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Mit der weltweiten Gletscherschmelze wird das Monitoring der Schweiz immer wichtiger

Messungen auf dem Gletscher
Das Schweizer Gletschermessnetz GLAMOS (im Bild: Messungen auf dem Pers-Gletscher) gehört zu den ältesten der Welt. Keystone / Mayk Wendt

Die Gletscher auf der ganzen Welt, von den Alpen bis Neuseeland, schmelzen immer schneller. Und die Schweiz spielt bei der Beobachtung dieser Entwicklung eine zentrale Rolle. Der erste Weltgletschertag, der am 21. März begangen wird, lädt dazu ein, über die Bedeutung des «ewigen Eises» und wichtigen Süsswasserreservoirs nachzudenken.

«Es ist schockierend zu sehen, wie viel Eis jedes Jahr verschwindet», sagt Michael ZempExterner Link, Glaziologe an der Universität Zürich und Direktor des World Glacier Monitoring Service, des Welt-Gletscher-Beobachtungsdienstes (WGMSExterner Link).

Im vergangenen Jahr haben die Gletscher der Erde 450 Milliarden Tonnen Eis verloren. Dies gemäss Schätzungen, die der WGMS aus Anlass des Weltgletschertages veröffentlichte.

Das Jahr 2024 war nicht das schlimmste Jahr (der Rückgang im Jahr 2023 war bedeutender). Für die Gletscher ist es jedoch das viertschlechteste Jahr seit 1975 und das dritte in Folge, in dem alle erfassten Regionen der Welt einen Rückgang verzeichneten.

In den letzten 50 Jahren haben die Gletscher laut Zemp das Äquivalent eines Eisblocks von der Grösse Deutschlands und einer Dicke von 25 Metern verloren.

Eine Grafik
Schätzungen der Massenänderung der Gletscher der Erde (in Milliarden Tonnen) und ihres Beitrags zum Meeresspiegelanstieg, 1975 bis 2024. WGMS

Schmelzende Gletscher bedrohen Wasserversorgung

Gletscher versorgen mehr als zwei Milliarden MenschenExterner Link mit Süsswasser. Sie prägen die Landschaft und tragen zur kulturellen Identität von Gebirgsländern wie der Schweiz oder Bolivien bei. Für die Wissenschaft sind sie eine unschätzbare Fundgrube zur Erforschung der Klimaentwicklung.

Ihr durch die globale Erderwärmung verursachter Rückzug bedroht die Wasserversorgung der flussabwärts gelegenen Gemeinden, insbesondere in Asien und Lateinamerika. Und er hat negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft und die Wasserkrafterzeugung. Das Schmelzen der Gletscher erhöht das Risiko von Erdrutschen und Überschwemmungen und trägt zum Anstieg des Meeresspiegels bei.

Der Weltgletschertag soll das Bewusstsein für die entscheidende Rolle der Gletscher für unseren Planeten schärfen. Dieser Tag ist einer der Höhepunkte des Internationalen Jahres zur Erhaltung der GletscherExterner Link, einer UNO-Initiative zur Förderung konkreter Massnahmen, um das Abschmelzen der Gletscher zu verlangsamen.

Zu den Zielen gehört der Ausbau der Beobachtungssysteme, ein Bereich, in dem die Schweiz dank ihrer langen Tradition in der glaziologischen Forschung weltweit führend ist. Die Beobachtung und Überwachung der Gletscher ist für die Bewirtschaftung der Wasserressourcen und die Vorhersage der Auswirkungen des steigenden Meeresspiegels unerlässlich.

Das Verschwinden von Gletschern betrifft alle Menschen, auch wenn sie Tausende von Kilometern entfernt leben:

Das Eis schmilzt sogar in den kältesten Gegenden der Erde

Zwischen 2000 und 2023 haben die Gletscher weltweit (mit Ausnahme der Kontinentalgletscher in Grönland und der Antarktis) mehr als 5% ihrer Masse verloren, wie eine von der WGMS koordinierte und im Februar 2025 in Nature veröffentlichte StudieExterner Link aufzeigt. Das Schmelzen hat den Meeresspiegel um fast 2 Zentimeter ansteigen lassen.

