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Nach Kürzungen von US-Hilfe: Arbeitsplätze und Ansehen des internationalen Genf akut bedroht

Die Kürzungen der USA bedrohen das internationale Genf.
Die Kürzungen der USA bedrohen das internationale Genf. Illustration: SWI swissinfo.ch

Die Stadt Genf rechnet mit zunehmenden wirtschaftlichen Problemen infolge der drastischen Kürzungen der Auslandhilfe durch Präsident Trump. Die neue US-Politik könnte auch das Image der Stadt als Zentrum der internationalen und multilaterale Zusammenarbeit beeinträchtigen, es sei denn, andere Donatoren und Regierungen füllen die Finanzlücke.

Kurz nach Amtsantritt kündigte die Trump-Administration Anfang Januar eine Kürzung um 83% des US-Haushalts für Auslandhilfe an. Dies entspricht 71,9 Milliarden Dollar. Viele dieser Kürzungen sind umgehend in Kraft getreten.

Und sie haben somit unmittelbare Auswirkungen auf die Stadt Genf, in der Hunderte von Nichtregierungsorganisationen (NGO) ansässig sind, von denen viele auf die Finanzierung durch die USA angewiesen sind.

Die USA sind mit über einem guten Viertel aller Spenden (26,3 %) der grösste öffentliche Financier für die in Genf niedergelassenen Organisationen.

Die Organisationen haben mit der Kündigung von Mitarbeitenden begonnen und verlängern keine kurzfristigen Arbeitsverträge. Sie haben ihre Büroflächen verkleinert und aus ihren Veranstaltungen reine Online-Events gemacht. All dies sind Veränderungen, die erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaft der Stadt haben.

Die Internationale Organisation für MigrationExterner Link (IOM) hat zum Beispiel angekündigt, 20% ihrer 1000 Mitarbeitenden in Genf zu entlassen.

Ricardo, der als Berater für die IOM tätig ist und mit SWI swissinfo.ch unter der Bedingung von Anonymität sprach, hatte eine Verlängerung seines Vertrags Ende des Monats erwartete. Nun hat er erfahren, dass dies nicht der Fall sein wird.

«Seit Anfang Februar sind viele Verträge einfach gekündigt worden», erzählt er. Und weiter: «Die Atmosphäre am Arbeitsplatz ist schrecklich. Die Ungewissheit lastet auf allen.»

Wenn Ricardo keine neue Stelle findet, muss er innerhalb von drei Monaten in sein Heimatland in Lateinamerika zurückkehren.

Viele bei den internationalen Organisationen tätige Personen dürfte das gleiche Schicksal ereilen. Sie sind wohl gezwungen, die Schweiz zu verlassen, wenn ihre Aufenthaltsgenehmigung ausläuft.

«Genf ist eine privilegierte Blase, aber wenn es zu einer Krise kommt, kann die Situation je nach Nationalität sehr prekär werden», sagt er.

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Das internationale Genf in Zahlen

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Ein Finanzstrom versickert

Die Kürzungen kommen nach zwei Jahrzehnten eines stetigen Anstiegs der internationalen Beiträge an die Genfer Organisationen. Im Jahr 2020 erreichten die Zuwendungen 23,6 Milliarden Dollar, davon stammten 90,1 % von der öffentlichen Hand.

«Keine internationale Organisation erhält weniger als 20 % ihrer Mittel aus den USA. Ein Einfrieren von Subventionen in dieser Grössenordnung hat schwerwiegende Auswirkungen auf die gesamte Branche», sagt Julien Beauvallet, Leiter des Dienstes für die Zivilgesellschaft beim Centre d’Accueil de la Genève InternationaleExterner Link (CAGI).

Trump und die USA stehen mit ihrem Entscheid nicht allein da. Die drastischen Kürzungen der Mittel spiegeln einen umfassenderen und weltweiten Trend, die internationale Hilfe zurückzufahren.

Diese Entwicklung ist unter anderem auf die steigende Verschuldung vieler Länder zurückzuführen sowie auf den Umstand, dass die Einsparungen zur Erhöhung der Verteidigungsausgaben genutzt werden.

Das Vereinigte Königreich als zweitgrösster öffentliche Geldgeber des internationalen Genfs hat vor kurzem sein Entwicklungshilfebudget um 40% gekürzt. Auch die Schweiz hat ihre Beiträge um 5,6% gesenkt.

«Das Vertrauen und das Interesse der traditionellen Geberländer an der Finanzierung internationaler Organisationen ist weltweit gesunken», so Beauvallet.

Verteilung von US-Hilfe in einem Lager in Somalia, 2025.
Verteilung von US-Hilfe in einem Lager in Somalia, 2025. Copyright 2025 The Associated Press. All Rights Reserved

Diese Kürzungen fallen gleich noch in eine Zeit, in der der weltweite Bedarf an humanitärer Hilfe stark ansteigt. Das erhöht den finanziellen Druck auf die in Genf ansässigen Institutionen noch weiter.

Das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer AngelegenheitenExterner Link (OCHA) schätzt, dass im Jahr 2025 rund 305 Millionen Menschen humanitäre Hilfe und Schutz benötigen werden. Diese Zahl hat sich in den letzten fünf Jahren verdoppelt.

Gravierende wirtschaftliche Folgen

Die internationalen Organisationen, Missionen und Konsulate sind die wirtschaftlichen Stützen der Stadt Genf. Sie beschäftigen mehr als 33’000 Menschen. Weitere 3400 Arbeitsplätze gibt es in den 476 NGOs der Stadt.

Insgesamt speisen diese Einrichtungen sieben Milliarden Franken in die Genfer Wirtschaft ein – das entspricht fast 9% des Bruttosozialprodukts der Stadt.

