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Neuwahlen in Kosovo: Chronik eines Stillstands

Eine Gruppe von Menschen hebt während einer Sitzung im Parlament die Hände
Eine Abstimmung im kosovarischen Parlament im 19. November 2025. Armend Nimani / AFP

Nach den Wahlen im Februar 2025 rutschte Kosovo in eine institutionelle Krise. Das Westbalkanland scheiterte an der Regierungsbildung, mit einschneidenden Folgen. Ende Dezember 2025 finden Neuwahlen statt. 

Kosovo hat am 9. Februar gewählt. Erstmals in der Geschichte der jungen Demokratie durften Kosovar:innen im Ausland ihre Stimme in den diplomatischen Vertretungen abgeben. Und auch in der Schweiz zog es an diesem Tag tausende Menschen an die Urne: Auf der Botschaft in Bern und in den Konsulaten in Zürich und Genf haben sich insgesamt fast 4000 Personen registriert, um ihren Wahlzettel persönlich abzugeben.

Einer von ihnen war Sabahet Meta. Nach erfüllter Bürgerpflicht trat er an diesem kühlen Februarmorgen euphorisch aus der Berner Botschaft. «Wie weit wir schon gekommen sind!», sagte er damals über sein Herkunftsland.

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Doch Ende 2025 ist von der Euphorie bei Sabahet Meta nichts mehr zu spüren. Wie bei vielen in der kosovarischen Diaspora, in der Schweiz aber auch international. Denn Kosovo befindet sich in einer institutionellen Krise.

Seit den Parlamentswahlen vor 10 Monaten hat das kleine Land im Westbalkan keine neue Regierung. Alleine für die Wahl des neuen Parlamentssprechers braucht es fast 60 Anläufe. Über ein halbes Jahr ist das Parlament deshalb nicht handlungsfähig. Ende Oktober 2025 ist die Regierungsbildung definitiv gescheitert. Am 28. Dezember stehen nun Neuwahlen an.

Lesen Sie auch unsere Reportage vom kosovarischen Wahltag im Februar 2025:

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Der Stillstand kommt dem Land teuer zu stehen. Kosovo ist auf Fördergelder der Europäischen Union angewiesen, um seine wirtschaftliche Entwicklung und seine strukturellen Reformen voranzutreiben.

Der Zugang zu diesen EU-Mitteln ist jedoch wegen der aktuellen Krise blockiert. Kosovo droht dadurch, mindestens 170 Millionen EuroExterner Link zu verlieren. Kosovo, das seine Unabhängigkeit 2008 erklärte, zählt noch immer zu den ärmsten Ländern Europas.

Wie ist es zu dieser Entwicklung gekommen, dass die staatlichen Institutionen so lange handlungsunfähig waren? Nach der Wahl im Februar 2025 schienen die Mehrheitsverhältnisse zunächst klar: Die Linkspartei des amtierenden Premierministers Albin Kurti hat die Wahlen für sich entschieden: 42,3% entfielen auf die Vetëvendosje (VV). Die beiden grössten Oppositionsparteien, die PDK und die Demokratische Liga des Kosovo (LDK), kamen auf 20,9% beziehungsweise 18,3%.

Doch Vetëvendosje hat die erhoffte absolute Mehrheit verfehlt. Die Partei war auf Koalitionspartner angewiesen. Eine solche Koalitionsbildung erwies sich jedoch als schwierig. Aber es ist eine verfassungsrechtliche Bedingung für die Regierungsbildung, dass erst die Parlamentssprecher:in ernannt wird. Das schien wie eine vermeintliche Formalität, aber die Opposition lehnte die von VV vorgeschlagene Kandidatin, Justizministerin Albulena Haxhiu immer wieder ab. Sie gilt bei der Opposition als zu parteiisch, zu unausgewogen. Wahlanlauf um Wahlanlauf scheitert.

US-Botschaft forderte Einigung

Im Juli steht noch immer keine Sprecher:in fest. In der Bevölkerung wächst der Ärger und die internationale Gemeinschaft zeigt sich besorgt. Die US-Botschaft in PrishtinaExterner Link fordert die Parteien zur Einigung auf: «Diese anhaltende Blockade verzögert den Fortschritt Kosovos und gefährdet die Integrität der hart erkämpften Institutionen», heisst es der US-Erklärung, «Das kosovarische Volk erwartet von seinen politischen Führern, dass sie im besten Interesse des Landes handeln.»