Die Gletscher in der Schweiz und in den europäischen Alpen sind am stärksten betroffen: Ihre Masse ist seit dem Jahr 2000 um 39% zurückgegangen. Auch die Gletscher im Kaukasus, in Nordasien und in den USA haben grosse Verluste erlitten. Selbst die Gletscher in den Polarregionen sind von der Schmelze nicht verschont geblieben.

«Bei den derzeitigen Schwundraten wird das ‹ewige Eis› in vielen Regionen das 21. Jahrhundert nicht überleben», prognostiziert Michael Zemp. In den Alpen könnten mehr als 90% der Gletscher bis 2100 fast vollständig verschwindenExterner Link.

grafik über gletschermassenverlust
Kai Reusser / SWI swissinfo.ch

Nur eine Reduktion der Treibhausgase ist effizient

Gletscherschutzdecken und Beschneiungen mit KunstschneeExterner Link, wie das auf dem Schweizer MorteratschgletscherExterner Link versucht wird, können das Abschmelzen auf lokaler Ebene zwar verringern oder verlangsamen. Es handelt sich jedoch um teure Massnahmen mit begrenzter Wirkung.

«Die einzige Möglichkeit, die Gletscher zu erhalten, besteht in der Reduzierung der Treibhausgase», sagt Zemp. Gletscher reagierten mit einer gewissen Verzögerung auf die Klimaerwärmung. «Selbst wenn wir umgehend die Emissionen auf Null reduzieren, werden wir bis 2050 weitere 10% bis 20% des Gletschereises verlieren», erklärt Zemp.

Unser Handeln kann jedoch bestimmen, was in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts geschehen wird. Der Zustand der Gletscher im Jahr 2100 wird weitgehend davon abhängen, wie sich die Emissionen entwickeln und wie stark sich unser Planet weiter erwärmen wird. «Jedes Zehntel Grad vermiedener Erwärmung wird einen Teil der Gletscher retten», betont Zemp.

Schmelzende Gletscher können Mikroorganismen in die Umwelt freisetzen, die für die Entwicklung neuer Medikamente nützlich sind. Erstmals sucht ein Forschungsteam in Schweizer Gletschern nach diesen:

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Gletscherbeobachtung seit über 130 Jahren

Die weltweite Erfassung von Gletscherdaten begann 1894 mit der Gründung der Internationalen Gletscherkommission anlässlich eines geologischen Kongresses in Zürich.

«Damals gab es in der Schweiz bereits ein nationales Gletschermessnetz und es wurde beschlossen, ein ähnliches Instrument auf internationaler Ebene zu schaffen», erläutert Zemp.

Die Kommission förderte die Zusammenarbeit zwischen Glaziologen aus der ganzen Welt und trug zur Bildung eines internationalen Forschungs-Netzwerkes bei. Die Arbeit der Kommission beschränkte sich zuerst auf das Sammeln und Veröffentlichen von Daten.

Erst rund ein Jahrhundert später wurde mit dem weltweiten Gletscher-Beobachtungsdienst WGMS eine besser organisierte und zentralisierte Struktur ins Leben gerufen.

Seit 1986 sammelt der WGMS mit Sitz an der Universität Zürich Daten über die Massen- und Volumenänderungen einer Reihe von ReferenzgletschernExterner Link, für die kontinuierliche Messreihen über mehr als 30 Jahre vorliegen. Diese Gletscher sind repräsentativ für die verschiedenen geografischen Regionen und klimatischen Bedingungen auf der Erde.

Der Beobachtungs- und Überwachungsdienst sammelt auch Informationen über eine zweite Gruppe von GletschernExterner Link. Insgesamt beobachtet er die Entwicklung von mehr als 130 Gletschern in rund 30 Ländern, darunter etwa 20 in der Schweiz.

Das Schweizer Gletschermessnetz GLAMOS Externer Linkgehört zu den ältesten und leistungsstärksten der Welt. Einige besonders gefährliche Gletscher werden speziell beobachtet:

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Wie wird die Massenbilanz von Gletschern ermittelt?

