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Umgang mit der Schweiz: Von Heidi zur Frau Doktor

Kai von Kröcher

Einst ging das arme Bündner Alpenkind Heidi nach Deutschland – heute verdingen sich deutsche Akademiker in der Schweiz. Die Berlinerin Susanne Fengler erzählt die Geschichte einer modernen deutschen "Heidi" in der Schweiz.

Bei so vielen Deutschen, die inzwischen in der Schweiz leben, ist ein weiteres Buch einer deutschen Autorin über die Schweiz nichts als logisch. In ihrem Roman «Heidiland» siedelt Susanne Fengler die Handlung in Zürich, Berlin und im Tessin an.

Die Berliner Autorin, die selbst in der Schweiz gelebt hat, trifft mit ihren genauen Beobachtungen oft ins Schwarze. Über die Schweiz haben schon viele andere deutsche, auch Berliner Autoren wie Bertold Brecht und Kurt Tucholsky geschrieben.

Susanne Fengler legt ihren Akzent auf das aktuelle Milieu der Deutschen in der Schweiz: Viele von ihnen setzen ihre Kämpfe untereinander um Karriere und Konkurrenz im Gastland fort. Und gleichzeitig kämpfen sie gemeinsam mit der fremden, eidgenössischen Umgebung.

Den deutschen Lesern zeigt «Heidiland» auf, was sie in der Schweiz erwarten könnte. Und dem Schweizer Leser öffnet das Buch Einblicke in das schwunghafte Eigenleben der Deutschen untereinander in der Schweiz. Dieses verläuft oft auf anderen Schienen, fern von den gängigen Kategorien wie Integration, Berufskarriere oder gesellschaftliche Akzeptanz.

swissinfo: Ist das Eigenleben der Deutschen in der Schweiz wirklich derart ausgeprägt wie in Ihrem Roman?

Susanne Fengler: Für viele Deutsche mutet es seltsam an, wenn sie merken, dass sie in der Schweiz gar nicht die Einzigen ihrer Art sind – es gibt ja noch viele andere Deutsche. Das führt dann zu einer unerwarteten Kombination. Man bleibt zwar landsmännisch verbunden, konkurriert sich jedoch gleichzeitig bei den Jobs.

Unter Deutschen kann man sich dann sozusagen vertraulich auch mal über die peinlichen Dinge austauschen, wie die hohen Preise. Darum fällt meine Hauptfigur, die Berliner Ärztin Ilka, auch so schnell auf einen Betrüger herein, der selber ein Deutscher ist.

swissinfo: Wenn Sie im Buch über die Schweizer lachen, ist das immer generell gemeint. Weshalb kommt kein einziger helvetischer Bösewicht vor?

S.F.: Es geht im Plot um die Deutschen im Ausland, wie sie sich untereinander bekriegen oder unterstützen. Ich wollte im Buch auch zum Ausdruck bringen, wie wenig eigentlich die Deutschen mit Schweizern zu tun haben – was ja ein typisches Gastarbeiter-Phänomen ist.

swissinfo: Sie schildern ja eine moderne Gastarbeiterin, gut qualifiziert und pendelnd. Weshalb ist sie nicht an Integration interessiert, und emotionsarm gegenüber Land und Leuten?

S.F.: Die Ärztin Ilka gehört zu jenen Deutschen in der Schweiz, die es nicht besonders klug anstellen. Anstatt sich zu integrieren, pendelt sie lieber wöchentlich von Zürich nach Berlin und zurück, und stresst damit vor allem sich selbst.

Ihrem Freund in Berlin, dem Grund ihres Pendelns, gibt sie im Verlauf der Handlung den Laufpass. Doch gerät sie derart unter wirtschaftlichen Druck, dass für neue Beziehungen oder gar Romanzen mit Schweizer Männern gar keine Zeit bleibt.

Weil Ilka unter Erfolgsdruck steht, ist ihr ganzes Leben in der Schweiz «durchökonomisiert» und durchrationalisiert. Die Energie der Pendlerin reicht dann nicht mehr, um sich auch noch zu integrieren oder Affären durchzuhalten.

swissinfo: Dennoch staunt Ilka über gewisse Eigenarten ihres Gastlandes, zum Beispiel in der Innenpolitik. Ist die Schweizer Innenpolitik für Deutsche wirklich ein Buch mit 7 Siegeln, wie Sie es beschreiben?

S.F.: In Deutschland wird kaum über Schweizer Innenpolitik berichtet. Und wenn, dann meist im Zusammenhang mit der Schweizerischen Volkspartei SVP. Das verzerrt natürlich den Blick von aussen.

Auch entstand nach der Abstimmungskampagne mit den schwarzen Schäfchen ein etwas eigenwilliges Bild der Schweiz. Was sich nur dann leicht korrigieren lässt, wenn Deutsche die Schweiz aus eigener Erfahrung gut kennen.

swissinfo: Weshalb haben Sie die Schweiz neben Berlin als Handlungsort gewählt?

S. F.: Die Schweiz drängte sich auf, weil die Erzählung stark mit dem Heidi-Motiv spielt. Ausserdem soll das Buch ein lebendiges Bild darüber vermitteln, was Deutsche zur Zeit in der Schweiz erleben.

Heidi kam ja als eine Art medizinische Gastarbeiterin und Pflegerin der kranken Klara vor 150 Jahren nach Deutschland – und heute kommt meine Protagonistin, die Berliner Ilka, als Ärztin nach Zürich. Ilka ist deshalb eine Art Anti-Heidi, eine, die den umgekehrten Weg geht.

swissinfo-Interview: Alexander Künzle

Susanne Fengler, «Heidiland»,
Kiepenheuer, Aufbau Verlagsgruppe,
Berlin 2008

Susanne Fengler ist 1971 in Dortmund geboren.
Nach dem Besuch einer Schauspielschule in New York studierte sie Kommunikations-Wissenschaften in Berlin.
Nach ihrer Promotion arbeitete sie zwei Jahre für eine grosse Partei in Deutschland.
Sie lehrt Kommunikations-Wissenschaft in der Schweiz und lebt in Berlin.
Frühere Romane: «Fräulein Schröder», «Die Ballerina».

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