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Wie lange bleibt Genf noch die Hauptstadt Kameruns?

Der kamerunische Präsident Paul Biya und seine Frau Chantal
Der kamerunische Präsident Paul Biya und seine Frau Chantal in Montreux am Genfersee. Berichten zufolge lässt sich Chantal gerne in Genf die Frisur machen. Keystone

Das zentralafrikanische Land Kamerun wird zeitweise von einem Genfer Luxushotel aus regiert. Das ist auch für die Schweiz nicht unproblematisch.

Das Hotel Intercontinental in Genf ist kein architektonisches Juwel. Auch die Umgebung ist weit vom Flair der Innenstadt oder der Seepromenaden entfernt. Das Fünfsterne-Hotel steht am Rand des “internationalen Genf”; es überblickt den Palais des Nations – den europäischen UNO-Hauptsitz – und andere Gebäude internationaler Organisationen. Der Eingangsbereich aus viel Beton gleicht einer Festung, die man durchschreiten muss, um in das quadratische, grünlich verglaste Hochhaus mit 18 Stockwerken zu gelangen.

In Kamerun ist das Hotel Intercontinental bis in die letzten Dörfer bekannt. Man weiss, dass sich Präsident Paul Biya mitsamt First Lady Chantal und einer beachtlichen Entourage dort offenbar lieber aufhält als im Unity Palace, dem überaus prunkigen, festungsähnlichen Präsidialpalast in der Hauptstadt Yaoundé.

Die meisten Kamerunerinnen und Kameruner haben nie ein anderes Staatsoberhaupt erlebt als Paul Biya: Seit 1982 ist er Präsident, zuvor war er bereits sieben Jahre lang Premierminister. Schon sein Vorgänger hatte sichergestellt, dass die Regierungspartei nicht von der Macht zu verdrängen ist – durch institutionelle Tricks, einen ausgeprägten Klientelismus und wenn nötig auch plumpe Wahlfälschung.

Nicht da, wenn’s brennt

Doch fast immer, wenn etwas Wichtiges passiert in dem Land am Atlantik, verbringt “le président de la République” gerade einen “kurzen privaten Aufenthalt in Europa”, wie es die staatlich kontrollierte Zeitung “Cameroon Tribune” gerne prominent auf ihrer TitelseiteExterner Link ausdrückt.

Das war zum Beispiel so, als im Oktober 2017 kamerunische Sicherheitskräfte Proteste der anglophonen Minderheit brutal niederschlugen. Erst drei Wochen später verkündete die Staatszeitung die Rückkehr des Staatschefs. In der Zwischenzeit war im Grenzgebiet zu Nigeria bereits ein Kleinkrieg zwischen separatistischen Rebellen und der frankophon geprägten Armee ausgebrochen, der bis heute anhält und weiter zu eskalieren droht.

Selbst seine jüngste Wiederwahl im Oktober dieses Jahres verfolgte Paul Biya vom Hotel Intercontinental aus. Zuvor hatte der 85-Jährige einen einzigen Wahlkampfauftritt in Kamerun absolviert; schliesslich war der Gewinn der nunmehr sechsten Amtsperiode eine Formsache.

Anfang November flog er rechtzeitig zur Vereidigung nach Yaoundé. Dort liess er die “Demokratie” hochleben; in seiner Ansprache gelobte er, für Frieden und Entwicklung zu sorgen – etwa so, wie er dies zuvor schon alle sieben Jahre beim Antritt einer neuen Amtsperiode getan hatte.

Kurz darauf bestieg er wieder das Flugzeug. Zurück im Genfer Hotel, in seiner “suite présidentielle”, teilte Biya über Tage hinweg die Gratulationsschreiben der Amtskollegen mit der Weltöffentlichkeit, indem er sie über Twitter und Facebook verbreiten liess. Darunter war auch der Brief des Bundespräsidenten der SchweizExterner Link, Alain Berset, der vergleichsweise nüchtern ausfiel. Das Gratulationsschreiben des französischen Präsidenten Emmanuel Macron fiel hingegen so lang und anbiedernd aus, dass viele dessen Echtheit anzweifeltenExterner Link.

Das war wohl auch der Grund, warum die französische Regierung das Schreiben lieber aus der Öffentlichkeit ferngehalten hätte. Aber es zeigt, dass Biya im Westen noch immer viel Rückhalt geniesst. Denn im internationalen Kampf gegen die Terrororganisation Boko Haram, die von Nigeria unter anderem auch in Randregionen Kameruns eingedrungen ist, übernimmt die hochdotierte Armee der Republik eine zentrale Rolle – sehr zur Zufriedenheit der USA und Frankreichs, welche die kamerunischen Sicherheitskräfte seit Jahren unterstützen und selbst Truppen vor Ort haben.