Die Forschenden messen die Schneemenge, die sich auf der Oberfläche des Gletschers ansammelt, und die Eismenge, die während des so genannten hydrologischen Jahres (1. Oktober bis 30. September) schmilzt.

Die Differenz zwischen Massengewinn (Akkumulation) und Massenverlust (Ablation), die mit in den Gletscher getriebenen Messstäben gemessen wird, wird als Massenbilanz bezeichnet. Die Gletscher-Massenbilanz ist ein zentrales Element der Gletscherbeobachtung und gibt wertvolle Hinweise auf die Entwicklung eines Gletschers.

Wenn die Ablation die Akkumulation übersteigt, beispielsweise nach besonders heissen Sommern, ist die Massenbilanz negativ und der Gletscher zieht sich zurück.

«Diese Methode hat den Vorteil, dass sie detaillierte und direkte Informationen über das Geschehen in den Gletschern liefert», erklärt Enrico MatteaExterner Link vom Departement für Geowissenschaften der Universität Freiburg.

«Viele der weltweit angewandten Beobachtungstechniken wurden in der Schweiz entwickelt, weil die Gletscher so gut zugänglich sind», fügt er an.

Diese Feldmessungen sind die ältesten und einfachsten. Sie sind jedoch nur für weniger als 1% der mehr als 275’000 Gletscher der Erde verfügbar.

ein Forscher misst die Dicke des Gletschers
Der Schweizer Glaziologe Matthias Huss misst mit einer Messlatte die Veränderung der Dicke des Rhonegletschers. Copyright 2023 The Associated Press. All Rights Reserved.

Die Analysen direkt auf den Gletschern werden durch Daten ergänzt, die mit modernen Fernerkundungssystemen gewonnen werden. Satelliten, Flugzeuge und neuerdings auch Drohnen liefern dreidimensionale Bilder von Gletschern.

Aus dem Weltraum gesendete Radarsignale und Laserstrahlen ermöglichen es, Veränderungen der Erdoberfläche und damit der Gletschermächtigkeit zu beobachten.

«Seit dem Jahr 2000 sind wir in der Lage, grosse und kleine Gletscher aus allen Regionen der Erde zu vermessen», sagt Michael Zemp.

Das folgende Video veranschaulicht die Vorteile und Grenzen der wichtigsten Gletschermessmethoden (ab Minute 00:40):

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Neue Referenzgletscher

Die jüngste von der WGMS koordinierte Studie über die Entwicklung der Gletscher zwischen 2000 und 2023 hat es ermöglicht, die Ergebnisse verschiedener Feld- und Satellitenbeobachtungsmethoden zu kombinieren und die jeweiligen Stärken der einzelnen Methoden gezielt zu nutzen.

Dieser Ansatz bietet laut Glaziologe Zemp neue Einblicke in regionale Trends und jährliche Schwankungen der Gletscher und ermöglicht bessere Schätzungen der künftigen Eisschmelze oder des Anstiegs des Meeresspiegels.

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Enrico Mattea ist von der Notwendigkeit überzeugt, die Messungen von Dutzenden von Forschungsinstituten auf der ganzen Welt zu koordinieren, damit die Messungen der verschiedenen Gletscher einheitlich sind.

Ausserdem sollten seiner Meinung nach neue Referenzgletscher identifiziert werden, da einige der traditionellen Gletscher in dieser Kategorie aufgrund der globalen Erwärmung verschwinden werden. Der Careser-GletscherExterner Link in Italien zum Beispiel könnte bis 2042 fast vollständig verschwunden sein.

Michael Zemp betont, dass keine Zeit verloren werden darf. Er hofft, dass das Internationale Jahr der Erhaltung der Gletscher einen Wendepunkt markieren wird. Für die Erhaltung der Gletscher müssten umgehend konkrete Massnahmen ergriffen werden, um die Treibhausgasemissionen zu reduzieren, sagt er.

«Es wäre schön, wenn das Jahr 2025 als das Jahr in Erinnerung bliebe, in dem die Menschheit diese Trendwende eingeleitet hat», hält er fest.

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Editiert von Gabe Bullard und Veronica De Vore, Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob

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