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Nur wer das Licht löscht, wird von Sternen erleuchtet

Nachthimmel mit einer Milchstrasse, im Hintergrund eine Bergkette.
Als glitzerndes Band zieht sich die Milchstrasse vom Horizont zwischen den Bergen Gantrisch und Bürglen quer über den ganzen Nachthimmel. Bernhard Burn

Die Schweiz hat ihren ersten Sternenpark, ein Gebiet, in dem zur nächtlichen Dunkelheit besonders Sorge getragen wird. Das ist weit mehr als ein romantisches Projekt.

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Der an einer sonnigen Bergflanke der Gemeinde Guggisberg im Kanton Bern gelegene Weiler Ottenleuebad ist eines ganz sicher nicht: aufregend. Früher mag er es gewesen sein. So wurde 1886 hier ein Heilbad eröffnet, also eine leicht anrüchige Wellness- und Vergnügungseinrichtung. Aber die damals weitherum blühende und lustvolle Bäderkultur ist völlig verschwunden.

Heute ist es hier wieder maximal unspektakulär: ein paar wenige Bergbauernhöfe und Wochenendhäuschen, weidende Kühe, kreisende Greifvögel. Mal bellt ein Hund. Mal wandert ein Pilzsammler vorbei. Und am südlichen Horizont thronen die Gipfel der bernisch-freiburgischen Voralpen: Gantrisch, Bürglen, Ochsen, Kaiseregg. Diese voralpine Bergwelt bildet den Naturpark Gantrisch.

Ein Mann steht in einer Garage mit offenem Tor, draussen ist es Nacht.
Es wird stockdunkel: Hanspeter Schneiter schraubt die Sicherung heraus. © Keystone / Gian Ehrenzeller

Raus mit der Sicherung

Die einzige Auffälligkeit im Ottenleuebad der Gegenwart ist die hohe Dichte an kleinen Sternwarten. In mondlosen Nächten wirkt die Gegend auf Sternengucker offensichtlich anziehend. Vermutlich wird sich diese anziehende Wirkung noch verstärken.

Denn: Obwohl die Nächte hier schon bisher schön dunkel waren, sind sie seit dem 30. August 2019 noch eine Nuance dunkler. Damals schraubte der Guggisberger Gemeindepräsident Hanspeter Schneiter kurzerhand die elektrische Sicherung der spärlichen Strassenbeleuchtung von Ottenleuebad heraus. Es war danach, wie man in der Gegend zu sagen pflegt, “dunkel wie in einer Kuh”.

Blickkontakt zur Milchstrasse

Schneiter machte dunkel, weil der dünn besiedelten Randregion zuvor ein Licht aufgegangen war: Überall verschwindet die Nacht, nicht aber hier. Hier also sieht man in klaren Nächten die Milchstrasse noch.

In den Schweizer Ballungsräumen ist das nicht mehr möglich, weil allgegenwärtiges Kunstlicht den Blick ins Universum verunmöglicht. Wo sie überhaupt noch existiert, wird somit nächtliche Dunkelheit zur Besonderheit. Deshalb gelten jetzt wesentliche Teile des Naturparks Gantrisch als Sternenpark, als Gebiet, wo die Nacht verteidigt wird.

Die Verantwortlichen des Naturparks Gantrisch haben seit Jahren auf diesen allerersten schweizerischen SternenparkExterner Link hingearbeitet. Leicht sei dies nicht gewesen, sagt Projektleiterin Nicole Dahinden: “Den Wert der Nacht muss man zuerst begreifen.” Jetzt aber freut sie sich über “das dunkle Herz” des Sternenparks, also die 100 Quadratkilometer grosse Kernzone im von Bergen gut abgeschirmten Kerngebiet des Naturparks.

Das Licht kommt von aussen

Ein dunkles Herz bleibt nicht dunkel, wenn alle darum herum auf Illumination setzen. Das weiss auch Nicole Dahinden. Der Sternenpark, diese kleine schweizerische Dunkelkammer, kann aus eigener Kraft nicht noch dunkler werden: “Das Licht kommt von aussen in den Park.” Es seien also primär die Städte, die gegen die Lichtverschmutzung vorgehen müssten: “Sie müssen unnützes Licht reduzieren.” In der Schweiz sei die Menge an “Lichtabfall” enorm: “Objekte zu Zeiten zu beleuchten, wo sie niemand betrachtet, bezahlen wir mit Energieverschwendung, Schlaflosigkeit und Artenschwund.”

