
Grosses Unfallrisiko an Tunneleinfahrten

In der Schweiz hat es mehr als 200 Strassentunnel. Unfälle in Tunnels können katastrophale Folgen haben. Besondere Risikozonen sind die Eingänge, das zeigen die Unfälle im Gubristtunnel, der meist befahrenen Strassenröhre des Landes.
Das Strassennetz der Schweiz umfasst 1800 Kilometer. Davon führen 11 bis 12 Prozent durch insgesamt 220 Tunnels. Das heisst, einer von neun Kilometer Strasse führt durch eine Röhre.
Und zu Tunnelunfällen kommt es ständig! 39 Tote im französischen Mont-Blanc-Tunnel 1999, 12 im österreichischen Tauern im gleichen Jahr, 2001 dann elf Todesopfer im Gotthardtunnel.
Spätestens seit diesen Tragödien sind die Gefahren in diesen Strassenabschnitten bekannt. Die europäischen Länder haben in der Folge ihre meistbefahrenen Tunnel kontrolliert und dort renoviert, wo es nötig war.
Was sind die Gründe?
Die Tunneleinfahrten sind besonders unfallgefährdete Abschnitte.
«Es gibt keine Detailzahlen», sagt Thomas Rohrbach, Sprecher des Bundesamtes für Strassen Astra. Die Anzahl Unfälle in den Tunnelbereichen sei sogar tiefer als auf den offenen Strassenabschnitten.
«Trotzdem haben wir in den letzten Jahren eine Zunahme der Unfälle im schweizweit meistfrequentierten Gubrist-Tunnel festgestellt. Allein auf diesen Tunnel entfällt ein Drittel der Staus auf Nationalstrassen», sagt Rohrbach.
Staus an solchen neuralgischen Stellen hätten aber Auswirkungen auf andere Streckenabschnitte. «Ein kleiner Auffahrunfall genügt. Deshalb möchten wir den Ursachen dieser Unfälle nachgehen.»
Die ersten zweihundert Meter
Das Astra hat deshalb das Departement für Management, Technologie und Ökonomie der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) um eine Untersuchung gebeten.
Privatdozent Marino Menozzi und sein Team haben während drei Jahren die Gründe für das gehäufte Auftreten von Unfälle gesucht und mögliche Lösungen vorgeschlagen. Der Kanton Zürich trägt die Kosten mit.
Statistiken zeigen, dass die delikate Zone relativ eingeschränkt ist: Laut Menozzi kommen Unfälle im Bereich der ersten zweihundert Meter nach der Einfahrt häufiger vor. Einmal tiefer im Tunnel, nimmt die Häufigkeit ab, um dann 400 bis 200 Meter vor dem Tunnelausgang wieder zuzunehmen.
Licht und Auge: Grosse Kontraste überbrücken
Von aussen betrachtet fällt Menozzis Laboratorium kaum auf. Die Experimente werden in einer alten Garage auf rund 20 Quadratmetern Fläche ausgeführt. Ein Autositz, ein Steuerrad, drei Pedale und viele Kabel machen den Simulator aus. Vor dem Sitz ein Bildschirm, drum herum zahlreiche Rechner.
«Es gibt bereits Studien zur Leuchtdichte zwischen 8000 Candelas pro Quadratmeter draussen und 50 bis 60 Candelas pro Quadratmeter drinnen, sofort nach der Einfahrt», sagt Menozzi. Candala ist die Messeinheit einer Lichtquelle, wie sie vom menschlichen Auge erfasst wird.
Das Auge brauche einen Augenblick, um sich zu gewöhnen. «In diesem Augenblick ist der Lenker fast blind. Er nimmt Bewegungen kaum mehr wahr, was zu Momenten der Dekonzentration führt.»
Die Folgen von grossen Licht-Dunkel-Kontrasten sind noch nicht untersucht worden. Am Eingang des neuen Strassentunnels unter dem Uetliberg im Westen Zürichs hat Menozzi sogar 14’000 Candelas pro Quadratmeter im Aussenbereich gemessen.
