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Lizenz zum Babysitten?

Nicht nur der öffentliche Bereich, auch die private Betreuung soll melde- und bewilligungspflichtig werden. Keystone

Nicht nur Tagesmütter und Krippen, auch Bekannte oder Freunde, die regelmässig Kinder hüten, sollen melde- und bewilligungspflichtig werden. Dies verlangt die neue Verordnung über die Kinderbetreuung, die der Bundesrat in die Vernehmlassung geschickt hat.

Das Wohl und der Schutz des Kindes bei dessen Betreuung ausserhalb des engsten Familienkreises steht im Zentrum der Bemühungen der Landesregierung. Gerade dort müssten sich die Eltern auf Qualitätsstandards verlassen können, begründet der Bundesrat die neuen Vorschriften der revidierten Pflegekinderverordnung.

Dass es sich hierbei nicht nur um Pflegekinder handelt, zeigt sich auch am neuen Namen: Bis am 15. September können sich interessierte Kreise zur “Kinderbetreuungsverordnung” äussern.

Einrennen offener Türen

Was die bisherige Pflegekinderverordnung betrifft, rennt der Bundesrat offene Türen ein, denn niemand stört sich daran, dass jeder Kanton künftig eine Fachbehörde schaffen soll, welche die Weiterbildung und Beratung von Betreuungspersonen sicherstellt.

Diese Stelle soll aber auch Betreuungspersonen und Institutionen für die Tagesbetreuung sowie den Platzierungs-Organisationen eine Tätigkeitsbewilligung erteilen.

Die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SP) befürwortet die Professionalisierung der Kinderbetreuung. Besonders, “wenn es sich um echte dauerhafte Fremdplatzierungen von Pflegekindern handelt oder wenn jemand seinen Lebensunterhalt oder einen grossen Teil davon mit Kinderbetreuung verdient”, sagt SP-Mediensprecher Andreas Käsermann gegenüber swissinfo.ch.

Bisher waren nur Krippen und Kindertagesstätten bewilligungspflichtig. Unumstritten ist, dass neu auch Tagesmütter und Pflegefamilien eine Bewilligung brauchen und einen Einführungskurs absolvieren müssen.

Einführungskurs auch für Tanten und Onkel?

Opposition macht sich allerdings breit bei der Auflage, wonach Verwandte, Freunde einer Familie oder Nachbarn, die ein Kind regelmässig mehr als 20 Stunden pro Woche hüten, neu auch bewilligungspflichtig werden sollen.

“Der angestrebte Bedarf eines Fähigkeitsausweises für die Kinderbetreuung von Familienmitgliedern ist problematisch. Besonders in dieser Beziehung wird die SP die Vorlage sehr genau unter die Lupe nehmen”, sagt Käsermann.

In der NZZ am Sonntag bezeichnete der freisinnige Nationalrat Filippo Leutenegger diese Bewilligungspflicht als Entmündigung von Müttern, Eltern und Familien.

Und laut Marianne Binder, Sprecherin der Christlichdemokratischen Partei (CVP) verfällt der Staat einmal mehr in eine Art “übereifrige Präventions- und Regulierungshysterie”.

Keine Garantie

“Ich traue mir sehr wohl zu, auszuwählen, wem im eigenen Kreis ich meine Kinder anvertraue”, sagt auch Susanne Meister, Mutter von drei Töchtern und ehemalige Tagesmutter aus Solothurn gegenüber swissinfo.ch.

“90 Prozent der sexuellen Übergriffe auf Kinder ereignen sich im Bekannten- oder Verwandtenkreis. Wenn man sagt, bei den Verwandten müsse man nicht genau hinschauen, muss ich mich fragen: Wo denn dann?” fragt dagegen Ulla Grob, Geschäftsleiterin des Verbandes Kindertagesstätten in der Schweiz in der NZZ am Sonntag.

“Natürlich ist nicht garantiert, dass eine mit dem Kind verwandte Person auch gut mit ihm umgeht, oder dass sie ihm ein anregendes Umfeld bietet” gibt Sabine Wiedmann Bernauer gegenüber swissinfo.ch zu. Die Präsidentin der Schweizerischen Vereinigung der Elternorganisationen SVEO, äussert sich hier in ihrer Funktion als Mutter.

Aber vielleicht wiege man Eltern in einer falschen Sicherheit, wenn man sage, “alles ist geprüft und in Ordnung”, gibt Wiedman weiter zu bedenken. Denn bei einer Überprüfung könne man allenfalls relativ formale Kriterien anwenden, äussere Bedingungen, wie Räumlichkeiten oder was für Spielzeug vorhanden sei.

Wieso nicht auch die Grosseltern?

Susanne Meister findet es überdies eigenartig, dass nur Nachbarn, Onkel und Tanten sowie Freunde kontrolliert werden sollen. “Wie die Eltern und Grosseltern aber mit ihren Kindern umgehen, ob diese unter Verwahrlosung leiden, vernachlässigt werden, das wird nicht kontrolliert.”

Auch Sabine Wiedmann empfindet es “ein wenig unlogisch”, dass in der Vorlage die Grosseltern von der Bewilligungspflicht ausgenommen wurden. “Bei ihnen kann man auch nicht bis ins Letzte sicherstellen, ob sie das Kind richtig betreuen.”

Grosseltern müssen lediglich für statistische Zwecke angeben, wie viel Zeit sie zum Hüten ihrer Enkel aufwenden.

Die Schöpfer dieser Regelung hätten den Kinderschutz sehr in den Vordergrund gestellt, sagt Wiedmann. “Sie sind dann aber wohl selber ein wenig vor den Konsequenzen zurückgeschreckt, die entstünden, wenn man alle kontrollierte.”

Etienne Strebel, swissinfo.ch

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Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Vernehmlassung oder das Vernehmlassungsverfahren ist die Konsultation von betroffenen und interessierten Kreisen (auch Mitwirkungsverfahren). Sie ist eine wichtige Phase im schweizerischen Gesetzgebungsverfahren. Bei der Vorbereitung wichtiger Gesetze und anderer Vorhaben von grosser Tragweite sowie bei wichtigen völkerrechtlichen Verträgen werden die Kantone, die politischen Parteien und die interessierten Kreise zur Stellungnahme eingeladen.

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Mit klaren rechtlichen Vorgaben will die Schweizer Landesregierung das Wohl der Kinder gewährleisten, die in einer fremden Familie oder in einer Einrichtung betreut werden.

Die totalrevidierte Pflegekinderverordnung, neu “Kinderbetreuungsverordnung”, will zentrale kantonale Fachbehörden schaffen, welche für die Bewilligung und Beaufsichtigung von Tages- und Pflegeeltern zuständig sind.

Die neue Verordnung will aber nicht nur die Betreuung durch Tagesmütter, Krippen oder Kindertagesstätten einer Bewilligung unterstellen, sondern auch Verwandte oder Nachbarn, welche die Kinder regelmässig während 20 Stunden pro Woche betreuen.

Die Vernehmlassung der neuen Verordnung läuft bis am 15. September 2009.

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