Exzessive Reisekosten

Die Reisefreudigkeit des Ehepaars Biya ist legendär. Doch erst in diesem Jahr haben zwei Recherchen das volle Ausmass sichtbar gemacht. Im Februar veröffentlichte das investigative Netzwerk “Organized Crime and Corruption Reporting Project” (OCCRP) eine StudieExterner Link. Demnach soll Biya zwischen 1983 und 2017 neben der offiziellen Reisetätigkeit mindestens 1645 Tage privat im Ausland verbracht haben (wobei für drei Jahre keine Daten verfügbar sind). Das habe – gemäss konservativer Berechnung – zu Hotel- und Flugkosten in der Höhe von mindestens 182 Millionen US-Dollar geführt. Essen und andere Annehmlichkeiten exklusive.

Eine einzige Nacht im Hotel Intercontinental kostet für die kamerunische Privatdelegation gemäss OCCRP mindestens 40’000 Dollar. Zwar war Paul Biya zumindest 2015 der weitaus bestbezahlte Staatschef des KontinentsExterner Link – doch selbst sein Jahreseinkommen von rund 610’000 Dollar wäre nach zwei Wochen im Luxushotel längst aufgebraucht.

Anfang November, kurz nach der jüngsten Wahl, lieferte das “Wall Street Journal” (WSJ) eine Recherche zum innigen, langjährigen Verhältnis zwischen Paul Biya und dem Intercontinental HotelExterner Link. Seit 1969 ist Biya dort Gast. Und seit er an der Staatsspitze ist, wird das Genfer Luxushotel mehrmals pro Jahr für mehrere Wochen in eine Art Offshore-Präsidialpalast verwandelt.

Zuerst kommt, meist unangekündigt, eine Vordelegation mit Unmengen an Gepäck – so die US-Wirtschaftszeitung, die mit mehreren früheren Hotelmanagern gesprochen hat. Die Hotelleitung lässt dann das gesamte sechzehnte Stockwerk freiräumen – rund zwanzig Zimmer und zwei Ecksuiten. Manchmal kommen noch gegen dreissig Zimmer in anderen Stockwerken hinzu, niedrige Chargen werden in günstigere Hotels ausquartiert.

Dann kommt der Mann zum Zug, der im Hotel als “le général” berüchtigt ist. “Der General” kommandiert seine eigenen Leute wie auch die Hotelangestellten herum, bis die präsidialen Wohn- und Bürobereiche perfekt eingerichtet sind: Je eine Suite für den Präsidenten und die First Lady, eine eigene gesicherte Telefonzentrale und Internetverbindung. Dann folgt die Kochbrigade mit allen notwendigen Utensilien und Ingredienzen. Und schliesslich kommen: “Lui et elle”.

Die Frisur

Er und sie, das sind im Intercontinental die Codenamen für Paul und Chantal Biya. Sie ist die extravagante Hälfte des Ehepaars, überragt ihren Mann dank ihrer voluminösen roten Frisur, die in Kamerun als “la banane” bekannt ist, um einige Zentimeter. Sie lässt sich auch öfter mal in der Hotel-Lobby blicken. Ganz im Gegensatz zu “ihm”, dem Präsidenten, der seine Suite nur selten verlässt. Am ehesten tut er dies für ein morgendliches Jogging. Dafür schleicht er sich durch den Dienstausgang.

Am Ende ist Zahltag. “Der General” schreitet mit einer grossen Tüte voller Euro-Scheine in ein Büro der Hotelleitung (so schilderten es drei frühere Hotelmanager gegenüber dem WSJ). Ein üblicher Aufenthalt koste mehrere Millionen Franken, so Christian Penda Ekoka, der jahrelang Chefberater Biyas war, bevor er in die Opposition wechselte. Ekoka sagte gegenüber dem WSJ, das Geld komme direkt aus der Staatskasse. Damit die Reisen nicht in der Staatsrechnung auftauchen, werde immer alles in Cash bezahlt.

Frauen mit wohlwollenden Plakaten
Nicht alle Kamerunerinnen und Kameruner in der Schweiz protestieren, wenn ihr Präsident das Alpenland besucht. Landsleute heissen ihn zu einem Kongress willkommen. Keystone

Paul Biya hat gute Gründe, die Lobby und den Haupteingang des Hotels zu meiden. Denn er müsste sonst damit rechnen, mit einem gegen ihn gerichteten Protest konfrontiert zu werden.

Unter den Exil-Kamerunern in der Schweiz und den Nachbarländern spricht sich rasch herum, wann der Präsident wieder “zu Hause” in Genf ist. Manchmal ist es nur ein einzelner Mann, manchmal eine Gruppe frankophoner oder anglophoner Kamerunerinnen, die sich frühmorgens vor den monströsen Haupteingang stellen und via Megaphon Paul Biya aus seiner Hotelfestung schreien wollen.

Heraus kommen dann aber höchstens die Sicherheitskräfte des PräsidentenExterner Link, die ihre protestierenden Landsleute zurückzudrängen versuchen. “Wir sind hier nicht in Yaoundé”, schallt es ihnen aus dem Megafon aus nächster Nähe entgegen: Wenn der Präsident schon in der Schweiz residiert, muss er auch bereit sein, die hier geltende Meinungsäusserungsfreiheit zu ertragen.

