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Schule schwänzen – ein unterschätztes Problem

Viele Schülerinnen und Schüler finden die Schule langweilig. imagepoint

In der Schweiz bleibt rund die Hälfte der Schülerinnen und Schüler gelegentlich der Schule fern. Das die Hauptaussage einer am Mittwoch veröffentlichten Untersuchung des Nationalfonds.

Das Phänomen sei nicht nur eine Angelegenhit des einzelnen Schülers, auch die Institution Schule sei gefordert, schreiben die Autoren der Untersuchung.

Forscher schlagen nun auch in der Schweiz wegen Schulschwänzern Alarm. Der Schulabsentismus werde unterschätzt und sei ein ernstes Problem, gab der Schweizerische Nationalfonds (SNF) am Mittwoch bekannt.

Jeder zweite Schüler bleibe der Schule gelegentlich fern; eine entscheidende Rolle spiele dabei die Schulqualität.

An den Schweizer Schulen und bei den Bildungsdirektionen werde das Schulschwänzen stillschweigend geduldet und kaum offen diskutiert, heisst es in der Mitteilung.

Dies zeige eine Studie von Margrit Stamm, Professorin für berufs- und sozialpädagogische Aspekte des Jugendalters an der Universität Freiburg.

Über internationalem Schnitt

Die Befragung von rund 4000 Schülerinnen und Schülern in acht Deutschschweizer Kantonen ergab, dass rund 50% schon geschwänzt haben. Im internationalen Vergleich liege diese Zahl über dem Durchschnitt, heisst es in der Mitteilung.

Jeder dritte Schüler schwänzt gelegentlich, das heisst, er ist im letzten halben Jahr vor der Befragung der Schule mindestens einmal fern geblieben. Fast 5% gaben an, im Laufe der letzten sechs Monate mehr als fünf Mal einen halben Tag geschwänzt zu haben. In der Schweiz gebe es somit mehr massive Schulschwänzer als hoch begabte Schüler, hält die Untersuchung fest.

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SNF

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Der Schweizerische Nationalfonds (SNF) ist eine privatrechtliche Stiftung, die im Auftrag des Bundes hauptsächlich die Grundlagenforschung in der Schweiz unterstützt. Der SNF fördert alle Disziplinen, von Philosophie über Biologie bis zu Nanowissenschaften und Medizin. Die Hauptaufgabe des SNF besteht darin, die von Forschenden eingereichten Projekte wissenschaftlich zu begutachten und diese im Rahmen der verfügbaren Mittel…

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Nullbock und Ausschlafen

Die Schulabwesenheit wird laut der Studie nach Möglichkeit verborgen. Drei Viertel der Schüler gaben an, in dieser Zeit alleine zuhause zu sein.

Den Eltern werde meist Kranksein vorgespielt. In jeder dritten Familie seien die Eltern zudem bereit, eine Entschuldigung zu schreiben. Jeder fünfte befragte Schüler habe schon die Unterschrift der Eltern gefälscht.

Als Grund für das Fernbleiben gaben 64% der Befragten “Nullbock auf Schule” an. 42% wollten ausschlafen, 40% bezeichneten den Unterricht als langweilig.

Auch die schulischen Anforderungen spielen laut der Studie eine Rolle. 22% der Schüler kämen mit der Lehrperson nicht zurecht und blieben der Schule aus diesem Grunde fern.

Individuelles und institutionelles Problem

Die Hälfte der häufigen Schulschwänzer gehört laut der Autorin einer Risikogruppe an. Sie besuchen Kleinklassen und Schulformen mit Grundansprüchen, weisen die schlechtesten Mathematiknoten und wegen hohen Klassenwiederholungsraten die höchste Überalterung auf. Ungünstig sind aber auch die institutionellen Faktoren.

Die restlichen massiven Schulschwänzer (37%) sind labile Schulschwänzer. Sie weisen aktuell keine Risikofaktoren für Fehlentwicklungen auf. Hier wird die Lehrer-Schüler-Beziehungen als ungünstig bezeichnet.

Die kleinste Gruppe bilden unterforderte oder gelangweilte Schüler auf höheren Schulniveaus (13%).

Nicht nur die Lehrer-Schüler-Beziehungen seien nicht gut; auch das schulische Kontrollsystem sei kaum als solches erkennbar.

Daraus ziehen die Forscherinnen den Schluss, dass Schulabsentismus nicht nur als individuelles, sondern auch als institutionelles Problem betrachtet werden müsse. Schulqualität und Schulorganisation spielen offensichtlich eine wichtige Rolle.

Wichtig wäre deshalb die Etablierung eines wirksamen Absenzensystems. “Schulen und Lehrpersonen, die hinsehen und nicht wegsehen, bilden die wichtigste präventive Strategie”, heisst es in der Mitteilung.

Bagatelle

Die Schule selber nimmt das Schulschwänzen offensichtlich gelassen.

Urs Stüssi, Gesamtschulleiter der Sekundarschule Muttenz im Kanton Basel-Land, sieht hinsichtlich des Schulabsentismus keine Probleme.

Unentschuldigte Absenzen kämen selten vor. Und wenn, dann würden sie, nebst dem, dass sie mit Arrest kompensiert werden, entsprechend im Zeugnis vermerkt. Stüssi sagte kürzlich gegenüber der Basler Zeitung: “Wenn wir das konsequent machen, dann spricht sich das herum, und die Schüler versuchen das dann gar nicht gross.”

swissinfo und Agenturen

Die Autoren der Studie befragten rund 4000 Schülerinnen und Schüler in 28 Schulen der Deutschschweiz.

Die Schülerinnen und Schüler waren zwischen 12 und 17 Jahre alt und besuchten unterschiedliche Schulstufen.

Bezogen auf alle Schulstufen: 64% waren zu faul um zur Schule zu gehen, 42% wollten ausschlafen und 40% fanden den Unterricht zu langweilig.

Schulabsentismus ist der wichtigste Faktor unter all jenen Gründen, die zu randständigem oder gewalttätigem Verhalten führen kann. Dies geht aus einer Studie des Institutes für Kriminologie der Universität Lausanne über den Einfluss der Schulkarriere auf die Jugend-Delinquenz hervor.

Das Thema Jugendgewalt ist in der Schweiz zur Zeit aktuell. Erst kürzlich wurde in Zürich ein 13-jähriges Mädchen von zehn Jugendlichen vergewaltigt.

Für chronisches Schulschwänzen ihrer Kinder sehen die verschiedenen kantonalen Gesetze die Möglichkeit von Bussen bis zu 5000 Franken für die Eltern vor. In Extremfällen können sogar Haftstrafen erlassen werden.

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