«Rätoromanisch findet nicht nur in den Bergen statt»
Das rätoromanische Radio und Fernsehen bekommt einen neuen Chefredaktor. Dieser hat unorthodoxe Ideen: Der ehemalige Schweizer Gardist setzt auf Exilbündner, die kein Rätoromanisch sprechen.
Am 1. November tritt Flavio Bundi seine Stelle als Chefredaktor des rätoromanischen Radios und Fernsehens (RTR) in Chur an. Bundi hat bisher als Papstgardist sowie als Programmleiter easyvoteExterner Link, einer Plattform zur Förderung der politischen Partizipation von jungen Erwachsenen, gearbeitet. In seiner Freizeit ist Bundi als Dirigent und Komponist tätig. swissinfo.ch hat mit ihm über junge Medienkonsumenten, Service Public, «No Billag»-Initiative sowie Sprachminderheiten in der direkten Demokratie gesprochen.
swissinfo.ch: Sie sind 30 Jahre alt und haben noch nie auf einer Redaktion gearbeitet. Warum hat man Ihnen den Posten als Chefredaktor des rätoromanischen Radios und Fernsehens (RTR) gegeben?
Flavio Bundi: Gute Frage (lacht). Die Verantwortlichen setzen wohl auf mich als Person, weniger auf Alter und Erfahrung. Es gab ein Stellenprofil, und auf das habe ich offenbar gut gepasst. Ich finde diese Altersdiskussion immer ein wenig mühsam. Ich kann nichts dafür, dass ich Jahrgang 1987 bin. Das Alter hat Vor- und Nachteile. Ein frischer Wind tut aber immer gut.
swissinfo.ch: Wie gut sprechen Sie Rätoromanisch?
F.B.: Mein Vater ist romanischsprachig, die Mutter deutschsprachig. In Ilanz wird ab Kindergarten nebst Deutsch auch Rätoromanisch gesprochen. Ich bin also zweisprachig aufgewachsen, wobei Deutsch schon stärker im Vordergrund stand. Insbesondere in der Musik hat Rätoromanisch für mich immer eine wichtige Rolle gespielt. Singen auf Rätoromanisch ist viel schöner. Daher wollte ich auch als Komponist lieber rätoromanische Texte vertonen. Es ist eine wundervolle Sprache, die bewahrt werden muss.
swissinfo.ch: Dann teilen Sie also die Haltung eines Teils der Öffentlichkeit, die RTR als Kulturförderungsinstitution wahrnimmt, die das Rätoromanische fördern und retten soll?
F.B.: RTR ist ein Medienhaus mit einem klaren Auftrag. Es ist keine Lobby. Für die Förderung der romanischen Sprache und Kultur gibt es etwa die Lia RumantschaExterner Link. RTR betreibt Journalismus und bringt gute Geschichten an Mann und Frau.
swissinfo.ch: Sie haben als Programmleiter easyvote versucht, Junge an die Urnen zu bringen. Wie werden Sie Junge vor Radio und Fernsehen bringen?
F.B.: Ich weiss nicht, ob das die richtige Frage ist, die man sich stellen muss. Sondern eher: Wie kann man Jugendliche davon überzeugen, dass sie Qualitätsmedien brauchen und nutzen? Welcher Kanal, ob Fernsehen, Radio oder Online, ist nicht entscheidend. Die Jungen sind so fluid und wechseln so schnell, dass man die richtige Geschichte am richtigen Ort platzieren muss.
Um Ihre Frage doch noch zu beantworten: Für die Jungen ist Qualität und Verständlichkeit entscheidend. Man muss komplizierte Themen in einfacher und attraktiver Form präsentieren. Und natürlich kommt man nicht drum herum, stark auf Social Media aktiv zu sein.
swissinfo.ch: Die meisten Rätoromanen sind – wie Sie – zweisprachig und können sich problemlos mit dem deutschsprachigen Radio und Fernsehen (SRF) informieren. Was werden Sie tun, damit Rätoromanen RTR konsumieren?
F.B.: Der grosse Mehrwert von RTR ist, dass wir extrem nah bei den Leuten sind. Wir können Geschichten liefern, die quasi vom Familientisch stammen. Also Geschichten aus dem Dorf, aus dem Tal, die man bei SRF und anderen Medien in solcher Form nicht findet. RTR ist wortwörtlich am Puls der «Svizra Rumantscha».
swissinfo.ch: Das heisst, Sie werden den sehr lokalen Fokus von RTR beibehalten?
F.B.: Den werde ich sicherlich auf der einen Seite beibehalten, auf der anderen Seite möchte ich aber auch die Community im Unterland vermehrt ansprechen. Es gibt eine grosse rätoromanische Gemeinschaft im Unterland, vor allem in Zürich. Viele dieser Exilbündner sprechen zwar kein Rätoromanisch, verstehen die Sprache aber. Diese sollte man stärker einbinden. Sonst hat man das Gefühl, Rätoromanisch finde nur in den Bergen statt. Das stimmt nicht. Rätoromanisch ist viel breiter aufgestellt. Es gibt überall spannende Geschichten und die gilt es auch auf Rätoromanisch zu erzählen.
swissinfo.ch: Man sagt, RTR sei eines der teuersten Minderheitenmedien der Welt. Welche Daseinsberechtigung hat ein rätoromanisches Radio und Fernsehen in der Schweiz?
F.B.: Auch Sprachminderheiten haben einen Anspruch auf Service Public. Das ist Teil des demokratischen Systems. Natürlich lässt sich über Zahlen immer streiten. Solange RTR qualitativ guten und attraktiven Journalismus betreibt und dieser auch konsumiert wird, stellt sich für mich die Frage nach der Daseinsberechtigung nicht.
swissinfo.ch: Ist die «No Billag-Initiative», welche die Gebühren für Radio und Fernsehen abschaffen will, eine Gefahr für den Schutz von Sprachminderheiten?
F.B.: Sicher ist diese Initiative eine Herausforderung – ganz speziell für Sprachminderheiten. Die Schweiz lebt von der Vielfalt, sei dies bei den Sprachen, den Kulturen aber auch in der Medienlandschaft. Diese Vielfalt gilt es zu bewahren.
swissinfo.ch: Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen direkter Demokratie und Minderheitenschutz?
F.B.: Demokratie kann für Minderheiten sowohl Schutz wie auch Herrschaft bedeuten. In der Schweiz etwa geniessen Minderheiten oft noch grosse Sympathien und Verständnis. Solange dieses Verständnis und das Zusammengehörigkeitsgefühl da sind, sehe ich kein Problem. Schwierig wird es erst, wenn die Sichtbarkeit der Minderheiten abnimmt, was zunehmend der Fall ist: Für viele ist das, was innerhalb der Schweiz passiert, weiter weg als Trump und Co.
Flavio Bundi
Flavio Bundi wurde 1987 in Ilanz im Kanton Graubünden geboren. Er studierte Germanistik sowie Politik- und Sozialwissenschaften in Bern. Daneben arbeitete er als freier Mitarbeiter der Regionalzeitung Bündner Tagblatt. Während vier Jahren arbeitete Bundi in der Päpstlichen Schweizergarde in Rom – unter anderem als Medienverantwortlicher und Personalchef. Zuletzt war Bundi Programmleiter bei easyvote, einer Plattform zur Förderung der politischen Partizipation von jungen Erwachsenen.
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