Alterung der Gesellschaft
Ausserdem werde sich das Problem der Kontraste zwischen hell und dunkel mit der zunehmenden Alterung der Gesellschaft noch verstärken, so der Forscher. Eine 55-jährige Person braucht mehr Licht als eine von 20 Jahren. Paradoxerweise ist aber mehr Licht kontraproduktiv, da es verschiedene Zonen des Auges stört, wie etwa Linse oder Hornhaut. Im Alter werde man auch leichter geblendet, präzisiert der Physiker, der auf Fragen des Sehens spezialisiert ist.
Der Licht-Schatten-Kontrast ist aber nicht das einzige Hindernis beim Einfahren in einen Tunnel: Bauart, Farbe und Materialwahl spielen ebenso eine Rolle. «Der Beton wird immer heller, was das Licht besser reflektiert», sagt Menozzi. «Der Anbau von dunkeln Pflanzen vor Portalen, wie man ihn früher pflegte, war günstiger, um das Blenden zu verhindern.»
Der Simulator erlaubt, die Reaktion der Versuchskaninchen in verschiedenen Lichtkontrasten zu testen. Die Anzahl der Testpersonen muss noch bestimmt werden, um zu aussagekräftigen Aussagen zu kommen. Die Forschenden wollen die Wahrnehmung der Geschwindigkeit und der Nähe zum nächsten Fahrzeug messen, wie auch das Verständnis von Strassenschildern und anderen Objekten im Tunnel.
Auch die Pupillen sollen analysiert werden: Ein Helm zeichnet alle ihre Bewegungen auf. «Wir wollen wissen, wohin der Fahrer blickt, wenn er in einen Tunnel einfährt», sagt Mario Menozzi.
Kostenfrage
Würde es nicht reichen, das Licht in den ersten 50 Metern eines Tunnels zu verstärken, um den Kontrast zu verringern? «Das ist ein Problem des Energieverbrauchs», sagt der Forscher. «Die Westumfahrung von Zürich beispielsweise braucht ebenso viel Strom wie eine kleinere Stadt. Trotzdem muss man auch bedenken, dass die Kosten eines kleinen Unfalls oft gegen 40’000 Franken betragen. Das ist auch viel.»
Menozzi ist im Moment nicht der Meinung, dass die Ein- und Ausfahrten aller Tunnels umgebaut werden sollten: «Die Dächer, die man am Anfang gewisser Tunnels installiert hat, um eine Übergangsphase zu schaffen, scheinen sehr gut zu funktionieren. Und sie sind sicher viel akzeptierter als Tempobeschränkungen oder», scherzt der Forscher, «die Aufforderung, vor dem Tunneleintritt fünf Minuten im Schatten zu verbringen, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen».
In ganz Europa gibt es ungefähr 700 Strassentunnels, die länger als 1 Kilometer sind, darunter 8, die länger als 10 Kilometer sind. (Quelle: Europäische Kommission zur Tunnelsicherheit in Europa)
Alle Tunnels halten die internationalen Normen ein, nach denen ein gewisser Prozentsatz Tageslicht beim Eingang garantiert sein muss.
Im 3,3 Kilometer langen Gubrist-Tunnel (Nordumfahrung von Zürich) haben die Unfälle auf der ganzen Strecke zugenommen. In den letzten 5 Jahren sind dort gemäss der Zürcher Kantonspolizei 88 Unfälle passiert.
Im Kanton Uri, wo sich der Nordeingang des Gotthardtunnels befindet, bestätigt die Polizei, dass in der Nähe des Portals viel weniger Unfälle geschehen als auf den offenen Strecken. «Das Tropfensystem erlaubt uns, den Schwerverkehr gezielt in den Tunnel zu lenken. Der Verkehrsfluss ist dadurch homogen», heisst es. Seitdem diese Massnahme nach dem schweren Unfall von 2001 mit 11 Toten in Kraft ist, hat die Anzahl Unfälle signifikant abgenommen, sagt die Urner Polizei.
(Übertragung aus dem Französischen: Alexander Künzle)

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