Gemeinden im engeren Umkreis ums “dunkle Herz” des Sternenparks gehen bereits voran und verpflichten sich zu zurückhaltendem Einsatz von Kunstlicht. Zudem weisen sie Firmen an, nach 22 Uhr ihre Schaufensterbeleuchtung abzuschalten. Und wollen Private bauen, werden diese beraten, wie auch sie ihren Beitrag gegen Lichtsmog leisten können. Langfristig will der Naturpark Gantrisch zur Kompetenzregion für nachhaltige Beleuchtung werden.

Sehr angetan vom ersten Sternenpark ist Lukas Schuler, der Präsident von Dark Sky SwitzerlandExterner Link. Die Organisation führt in der Schweiz seit Jahren einen Feldzug gegen Lichtsmog. “Das Projekt Sternenpark hilft, die Nacht im Alpenbogen zu erhalten”, sagt Schuler.

Viele wüssten zwar, dass Lichtverschmutzung Tier und Mensch schade. Vielerorts fehle aber das Wissen, was dagegen konkret getan werden könne: “Das Projekt Sternenpark verdeutlicht nun, dass die Gemeinden punkto nächtlicher Dunkelheit viel mehr steuern und verändern können, als ihnen bisher bewusst war.”

Eine Frau und ein Mann stehen in der Nacht vor einer weissen Wand.
Forscherin Eva Knop und Dark-Sky-Aktivist Lukas Schuler begutachten im Sternenpark ein Kunstlichtexperiment. Marc Lettau

Die Insekten bleiben weg

Der Sternenpark ist weit mehr, als ein romantisches, nachtschwärmerisches Projekt. Bereits seit Jahren wird dessen Aufbau nämlich wissenschaftlich begleitet.

Bereits liegen neue Erkenntnisse über das Wesen der Nacht vor. Das sei auch nötig, sagt Eva Knop, Forscherin an der Universität Zürich und am Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung, Agroscope: “Über die ökologische Bedeutung der Nacht wissen wir immer noch zu wenig.”

Zwar stehe fest, dass das Leben, wie wir es kennen, unter anderem wegen den Tag-Nacht-Zyklen überhaupt erst entstehen konnte. Wie sich der Wegfall der Nacht auswirke, beginne man hingegen erst langsam zu verstehen.

Verstanden hat Knop beispielsweise aufgrund ihrer Feldforschung, wie sehr nächtliches Kunstlicht der Biodiversität zusetzt. So habe man bisher übersehen, wie viel auf nächtlichen Wiesen geschehe: Überraschend viele Insekten bestäubten des Nachts Blüten. Knop: “Sie tun dies sehr viel weniger, wenn Kunstlicht sie stört.”

Die tagsüber aktiven Insekten seien nicht in der Lage, das Ausbleiben der nächtlichen Bestäuber zu kompensieren. Sollten Folgeexperimente diese “erstmalige Erkenntnis” untermauern, dann wäre dies laut Knop leider “ein neues Drama”.

Klarsicht statt Mut

Angesichts solch ernsthafter Hintergründe erntet Gemeindepräsident Hanspeter Schneiter übrigens Lob für seinen Mut zu handeln, Sicherungen rauszuschrauben und seiner Gemeinde mehr Dunkelheit zu verordnen. Schneiter aber winkt ab: “Mit Mut lässt sich da gar nichts verändern. Mit Überzeugungskraft vielleicht schon.” Nur wenn die hier lebenden Menschen verstünden, wozu ein Sternenpark gut sei, könne dieser sich entfalten. Vieles folgt also nach dem Prinzip Hoffnung und der gegenseitigen Ermutigung.

Auf die Frage, ob das “dunkle Herz” dereinst über seine engen Grenzen hinaus zum achtsameren Umgang mit der Nacht führen werde, sagt Nicole Dahinden: “Das steht in den Sternen.”

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