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In Berlin das Jodeln entdecken

Jodeln, ein ideales Ventil, um Stress abzubauen.

Weit weg von den Alpen haben ein paar Schweizerinnen das Jodeln für sich entdeckt und in Berlin eine Jodelschule gegründet. Nun jauchzen ausgewanderte Eidgenossinnen, Freunde der Alpenländer und Berlinerinnen vielstimmig im Chor.

Es braucht nicht immer Berge, um zu jodeln. Ein schlichtes Atelier in einer Berliner Fabriketage und ein Dutzend stimmkräftige Frauen mit einer charismatischen Lehrerin tun es auch, um die Urform alpiner Kommunikation zu pflegen.

Punkt 20 Uhr stehen sie erwartungsvoll da, Ingrid Hammers Jodelschülerinnen. Ein paar herzliche Begrüssungworte, dann stellen sich alle im Kreis auf.

Bevor das eigentliche Jodeln beginnt, will erst der Körper gelockert und die Stimme aufgewärmt werden. Die Frauen, die meisten zwischen 40 und 60 Jahre alt, federn in den Knien. Dann rollen sie von den Fersen auf die Zehenspitzen, reiben sich die Hände feurig und drehen ihre Hüften um eine imaginäre Acht herum. Erst langsam, dann immer schneller. «Und nie vergessen – seufzen. Seufzt laut über alles, was euch belastet», sagt Ingrid Hammer.

Freiheit und Weite

Danach müssen die Frauen mit der Zunge abwechselnd das Kinn und die Nasenspitze berühren. «Ist euch jetzt warm?», fragt die Jodellehrerin und stimmt ein A an. Zwölf Frauenstimmen von Alt bis Sopran antworten; bis in den Hinterhof ist der Chor zu hören.

Die Idee, Jodelkurse in Berlin anzubieten, stammt von der Schweizerin Anita Meier, die schon seit 25 Jahren in der Stadt an der Spree lebt. «Ich fand Jodeln früher unmöglich», erzählt sie. Erst der Film «Heimatklänge» von Stefan Schwietert, der kürzlich den Schweizer Filmpreis für den besten Dokumentarfilm gewonnen hat, öffnete ihr die Ohren für die Vielfalt und Schönheit des textlosen Singens.

«Plötzlich war Jodeln mit Freiheit und Weite verbunden.» Die Grafik- und Internet-Designerin wollte es genau wissen und – mit ausreichend Distanz zum Heimatland – das Jodeln von Grund auf lernen.

Über die «Schwiizlis», das Netzwerk freischaffender Schweizer in Berlin, fand sie Gleichgesinnte; den Rest erledigte Mundpropaganda. «Mit der Sängerin Ingrid Hammer konnten wir eine professionelle Lehrerin gewinnen, so dass der erste Kurs sofort ausgebucht war», sagt Meier.

Derzeit werden drei Kurse mit jeweils 15 Schülerinnen und Schülern – es gibt auch ein paar jodelnde Männer – angeboten.

Entspannender als Yoga

Der erste Jodel wird angestimmt: «Amaibu o-ie-i», ein Kanon aus dem Volk der Baka-Pygmäen in Zentralafrika. Kraftvoll schmettern die Frauen ihre «o-ie-i» in die Runde. «Beim Jodeln hole ich die Töne aus dem ganzen Körper und darf richtig laut sein», sagt die Künstlerin Lis Blunier, die ihre Räume für die Jodelkurse zur Verfügung stellt. Ausserdem sei es ein ideales Ventil, um Alltagsstress abzubauen, meint die gebürtige Bernerin. «Eine Studie hat gezeigt, dass Jodeln entspannender ist als Yoga.»

Auch die anderen Kursteilnehmerinnen, die Mehrheit sind übrigens Deutsche, loben die befreiende Wirkung des Jauchzens. «Es macht einfach Spass und ist so schön bodenständig», sagt Katharina Zierold, die seit einem halben Jahr dabei ist.

Nach dem kleinen Ausflug in den zentralafrikanischen Regenwald geht es in die Schweiz: «Dr Zuger» ist an der Reihe. Voll und rund erschallt der zweistimmige Chor. Doch die Jodellehrerin ist noch nicht zufrieden. «Versucht, über die ganze Atemsequenz den Druck aufrechtzuerhalten.»

Konzentriert beginnen die Frauen von vorne. «Schon viel besser», lobt Hammer und wippt in ihren Turnschuhen im Takt mit.

Anfänger singen

Hammer ist eigentlich Regisseurin und Sängerin, zum Jodeln ist sie über den Umweg der Weltmusik gekommen. «Alle Menschen können jodeln», sagt die gebürtige Österreicherin. Viel Praxis ist allerdings nötig, denn der wortlose Gesang hat seine Tücken.

«Charakteristisch und schwierig ist der schnelle und – im Unterschied zum Singen – hörbare Wechsel von der Kopf- zur Bruststimme», erklärt Hammer.

«Glottisschlag» oder «Jodelschnapper» wird die Technik genannt. Doch was Babys noch leicht gelingt, müssen Erwachsene erst wieder lernen. «Anfänger singen eher, als dass sie jodeln», räumt Hammer ein.

Doch wer fleissig übe, könne schon bald seinen ersten herzzerreissenden Jauchzer über die Berge schicken, oder in die Berliner Hinterhöfe.

swissinfo, Paola Carega

Jodeln ist Singen auf Lautsilben ohne Bedeutung. Üblich sind zum Beispiel Silbenfolgen wie «Hodaro», «Iohodraeho» oder «Holadaittijo».

Grosse Intervallsprünge, ein weiter Tonumfang und häufiges schnelles Umschlagen zwischen Brust- und Falsettstimme sind charakteristisch für das Jodeln.

Die Ursprünge gehen auf prähistorische Zeiten zurück: In wahrscheinlich allen gebirgigen und unwegsamen Regionen der Welt gab es verschiedene Techniken, um mit Rufen weite Distanzen akustisch zu überbrücken.

So kommunizierten Hirten in den Alpen von Alm zu Alm mit dem Juchzer, und auch das Vieh wurde mit einem Jodler angelockt.

Jodelformen existieren unter anderem bei den Inuit, im Kaukasus, in China, Thailand und Kambodscha.

In der Schweiz jodelt man heute vor allem in der Innerschweiz, im Appenzellischen, im Toggenburg, im Berner- und im Freiburgerland.

Typisch sind dabei mehrstimmige Jodelchöre, die sich im 19. Jahrhundert entwickelt haben.

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