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"Die Schweiz hat Fortschritte gemacht"

Menschenhandel findet unter anderem im Sexgewerbe statt. Reuters

Erzwungene Prostitution oder Bettelei, Organhandel oder Zwangsarbeit: Menschenhandel hat viele Gesichter. In der Schweiz erfassen mehrere Organisationen die Fälle und helfen den Opfern. Auch die Ordnungskräfte nähmen diese Art von Verbrechen sehr ernst, sagt Irene Hirzel, Geschäftsführerin einer nationalen Meldestelle.

Dieser Inhalt wurde am 02. Juni 2017 publiziert

In der Schweiz werden immer mehr Opfer von Menschenhandel identifiziert, stellt die Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ)Externer Link in Zürich fest, die soeben ihre Jahresstatistiken veröffentlich hat.

2016 behandelte das Zentrum 233 Fälle, während es 2009 erst 184 waren. Die Mehrheit der Opfer wurde sexuell ausgebeutet (58% im Jahr 2016). Die Frauen stammen am häufigsten aus Ungarn (23%), Thailand (11%) oder Nigeria (10%). Immer mehr Asylbewerberinnen seien betroffen, stellt das FIZ fest.

Die Zahlen von Menschenhandel sind immer blosse Schätzungen, weil zahlreiche Opfer schweigen. Im Oktober 2015 gründete der Verein gegen Menschenhandel ACT212Externer Link eine Nationale Meldestelle für die ganze Schweiz. Opfer können dort um Hilfe bitten oder anonym per Telefon oder Mail ein Verbrechen melden. Die Geschäftsführerin von ACT212, Irene Hirzel, kämpft seit 1997 gegen Menschenhandel.

swissinfo.ch: Welche Art von Personen kontaktiert die Meldestelle?

Irene Hirzel: Wir werden sowohl von Zeugen als auch von Opfern kontaktiert. Letztere sind häufig weibliche Migrantinnen, aber es gibt auch Männer – die eher im Rahmen einer Arbeit ausgenützt werden – und Transsexuelle. Der Verdacht auf Menschenhandel mit Asylbewerbern hat ebenfalls zugenommen.

swissinfo.ch: Frauen auf der Flucht sind besonders verletzlich. Wie kann man sie schützen?

I.H.: Die Schweiz macht nichts für Asylbewerberinnen, die auf ihrem Fluchtweg Opfer von Menschenhandel wurden. Man kann nur handeln, wenn die Taten auf Schweizer Boden stattgefunden haben. Diese Personen können Asyl erhalten, aber sie haben keine Möglichkeit, ihre Opferrechte geltend zu machen.

Wir fordern, dass die Hilfe ausgeweitet wird und die Opfer insbesondere psychologische Hilfe bekommen, um ihr Trauma zu behandeln. Auf politischer Ebene ist es schwierig, dieser Forderung Gehör zu verschaffen.

swissinfo.ch: Wie helfen Sie den Opfern, die sich an Sie wenden?

I.H.: Wir fragen sie zunächst nach ihren Bedürfnissen. Manchmal bitten sie um Schutz, dann überweisen wir sie an ein spezialisiertes Zentrum. Viele Personen sind sich nicht einmal bewusst, dass sie Opfer von Menschenhandel sind. Die Menschenhändler geben ihnen manchmal sogar etwas Geld, das sie ihren Familien schicken.

Es ist wichtig, dass wir sie über ihre Rechte informieren, um sie zu einer Zeugenaussage zu bewegen. Genaue Zahlen existieren nicht, aber wir sind sicher, dass die Dunkelziffer enorm hoch ist. Die Opfer fürchten Repressalien, sind schlecht informiert oder scheuen die fehlenden Perspektiven im Herkunftsland.

swissinfo.ch: Was kann die Schweiz machen?

I.H.: ACT212 hat Empfehlungen herausgegeben, wie der Kampf gegen Menschenhandel in der Schweiz verbessert werden kann. Um einen Menschenhändler zu überführen, braucht es häufig eine Telefonüberwachung, was mehrere Tausend Franken für eine einzige Schweizer Nummer kosten kann. Das ist ein Hindernis für die Ermittler.

Wir bieten Polizisten auch Weiterbildungen zum Umgang mit traumatisierten Opfern an, die auf immer grösseres Interesse stossen. Ich arbeite seit 20 Jahren in diesem Bereich und stelle fest, dass die Schweiz in Sachen Kampf gegen Menschenhandel Fortschritte gemacht hat – vor allem mit der Lancierung des Nationalen Aktionsplans von 2012. Als ich angefangen habe, interessierte sich die Polizei überhaupt nicht für die Problematik.

Zudem konnten sich die Frauen, denen wir halfen, nicht an die Behörden wenden. Wenn sie Prostituierte waren, die sich illegal in der Schweiz aufhielten, wurden sie sofort ausgewiesen. Das ist nicht mehr so; wenn der Verdacht auf Menschenhandel vorliegt, werden spezielle Massnahmen ergriffen.

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