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“’Switzerland first’ werden Sie von mir nie hören”

Ignazio Cassis
Keystone / Jean-christophe Bott

Der Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis möchte das Selbstbewusstsein der Schweiz in der Welt stärken. Im Interview erklärt der Bundesrat, warum die Schweiz künftig auf der Basis von klar definierten Interessen heraus agieren muss.

swissinfo.ch: Sie kennen die Psychologie unseres Landes gut, wie möchten Sie künftig das Selbstbewusstsein der Schweiz in der Welt stärken?

Ignazio Cassis: Nicht das Wie, sondern das Was ist jetzt die Frage. Welche Chancen und auch Opportunitäten will die Schweiz in zehn Jahren in der Welt wahrnehmen? Wohin geht die Reise? Dazu gehören Werte, eine Haltung und eine Vision. Wir möchten die Treiber der Entwicklungen kennen. Wir sprechen von der Digitalisierung, von der Klimaänderung, von Migrationsströmen. Wir müssen uns jetzt auf die Herausforderungen und vor allem die Chancen konzentrieren, die daraus für die Schweiz entstehen. Das Wie kommt später.

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swissinfo.ch: Die Schweiz ist keine Grossmacht, sie ist nicht Teil von Europa, sie hat machtpolitisch wenig Bedeutung. Wenn die grossen Staaten rufen, leistet die Schweiz ihre Guten Dienste. Muss sich die Schweiz nicht aus dieser Rolle der Opportunistin befreien?

I.C.: Die Schweiz hat in ihrer Geschichte eher reaktiv agiert. Aber ich habe von einer Schweiz gesprochen, die von Opportunitäten getrieben ist. Opportunistisch meint etwas anderes, das ist negativ konnotiert. Und so schlecht hat es die Schweiz bisher nicht gemacht, wir leben in einem sehr schönen Land. 

Aber das genügt nicht. Man kann nicht nur reaktiv handeln. Wir müssen uns jetzt aktiv die Frage stellen, welche Zukunft der Bundesrat, welche die Kantone möglich machen müssen. Um diese Frage zu beantworten, stellt sich jetzt die Grundsatzfrage, wo die Welt in zehn Jahren steht. Diese Überlegungen haben wir gemacht.

“Es gibt zunehmend Pole, die Macht ausüben wollen. Die Schweiz mit dem internationalen Genf ist bestens gewappnet, hier ein gutes Stück Arbeit zu leisten.”

swissinfo.ch: Mit welchen Stärken wird sich die Schweiz im globalen Wettbewerb der Meinungen und Debatten künftig behaupten können?

I.C.: Weltmarken sind Stabilität, Zuverlässigkeit, Rechtssicherheit, Voraussehbarkeit und die Neutralität. Das sind die fünf wichtigsten Punkte, die uns weltweit vertrauensvoll machen. Deshalb wird die Schweiz oft angefragt, Mediationsarbeiten zwischen den Staaten zu leisten.

swissinfo.ch: Vor welchen Herausforderungen sehen Sie die Schweiz in zehn Jahren?

I.C.: Wir müssen das multilaterale System in einer Welt stärken. Eine Welt, die nun mehrere Mächte hat, dazu gehört sicher China, aber auch die Türkei, Brasilien, Südafrika und weitere. Es gibt zunehmend Pole, die Macht ausüben wollen. Die Frage ist, wie wir in dieser Situation eine Rolle wahrnehmen können, damit es zu keiner gewalttätigen Eskalation kommt. Die Schweiz mit dem internationalen Genf ist hier bestens gewappnet, ein gutes Stück Arbeit zu leisten.

swissinfo.ch: In der Aussenpolitischen Vision Schweiz 2028, der sogenannten Avis 28, wird vor allem vom Nutzen für die Schweiz gesprochen. Geht es Ihnen dabei um “Switzerland First”?

I.C.: “Switzerland first” werden Sie von mir nie hören. Es stammt aus dem US-Wahlkampf. “America first” bedeutet mehr als dessen reine Übersetzung. Aber selbstverständlich vertrete ich die Interessen der Schweiz. Das ist die Pflicht eines jeden Bundesrates. In Artikel 2 der Verfassung steht klar, dass es unsere Mission ist, die Sicherheit unseres Landes zu gewährleisten und den Wohlstand zu fördern – auch in der Aussenpolitik. Das geschieht durch gute Beziehungen mit anderen Ländern und durch Stabilität in der Welt. Aussenpolitik ist in dem Sinne immer Interessenpolitik, vor allem in einer direkten Demokratie. Die Schweiz ist und bleibt ein weltoffenes und solidarisches Land. Werte und Interessen sind kein Gegensatz – sie bedingen und fördern sich vielmehr gegenseitig.

Das ganze Interview finden Sie hier:

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Am Auslandschweizer-Kongress Mitte August in Montreux hielt auch Aussenminister Ignazio Cassis eine Rede. swissinfo.ch-Chefredaktorin Larissa M. Bieler konnte mit ihm anschliessend einige Punkte vertiefen, die am Kongress diskutiert wurden.

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