«Drastische Mittelkürzungen werden Entlassungen auslösen, die Hunderte von Menschen betreffen könnten. Wir stehen vor der Gefahr eines Tsunamis mit Ansteckungsgefahr», sagt Vincent Subilia, Generaldirektorin der Genfer HandelskammerExterner Link.

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Die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Kürzungen gehen weit über die internationalen Institutionen im engeren Sinne hinaus und betreffen auch das Hotel- und Tourismusgewerbe sowie die Immobilienbranche.

«Diese Organisationen sind Teil des Genfer Ökosystems. Wenn sie betroffen sind, wird die ganze Genfer Wirtschaft in Mitleidenschaft gezogen», warnt Subilia.

«Hotels, Restaurants, Taxis und andere Dienstleistungen werden direkt betroffen sein.» Das CAGI wurde von Organisationen kontaktiert, die ihre Büroflächen verkleinern wollen.

Viele Konferenzen werden mittlerweile ins Internet verlagert und online abgewickelt, was das Gastgewerbe zu spüren bekommt.

Die Genfer Tourismusbranche, die im zweiten Quartal 2024 mit mehr als eine Million Logiernächte einen Rekordwert verzeichnete, steht nun vor einer unsicheren Zukunft.

Die Genfer Stiftung für Tourismus und KongresseExterner Link rechnet in den kommenden Monaten mit einem Rückgang der Buchungen, da die Zahl der internationalen Veranstaltungen rückläufig ist.

Ein Schlag für das Ansehen von Genf

Abgesehen von den wirtschaftlichen Auswirkungen ist laut Subilia auch der Ruf Genfs als Zentrum der multilateralen Diplomatie bedroht. Beauvallet befürchtet seinerseits, dass einige Nichtregierungsorganisationen ganz schliessen müssen: «Das ist eine reale Gefahr, da einige Organisationen für ihre Finanzierung zu 40 bis 60% von den USA abhängig sind.»

Private Donatoren könnten zwar einen Teil des Schadens kompensieren, aber die amerikanischen Zuwendungen liessen sich damit kaum ersetzen.

«Wir sehen keine unmittelbare Reaktion anderer Länder, im Unterschied zu Trumps erster Amtszeit, als die europäischen Länder ihre Mittel für Initiativen wie reproduktive Gesundheit und Menschenrechte aufstockten», sagt Beauvallet.

Es bleibt im Moment eine reine Spekulation, wonach neue Geberländer wie China oder die Golfstaaten die Finanzlücke füllen könnten. Vor allem haben diese bisher kein besonderes Interesse gezeigt, in die Bresche zu springen.

«Selbst wenn sie es wollten, bräuchten diese Übergänge Zeit», meint Beauvallet. Somit bleibt in Genf das Risiko einer finanziellen Instabilität sehr gross. Die Agentur BloombergExterner Link titelte dieser Tage: «Trump-Kahlschläge bei Hilfsorganisationen erschüttern Genf.»

Können die Stadt Genf und die Eidgenossenschaft etwas tun?

Um die negativen Konsequenzen abzufedern, hat die Stadt Genf 2 Millionen Franken zur Unterstützung der betroffenen NGOs freigegeben, während der Kanton einen Notfallfonds in Höhe von zehn Millionen Franken zur Unterstützung der betroffenen NGO-Mitarbeiter:innen vorgeschlagen hat.

Allerdings könnten diese Bemühungen auf politischer Ebene gebremst werden. Das Genfer Kantonsparlament hat bisher die Dringlichkeit der Massnahmen abgelehnt, so dass sich deren Umsetzung verzögern dürfte.

Subilia ist der Meinung, dass die Schweizer Regierung (Bundesrat) eine aktivere Rolle zum Schutz des internationalen Genfs einnehmen sollte, «da dieses ein Kernstück der Schweizer DNA ist».

Immerhin: Vor kurzem kündigte das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA eine Aufstockung seines Budgets für das internationale Genf um 5% an, was zusätzlichen 1,2 Millionen Franken pro Jahr entspricht.

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Beauvallet sieht die momentane Krise als potenziellen Wendepunkt für das Land: «Die Schweiz hat die Möglichkeit, ihre Position als Zentrum für Nichtregierungsorganisationen zu stärken, indem sie in einer Zeit, in der internationale Organisationen mit zunehmender finanzieller Unsicherheit konfrontiert sind, Stabilität und Sicherheit bietet.»

Welche Zukunft für Genf?

Expert:innen sind sich einig, dass Genf seine Abhängigkeit von wenigen grossen Geldgebern verringern muss. Eine Studie des Geneva Graduate InstituteExterner Link (Genfer Hochschulinstitut) hat offengelegt, dass 75% der Mittel aus nur 15 Finanzquellen stammen. Ein solches Modell sei für den Staatsrat, die Exekutive der Republik und des Kantons Genf, nicht länger vertretbar.

Vincent Subilia bilanziert, was auf dem Spiel steht: «Wenn das internationale Genf zusammenbricht, werden die Auswirkungen nicht nur auf lokaler Ebene zu spüren sein, sondern auch bei der globalen Governance. In den nächsten Monaten wird sich entscheiden, ob Genf seinen Status als diplomatische Hauptstadt der Welt halten kann.»

Editiert von Virginie Mangin, Übertragung aus dem Englischen: Gerhard Lob

Dieser Artikel wurde am 22. März neu veröffentlicht, um zu präzisieren, dass der Kanton Genf die Dringlichkeit der Hilfsmassnahmen abgelehnt hatte, nicht die Massnahmen selbst.

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