
Der «American Way of Life» der Sioux-Indianer

Helmut Kaiser, Pfarrer im bernischen Spiez, setzt sich dafür ein, dass die Sioux-Indianer nicht in Vergessenheit geraten.
Während eines Studienurlaubs in South Dakota hat er die Probleme der Indianer, ihre Lebensweise und Kultur kennen gelernt.
Klar habe er als Junge Karl May gelesen, sagt Helmut Kaiser. Auch wenn Karl Mays Bücher nicht auf Erfahrungen sondern auf Phantasie beruhten, hätten sie doch damals, als noch ein ganz anderes Bild der Indianer existierte, viel zum gegenseitigen Verständnis und zu Toleranz beigetragen.
«Karl May war aber nicht der eigentliche der Grund für meinen Urlaub. Ich hatte mich in anderen Zusammenhängen mit Indianern beschäftigt. Vor allem während der Ökologie-Bewegung habe ich mich für die Denk- und Lebensweise der Indianer interessiert.»
Kaiser ist überzeugt, dass die westliche Profit-orientierte Gesellschaft von den Lakota Entscheidendes lernen kann. (Lakota ist der korrekte Name für Sioux.) So sei der Respekt gegenüber der Natur, wie die Indianer ihn pflegten, grundlegend für unser Überleben.
Zwischen Tradition und Moderne
Neun Wochen lang hat sich Pfarrer Kaiser in South Dakota aufgehalten. Er besuchte verschiedene Familien in Pine Ridge, mit 36’000 Einwohnern das zweitgrösste Indianer-Reservat der USA, ging mit ihnen auf die Jagd, bekam Einblick in die Rituale und Probleme der amerikanischen Urbevölkerung.
Wie alle andern sind auch die Lakota eingebunden in die moderne Gesellschaft. Sie fahren Auto, schauen TV, tragen Jeans und Sonnenbrille. Federschmuck gibt es nur zu speziellen Zeremonien, wie bei Sonnentänzen etwa. «Das ist nicht etwa ein Widerspruch. Das sind amerikanische Staatsbürger, die mit ihrer eigenen Kultur in einem Reservat leben», betont Kaiser.
Es gebe aber durchaus Unterschiede zu unserer Lebensweise, erklärt Kaiser gegenüber swissinfo. So sei der Satz «pflücke nie die letzte Beere» beispielhaft für den Respekt der Indianer gegenüber der Natur.
Schwierige Lebensbedingungen
80 bis 85% der Lakota haben, laut Helmut Kaiser, keine Arbeit. Zudem litten rund 35% der Lakota infolge Fehlernährung an Diabetes. Und auch die Lebenserwartung liege rund 20 Jahre tiefer als jene der US-amerikanischen Bevölkerung. Das Durchschnitts-Einkommen eines Lakota-Indianers beträgt rund 4000 Dollar pro Jahr.
Das Pine Ridge Reservat liegt in der Prärie. Die Temperaturen liegen im Sommer bei 40 Grad, im Winter weit unter dem Gefrierpunkt. Die Prärie sei faszinierend für unser Auge, so Kaiser gegenüber swissinfo. Dort zu leben sei jedoch nicht einfach.
Es sei fast nicht möglich, das Land zu bebauen. Abgesehen von einigen Infrastruktur-, Dienstleistungs- und Handwerksbetrieben gebe es kaum Arbeitsmöglichkeiten. Industrie existiere nicht.
Lakota – eine bedrohte Sprache
In Pine Ridge gehen die Kinder ganz normal zur Schule. Es gibt auch ein College für 1000 Studierende. Die grosse Frage stelle sich jedoch nach der Schulzeit. «Man sagt den Jugendlichen, dass eine solide Ausbildung wichtig sei. Arbeitsplätze gibt es jedoch kaum.»
Die älteren Menschen sprechen sowohl Lakota wie auch Englisch. Sie waren während ihrer Jugendzeit gezwungen worden, Englisch zu lernen. Viele Junge beherrschten heute die Lakota-Sprache nicht mehr, bedauert Kaiser. Auch wenn an den Schulen Lakota gelehrt wird, dominiert klar das Englische. Die Zukunft der Sprache sei gefährdet, bedauert Helmut Kaiser.
Die Indianer im Reservat erhalten vom Staat finanzielle Unterstützung, die ihnen ein einigermassen «normales» Leben garantiert. Dies motiviere nicht gerade zu einer grossen Eigeninitiative, betont Kaiser, sondern führe eher zu einer gewissen Lethargie oder gar Apathie.
Gegen das Vergessen
Trotz der immensen ökonomischen Probleme und der hohen Arbeitslosigkeit hat Helmut Kaiser bei den Lakota als Grundstimmung nicht Hoffnungslosigkeit gespürt. Im Gegenteil: Er habe kein Gespräch ohne Humor und Witz erlebt.
«Realistischerweise muss man allerdings sagen, dass eine vernünftige, solide ökonomische Basis dringend notwendig ist, damit diese Kultur weiterbestehen kann.»
Der Spiezer Pfarrer ist mit seinen Erfahrungen in die Schweiz zurückgekehrt. Ein Medizinmann, dem er begegnet ist, habe ihn dazu ermutigt, zu Hause über die Lakota-Indianer zu berichten. «Denn Vergessen, ob in Amerika oder anderswo», so Kaiser, «ist ein ganz subtiler Genozid».
swissinfo, Gaby Ochsenbein
Der Name Sioux stammt von den Feinden der Lakota und bedeutet «Schlange».
Die Lebenserwartung eines Lakota ist tiefer als die eines Durchschnitts-Amerikaners.
Die Kindersterblichkeit bei den Lakota ist höher.
Ein Lakota hat ein durchschnittliches Jahreseinkommen von 4000 Dollar.

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