Auf der anderen Seite ist der Kanton Genf und mit ihm die Schweiz offenbar auch bereit, Offshore-Standort für Autokratien zu sein. Das zeigt sich im Fall Biya bildlich, wenn bei Protesten die lokale Polizei aufkreuzt und nicht so recht weiss, wie sie sich gegenüber den kamerunischen Sicherheitskräften verhalten soll.

Und Biya ist kein Einzelfall, wie die Sendung “Temps Présent”Externer Link des Westschweizer Fernsehens RTS Ende Juni aufzeigte: So haben sich etwa auch die autoritären Regierungsdynastien Aserbaidschans und Äquatorialguineas im Kanton eingerichtet. Unter Diktatoren gelte Genf als “Paradies”, weil sie hier durch die sprichwörtliche Diskretion und das staatliche Desinteresse vor jeglicher Strafverfolgung geschützt seien.

Sorgenfreier Aufenthalt

Diese Einschätzung teilt auch Marc Gueniat, Rechercheur der auf solche Fragen spezialisierten Nichtregierungs-Organisation (NGO) Public Eye. “In der Schweiz profitieren insbesondere Oligarchen aus der früheren Sowjetunion von Ausnahmeregelungen, die es ihnen erlauben, hier unbehelligt zu leben und auch riesige Grundstücke zu erwerben”, sagt Gueniat, der im Lausanner Büro von Public Eye arbeitet.

“Frankreich hat zwar lange in ähnlicher Weise insbesondere Diktatoren aus ehemaligen französischen Kolonien umworben. Doch seit ein paar Jahren sendet zumindest die französische Justiz andere Signale aus.”

So urteilte etwa ein Pariser Gericht 2017Externer Link, dass ein Sohn des Präsidenten von Äquatorialguinea seine Liegenschaften in Frankreich mithilfe von aus seinem Herkunftsland abgezweigten öffentlichen Geldern aufgebaut habe. Teodorin Obiang wurde zu einer hohen Geldstrafe und einer bedingten Freiheitsstrafe verurteilt, sein in Frankreich liegendes Vermögen gänzlich konfisziert.

Paul Biya hat zwar in Genf keine Liegenschaften erworben, er lässt aber im Luxushotel Unmengen an Geldern liegen, die wohl – wie es der frühere Biya-Vertraute Ekoka nahelegt – aus dem öffentlichen Vermögen Kameruns stammen.

Anders als sämtliche EU-Mitgliedstaaten verzichtet die Schweiz auf eine Deklarationspflicht bei der Einfuhr von grossen Mengen an Cash. Falls Biya also mit Tüten voller Euronoten in Genf landet, muss er das niemandem sagen – ausser, wenn ein Zollbeamter ihn direkt danach fragen würde. Klingt das nicht wie eine Einladung, illegitimes Geld in die Schweiz zu schaffen?

Überhaupt nicht, findet das Staatssekretariat für Internationale Finanzfragen (SIF): Die “Groupe d’action financière” (GAFI) habe 2016 im Länderbericht zur Schweiz bescheinigt, dass deren Massnahmen zum grenzüberschreitenden Geldtransfer weitgehend mit der GAFI-Empfehlung übereinstimme. “Die Schweiz folgt daher den internationalen Standards in diesem Bereich”, schreibt das SIF auf Anfrage.

Fortschritte, aber…

Tatsächlich bescheinigt die GAFI-EvaluationExterner Link der Schweiz Fortschritte: “Es sollte anerkannt werden, dass 2009 ein Kommunikationssystem eingerichtet wurde, um den grenzüberschreitenden Transport von Bargeld zu kontrollieren.” Doch danach kommt ein ziemlich grosses “Aber”, welches das SIF unerwähnt lässt: “Das System ist jedoch nicht völlig konform, da es an abschreckenden Sanktionen bei Nichteinhaltung der Offenlegungspflicht mangelt, und die Eidgenössische Zollverwaltung und die Meldestelle für Geldwäscherei nur beschränkt zusammenarbeiten.”

Alles in allem wird in der Evaluation moniert, dass die Zahl an Verdachtsmeldungen (etwa betreffend Geldwäscherei) im Verhältnis zur Bedeutung des Schweizer Finanzplatzes zu tief sei.

Auch im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) sieht man keinerlei Handlungsbedarf, was die regelmässigen Besuche von Paul und Chantal Biya und deren Hilfstruppen betrifft: “Ausländische Staatschefs können sich – in privater Funktion – in der Schweiz aufhalten, ohne dass die Bundesbehörden formell informiert oder in den Besuch einbezogen werden”, antwortet ein EDA-Sprecher auf die Frage, ob in diesem Bereich nicht Reputationsrisiken für die Schweiz bestünden.

Doch die GAFI-Evaluation und die neuere Entwicklung in Frankreich zeigen, dass die offizielle Schweiz wenig Grund hat, sich auf den vergangenen Fortschritten in der Handhabung von potenziell illegitimen Geldern und von politisch exponierten Personen (PEP) auszuruhen. Das Ehepaar Biya kann sich hingegen darauf freuen, dass es sich wohl noch einige Jahre lang im Genfer Hotel Intercontinental wird ausruhen können.

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