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1880: Der Suizid im Bundesrat

Zwei diffamierende Illustrationen eines Manns von 1880
Der Nebelspalter druckte im Dezember 1880 diffamierende Illustrationen von Fridolin Anderwert ab. Zentralbibliothek Zürich

Fridolin Anderwert hat sich am 25. Dezember 1880 das Leben genommen. Dem Suizid des Bundesrats ist eine mediale Schlammschlacht vorausgegangen.

SWI swissinfo.ch publiziert regelmässig Artikel aus dem Blog des NationalmuseumsExterner Link, die historischen Themen gewidmet sind. Die Artikel sind immer in deutscher und meistens auch in französischer und englischer Sprache verfasst.

Am 25. Dezember 1880 nimmt sich Bundesrat Fridolin Anderwert auf der «Kleinen Schanze» in Bern das Leben. Der Ostschweizer ist bis heute der einzige Bundesrat, der durch Suizid aus dem Leben schied. Was hat zu seinem tragischen Tod geführt?

Fridolin Anderwert stammt aus einer alteingesessenen Familie aus dem thurgauischen Emmishofen bei Kreuzlingen. Er studiert Geschichte und Philosophie, später Rechtswissenschaften und eröffnet 1851 ein Anwaltsbüro in Frauenfeld.

1875 wird Anderwert in den Bundesrat gewählt. Davor war er bereits seit 1861 in der Politik tätig, als Kantonsrat, Grossratspräsident, Nationalrat und Regierungsrat.

Zudem ist er 1872 und 1874 Mitglied der Revisionskommission und prägt mit zahlreichen Anträgen die neue Bundesverfassung mit.

Die Amtszeit von Bundesrat Fridolin Anderwert ist vor allem von der Arbeit am schweizerischen Obligationen- und Handelsrecht (lateinisch obligatio «Verpflichtung», ist das Recht der Schuldverhältnisse) geprägt.

Doch daneben muss er sich mit parteipolitischen Auseinandersetzungen herumschlagen. Anderwert ist es zuwider, sich blind dem Parteidiktat der radikalen Fraktion (heute FDP) zu fügen und stellt deshalb die Interessen der Partei oft hintan.

Dies wird ihm von der Partei als Verrat ausgelegt. Teilweise wird er dafür heftig angegriffen. Als er beispielsweise den Rekurs eines ausgewiesenen Asylanten abweist, wird er als «Sozialistenfresser» beschimpft.

Porträt eines Manns, um 1870
Porträt von Fridolin Anderwert, um 1870. Musée national suisse

Gehässige Medien­kam­pa­gne

Am 10. Dezember 1879 wird Vizepräsident Emil Welti zum Bundespräsidenten und Fridolin Anderwert zum Vizepräsidenten gewählt.

Gemäss dem geltenden parlamentarischen Brauch, dass der Vizepräsident zum Präsidenten nachrückt, wird der Ostschweizer im Dezember 1880 zum Bundespräsidenten gewählt.

Darauf folgt eine boshafte Pressekampagne gegen den Junggesellen. Der Nebelspalter druckt mehrere diffamierende Illustrationen. Nicht nur die Essgewohnheiten des übergewichtigen Bundesrates, sondern auch nie bewiesene Gerüchte über Bordellbesuche werden verbreitet.

Das Andelfinger Volksblatt und die Berner Tagwacht schreiben am 25. Dezember 1880 sogar: «Wir dürfen nicht nur, wir sind es der Wahrheit schuldig, zu sagen, dass das Amt eines Bundespräsidenten noch nie von einem Manne bekleidet wurde, der desselben moralisch unwürdiger war als Anderwert. Seine Wahl ist eine Schande für die ganze Eidgenossenschaft.»

Anderwert ist zu dieser Zeit körperlich angeschlagen. Er fühlt sich krank und abgekämpft, ignoriert aber den dringenden ärztlichen Rat, sich aller Geschäfte zu enthalten – zuerst möchte er den Gesetzesentwurf zum Obligationen- und Handelsrecht vollenden.

Auch am 25. Dezember 1880 arbeitet er zusammen mit Bundesrat Welti noch einige Stunden daran. Abends will Fridolin Anderwert für die Feiertage zu Mutter und Schwester nach Zürich fahren und danach zu einem längeren Kuraufenthalt nach Italien.

Doch es kommt anders: Anderwert setzt sich auf eine Bank auf der «Kleinen Schanze» und beendet sein Leben mit einem Pistolenschuss. Was diesen spontan erscheinenden Suizid ausgelöst hat, wissen wir bis heute nicht.

Die Nachricht von Fridolin Anderwerts Tod löst in der ganzen Schweiz Entsetzen aus. Über die Schuldfrage bilden sich schnell zwei Lager: Die einen machen allein die masslose Hetze der Presse für das tragische Ereignis verantwortlich, die anderen sehen die angeschlagene Gesundheit des Bundesrates als ausschlaggebenden Grund.

Die genauen Gründe, wieso sich der Thurgauer Politiker zu diesem tragischen Schritt entschlossen hat, werden wohl nie ganz geklärt werden können.

Aus dem heute verschollenen Abschiedsbrief an seine Mutter und Schwester wurde nur der letzte Satz veröffentlicht: «Ihr wollet ein Opfer, Ihr sollet es haben.»

Marina Amstad ist Historikerin und Ausstellungskuratorin beim Schweizerischen Nationalmuseum.

Der Originalartikel auf dem Blog des Schweizerischen NationalmuseumsExterner Link

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