Und auch die kosovarische Zivilgesellschaft wird laut. Der Aktivist Eugen Cakolli vom Demokratischen Institut des Kosovo sagt: «Wir erheben unsere Stimme, wenn der Staat blockiert ist und wenn die politischen Vertreter – ob Regierung oder Opposition – ihre Funktionen nicht ausüben.»

Für Expert:innen offenbart die Pattsituation den tiefen Graben zwischen Vetëvendosje und den Oppositionsparteien. Die kosovarische Politologin Donika Emini verwies in einer AnalyseExterner Link auf eine politische Kultur, die sich insbesondere im Zusammenhang mit Wahlen und Koalitionsbildungen nie ausreichend gefestigt habe, um Regierungsprogramme in den Vordergrund zu stellen. Stattdessen werde die politische Landschaft vom Ringen um Macht geprägt, häufig geleitet von individuellen Interessen.

Ende August ein vermeintliches Aufatmen: Der VV-Politiker Dimal Basha erhält mit 73 Ja-Stimmen genug für die Wahl zum Parlamentssprecher. Die Prozesse gehen voran: Am 10. Oktober kann das Parlament – nach weiteren gescheiterten Anläufen zur Wahl der Stellvertretung des Parlamentssprechers – seine Arbeit aufnehmen. Die kosovarische Präsidentin Vjosa Osmani beauftragt nun Vetëvendosje mit der Regierungsbildung.

Doch am Sonntag, dem 26. Oktober, scheitert diese definitiv. Keine Partei ist bereit, mit Albin Kurti zu koalieren. Auch der Versuch einer Minderheitsregierung scheitert: Das von ihm vorgeschlagene Kabinett wird vom Parlament abgelehnt.

Sabahet Meta verfolgt die Nachrichten an diesem Sonntag von Bern aus. «Es ist sehr enttäuschend, dass wir nach Monaten noch immer keine Regierung haben. Ich bin schockiert über die Sturheit der Politiker», sagt der Schweiz-Kosovare.

Unmut, Streiks und Proteste in Kosovo

Unmut herrscht auch im Land selbst. In den vergangenen Monaten protestierten Bürger:innen in Prishtina gegen den politischen Stillstand, versammelten sich vor dem Parlament und forderten die Verantwortlichen zum Handeln auf. Ende Oktober richteten 21 zivilgesellschaftliche Organisationen einen gemeinsamen ProtestbriefExterner Link an Präsidentin Osmani. Darin warnten sie vor den Folgen der Blockade: Je länger das Land ohne funktionierende Regierung bleibe, desto spürbarer würden die Konsequenzen für die Bevölkerung.

Teile des staatlichen Budgets sind aufgrund der institutionellen Krise blockiert. Es kommt zu Demonstrationen und Streiks. So protestierten Anfang November Mitarbeiter:innen des öffentlichen kosovarischen Fernsehsenders RTK wegen den ausbleibenden Löhnen – mit Schildern, auf denen in Albanisch stand: «Mitarbeiter der RTK, nicht Opfer der Krise». Die institutionelle Krise führt schliesslich auch zum buchstäblichen Stillstand: Am 12. November wird der öffentliche Verkehr in Prishtina eingestellt. Busfahrer:innen treten in den StreikExterner Link, weil ihre Löhne nicht ausgezahlt werden. Neun Tage lang bleibt die gelbe Busflotte im Depot. Der Druck wirkt; das Finanzministerium spricht die nötigen Mittel trotz der Situation.

Der Unmut ist gross. Die offene Frage vor den Neuwahlen Ende Dezember ist, wem die Kosovar:innen die Schuld für die institutionelle Krise geben: Der bisherigen Regierung oder der Opposition?

Die Regierungspartei VV macht derweil für die Neuwahlen intensiv Wahlkampf in der Schweizer Diaspora. Hunderte Anhänger:innen empfingen Albin Kurti Mitte Dezember bei einer Wahlkampfveranstaltung seiner Partei in Zürich.

Bei den Neuwahlen will auch Sabahet Meta aus Bern wieder an die Urne gehen. Resigniert ist der Schweiz-Kosovare also noch nicht.

Warum gibt es so viele Verbindungen zwischen der Schweiz und Kosovo? Lesen Sie auch unseren Themenfokus dazu:

Editiert von Benjamin von Wyl

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