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Micheline Calmy-Rey auf Rütli wie ein Star gefeiert

Unglaublich: Mit der Bundespräsidentin auf dem Bild! Keystone

Die Bundespräsidentin ist auf dem Rütli von 2000 Personen stürmisch bejubelt worden. Der Anlass verlief friedlich, die Polizei hinderte Rechtsextreme am Zutritt.

In ihrer Rede wandte sich die Bundespräsidentin gegen die SVP-Ausschaffungsinitiative. Nationalratspräsidentin Christine Egerszegi rief die Schweizer auf, keine Stummbürger zu sein.

Die Bundespräsidentin, die von Seelisberg aus aufs Rütli gewandert war, dankte allen, die gekommen seien, “die Freiheitsrechte zu verteidigen”.

Die Rütli-Wiese sei nicht wie andere Wiesen, sagte sie. Sie symbolisiere das, was die Schweiz einige. Was die Leute eine, sei der Wille, zusammenzuleben.

Es seien Symbole und Werte. Es seien die friedlichen und demokratischen Traditionen. Keine Minderheit habe das Recht, die Nationalfeier für sich allein zu beanspruchen.

Kampferprobte Frauen

Calmy-Rey zeigte sich erstaunt über die vielen Bedenken im Vorfeld der Feier, die auch als Frauengipfel bezeichnet worden war. “Wir Frauen haben mehrere Generationen kämpfen müssen, um die elementaren politischen Menschenrechte im eigenen Land zu erlangen.”

Dann rief sie den vielen Frauen zu: “Mit Sonntagsreden und schönen Verfassungsgesetzen ist es nicht getan. Es ist Zeit zu handeln, um die Dinge zu ändern.”

Keine Ausgrenzung von Muslimen

Die Bundespräsidentin kritisierte jene Kräfte, welche die Ängste und Sorgen schamlos ausbeuteten. Früher habe sich das gegen die italienischen Gastarbeiter gerichtet. Heute seien es vor allem die Muslime, die zum Gegenstand eines neuen Kulturkampfes gemacht würden.

“Die jüngste Ausprägung dieser Politik der Angstmacherei und der Verunsicherung ist der Vorschlag, jugendliche Störenfriede und Straffällige mitsamt ihren Familien aus der Schweiz hinauszuwerfen”, sagte die Sozialdemokratin in Anspielung auf die Ausschaffungsinitiative der Schweizerischen Volkspartei. Sie fügte hinzu: “Wir dürfen das nicht zulassen.”

Auch Egerszegi gefeiert

Jubel gab es auf dem Rütli auch für die Nationalratspräsidentin Christine Egerszegi, die in Aargauer Tracht auftrat. Die höchste Schweizerin pries das politische System der Schweiz. Wirkliche Macht habe in der schweizerischen Politik niemand, auch die Nationalratspräsidentin nicht.

Das politische System der Schweiz versuche, Kräfte unterschiedlichster Herkunft gleichberechtigt an der Macht teilhaben zu lassen. Werde ein Kompromiss errungen, so sei dies deshalb ein Zeichen der Stärke.

Egerszegi rief die Schweizerinnen und Schweizer auf, sich einzumischen, zu gestalten und mit zu entscheiden. “Seien sie Stimmbürgerinnen und Stimmbürger und nicht Stummbürgerin und Stummbürger!”

Ohne grössere Zwischenfälle

Es gefalle ihr, dass das Rütli eine Gebrauchswiese sei und kein unnahbarer Heldenplatz, sagte sie weiter, liess aber auch keinen Zweifel daran, dass das Rütli an einem 1. August doch mehr sei als eine Kuhweide. Der Schauplatz stehe für sie am Anfang der Erfolgsgeschichte Schweiz.

Am Ende der Bundesfeier sangen einige Personen die alte Schweizer Nationalhymne. Zu grösseren Zwischenfällen mit Rechtsextremen kam es auf dem Rütli aber nicht.

Unbefugte versuchten mehrmals, mit Gummibooten beim Rütli anzulegen. Die Polizei hinderte insgesamt rund 200 Rechtsextreme am Zutritt, auch jene, die von Bauen aus zu Fuss aufs Rütli wollten.

Nächstes Jahr wieder

Veranstalter und Polizei zogen nach dem Anlass eine positive Bilanz. Eine Feier auf dem Rütli werde auch nächstes Jahr stattfinden, sagte Judith Stamm, Präsidentin der Rütlikommission.

Die Durchführung der diesjährigen Feier war lange Zeit ungewiss gewesen. In den letzten Jahren waren die Reden der Regierungsmitglieder mehrmals von aufmarschierten Neonazis unterbrochen worden.

Weil der Bund heuer die Sicherheitskosten nicht übernehmen wollte, hatte die Stadt Luzern kein grünes Licht für die Abfahrt der Schiffe gegeben. In der Folge beschloss die Rütlikommission, keine Feier durchzuführen.

Bundespräsidentin Calmy-Rey beharrte jedoch darauf, auf dem Rütli eine Rede zu halten. Nach wochenlangem Hin und Her kündigte eine Unternehmergruppe an, die Sicherheitskosten zu übernehmen. In der Folge beschloss die Rütlikommission, die Feier durchzuführen.

swissinfo und Agenturen

Armeeminister Samuel Schmid rief in Zuchwil die Bürgerinnen und Bürger zu einem weiteren Kapitel der “Erfolgsgeschichte Schweiz” auf. Erfolg sei jedoch kein Zustand, sondern ein Produkt, das erarbeitet werden müsse.

Verkehrsminister Moritz Leuenberger sagte in Palagnedra, dass Peripherien nicht vernachlässigt werden dürften.

Wirtschaftsministerin Doris Leuthard mahnte die Schweizerinnen und Schweizer, ihre Rechte zu nutzen. Nur aktive Bürger könnten den Staat wachsam und kritisch mitgestalten.

Justizminister Christoph Blocher warnte in seiner Rede in Andermatt davor, die Volksrechte leichtfertig durch übergeordnetes, internationales Recht zu ersetzen.

Finanzminister Hans-Rudolf Merz schrieb in seiner im Internet veröffentlichten Rede, die Schweiz verdanke dem Föderalismus den “gesunden Steuerwettbewerb”.

Innenminister Pascal Couchepin hielt dieses Jahr keine Ansprache.

Schon zum 15. Mal haben Schweizer Bauern am 1. August zum Brunch eingeladen.

Sie bewirteten rund 200’000 Gäste mit traditionellen Produkten vom eigenen Hof.

Unter den Teilnehmern waren auch die beiden freisinnigen Bundesräte Pascal Couchepin und Hans-Rudolf Merz.

Serviert wurden unter anderem ofenfrisches Bauernbrot und Butterzöpfe, Milch, Müesli, Früchte, Wurst, Eier und hausgemachte Rösti.

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