre Güter fair beschaffe. “Welche Ausbeutung wollen Sie?“, lautet der provokative Titel.

Viel Engagement

Das Design der Kampagne lehnt an ein Werbeprodukt einer grossen Schweizer Partei an. Im Gegensatz zur Schweizerischen Volkspartei (SVP) stehe das SAH “aber dafür ein, dass sich die Schweiz für positive Werte einsetzt: Das Schweizerkreuz soll für Solidarität, humanitäres Engagement und Weltoffenheit stehen“, betont Engeli.

In den Gemeinden gebe es viele engagierte Leute, die sich für soziale Nachhaltigkeit einsetzten, fügt er an. Dies belegten Städte, die eine faire Beschaffungspolitik umsetzten.

“Am konsequentesten sind Zürich und Arlesheim.” Von Bern bis Luzern hätten sich bereits rund hundert Gemeinden auf eine faire Einkaufspolitik verpflichtet. Die Kampagne wolle nicht nur Druck machen, sondern weiter positive Kräfte stärken.

Handlungsbedarf bleibt

Der Kanton Graubünden habe neue Richtlinien zu fairer Beschaffung geschaffen: “Die Bündner Gemeinden sind aber noch nicht so weit.” Insgesamt gebe es noch immer rund 2500 Gemeinden, die Ausbeutung in Kauf nähmen. Sie sollen über die Kampagne zum Kurswechsel bewegt werden.

“Unsere Erfahrung zeigt, dass die Gemeinden antworten werden, selbst wenn sie nicht dazu verpflichtet sind”, meint Engeli. Die Resultate der Gemeindebefragung will das SAH Ende September vorstellen.

“Am ersten Kampagnentag haben bereits 120 Personen mitgemacht. Es werden sicher mehrere hundert Anfragen an Gemeinden eintreffen”, schätzt Engeli.

Steuergelder: Günstig oder billig einsetzen

Allerdings wird auch mit dem Preis argumentiert. Die öffentliche Hand müsse günstig beschaffen, heisst es immer wieder. “Günstig” sollte aber nicht “ausbeuterisch billig” bedeuten, sagt Engeli. Bereits 2008 hatte eine SAH-Kampage “Keine Ausbeutung mit unseren Steuergeldern“ gefordert.

Dieselben Forderungen stellen weitere Entwicklungs-Organisationen und Hilfswerke. Die ökumenische Kampagne von Brot für alle und Fastenopfer lief im Frühling 2010 unter dem Titel “Stoppt den unfairen Handel”.

Dabei hatten die beiden Werke ihre Umfragen in den Kantonen zu “Fair Trade im öffentlichen Beschaffungswesen” vorgelegt. Sie zeigte ein uneinheitliches Bild im kantonalen Beschaffungswesen.

Nicht wesentlich höhere Kosten

“Als interessantes Detail fällt auf, dass Beschaffungsämter, die bereits soziale und ökologische Kriterien eingeführt haben, keine wesentliche Kostenerhöhung feststellten”, betont Beat Dietschy, Zentralsekretär von Brot für alle.

Zusammen mit Fastenopfer und weiteren NGO habe seine Organisation sehr früh Impulse für fairen Handel und gerechte Arbeitsbedingungen gegeben.

Mit dem SAH arbeiten die beiden Werke in einer informellen Arbeitsgruppe zusammen. “Unwürdige Arbeitsbedingungen und unfaire Handelsbeziehungen sind auch aus unserer Sicht ein wichtiger Grund für die Armut und den Hunger in vielen Entwicklungsländern”, sagt Dietschy. Angesichts der zunehmenden Armut weltweit gehe es nicht um Waren, sondern um Menschenleben.

Dem SAH zufolge werden weltweit immer noch 12’000’000 Menschen als Sklaven gehalten.

218’000’000 Kinder werden weltweit zum Arbeiten gezwungen.

1’200’000’000 Menschen arbeiten für Löhne unter zwei Dollar pro Tag. Das sind knapp 20% der gesamten Weltbevölkerung.

Während 1,8 Milliarden Menschen informell arbeiten, also ohne Arbeitsvertrag, soziale Sicherheit, Rechtsschutz und meist zu miserablen Löhnen, haben nur 1,2 Milliarden einen Vertrag.

Über 40% aller Beschäftigten verdienen pro Tag weniger als 2 US-Dollar und leben damit (nach Definition der UNO) in Armut.

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