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Schweizer Glückskette vergisst die Opfer vergessener Krisen nicht

Syrische Frau mit Baby
Eine junge Syrerin mit ihrem Baby nahe der libanesischen Grenze. Wenn Männer Krieg führen, sind Frauen häufig die ersten Opfer. Keystone

Die Glückskette widmet ihre 250. Spendenaktion den Frauen, die bei Kriegen und Katastrophen oft gleich in mehrfacher Hinsicht Opfer sind. In 73 Jahren hat der "humanitäre Arm der SRG" bisher 1,8 Milliarden Franken für Bedürftige gesammelt.

Alles beginnt 1946 in Lausanne, auf den Wellen des damaligen Radio Sottens, dem öffentlichen Radio der Westschweiz (heute RTS). Der Moderator Roger Nordmann und der Komiker Jack Rollan lancieren «La Chaîne du Bonheur» (die Glückskette), ein Programm zur Spendensammlung für humanitäre Zwecke. Damals lag ein Grossteil Europas nach dem Zweiten Weltkrieg noch in Trümmern.

Doppelt vergessen

Wer in einem Flüchtlingslager in Somalia, in einem von Banden kontrollierten Viertel in El Salvador oder im bombardierten Jemen lebt, gehört zu den «Vergessenen». Denn diese Krisen spielen sich fernab der Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit ab.

Und wer dort als Frau lebt, geht gleich doppelt vergessen, denn die meisten Systeme und Kulturen dieser Welt sind in erster Linie auf die Bedürfnisse von Männern ausgerichtet.

Für ihre 250. SammlungExterner Link hat die Glückskette deshalb beschlossen, den Frauen in Not zu helfen, sei es in vergessenen Krisen, aber auch in der Schweiz, wo ein Drittel der gesammelten Spenden verteilt wird.

Die ersten Spenden erfolgen in Naturalien. Das Lausanner Studio versinkt regelmässig in Kisten mit Würsten, Matratzen, Schuhen, Spielzeug und sogar Zigarren (!). Das Radio, das keine Wohltätigkeitsorganisation ist, wählt das Schweizerische Rote Kreuz als ersten Partner für die Verteilung der Spenden.

Ausgehend von der Westschweiz verbreitet sich die Idee schnell auf die beiden anderen Sprachregionen im Land. Die «Glückskette» beginnt 1947 in Basel und «La buona azione» wurde 1948 in Lugano zur «Catena della Solidarietà».

Die regelmässigen Radiosendungen werden in den 1950er-Jahren eingestellt, aber die Glückskette bleibt bestehen und wird grösser. 1983 wird sie in eine eigenständige Stiftung überführt, bleibt aber dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk (SRG, zu der auch swissinfo.ch gehört) stark verbunden. Die Glückskette bezeichnet sich als den «humanitären Arm der SRGExterner Link«. Ihre Sammelaktionen werden systematisch von öffentlich-rechtlichen Sendern, aber auch von privaten Sendern verbreitet.

Wie schon in der Anfangszeit verteilt die Glückskette die gesammelten Spenden an humanitäre Nichtregierungsorganisationen (NGOs).

Derzeit gibt es 26 Partnerhilfswerke, die ListeExterner Link wird regelmässig überprüft. Die so unterstützten Projekte konzentrieren sich auf langfristige Tätigkeiten, wie den Wiederaufbau nach einer Katastrophe in der Schweiz und weltweit.

Externer Inhalt

Weil die Verteilung der gesammelten Mittel sich über mehrere Jahre hinzieht, ist die Stiftung bestrebt, das noch nicht verteilte Geld wachsen zu lassen. Sie wählt sehr risikoarme Anlagen, und die Erträge erlauben es ihr fast immer, die Verwaltungskosten zu decken. In den 36 Jahren ihres Bestehens hat sie aus den Anlagen sogar einen kumulierten Gewinn von fast 4 Millionen Franken erzielt.

Die Glückskette hat in 73 Jahren 1,8 Milliarden Franken gesammelt und ist damit der grösste Geber der Schweiz für die humanitäre Hilfe. Sie arbeitet nun auch mit ähnlichen Organisationen im Ausland in der Emergency Appeals AllianceExterner Link zusammen, die hauptsächlich zum Austausch von Erfahrungen und Best Practices genutzt wird. Und das gibt den verschiedenen NGOs mehr Sichtbarkeit und Gewicht in den Augen der Medien und des Privatsektors.

Spendenkultur

Die Glückskette ist nicht die einzige Organisation ihrer Art in der Welt, auch wenn ihre Funktionsweise und Effizienz typisch schweizerisch sind. Roger Nordmann und Jack Rollan gehörten jedoch zu den ersten, die über das Radio Spenden sammelten und diese Nähe zur Öffentlichkeit schufen. Dies hat diese wahrhaft schweizerische Institution zu einem Erfolg gemacht.

Die Glückskette basiert auch auf einer Schweizer «Kultur des Gebens», die sich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs entwickelt hat, weil die Schweiz sich privilegiert fühlte, dem Blutbad des Krieges heil entkommen zu sein. Bereits 1944 öffnete die Schweiz ihre Arme für Flüchtlinge, nachdem sie diese zu Beginn und während des Krieges noch abgewiesen hatte. Der Historiker François Vallotton nennt das den «humanitären AufholprozessExterner Link» der Schweiz.

(Übertragung aus dem Französischen: Sibilla Bondolfi)

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