Schweizer Astronaut schaut auf glorreiche Karriere zurück
Diese Woche ist die erste europäische Mission zum Mars gestartet. Bei dem Projekt der Europäischen Weltraumagentur ESA spielt die Schweiz eine Schlüsselrolle.
Aus diesem Anlass befragte swissinfo den Schweizer Claude Nicollier über sein Leben als Astronaut.
Nicollier, der Weltraum-Veteran und bisher einzige Schweizer Astronaut, war bei vier Weltraumflügen dabei und verbrachte über 1'000 Stunden im All. Zu seiner letzten Mission gehörte auch ein achtstündiger Spaziergang im All.
Seine erste Shuttle-Mission hatte 1992 an Bord der Raumfähre Atlantis stattgefunden, seinen vierten und letzten Flug absolvierte er im Dezember 1999 mit der Discovery.
Nächstes Jahr tritt Nicollier zurück, hofft aber, ESA-Mitglied zu bleiben.
swissinfo: Seit wann interessieren Sie sich für den Weltraum?
Claude Nicollier: Mein Interesse geht auf meine früheste Jugend zurück. Ich war fasziniert von Flugzeugen, aber auch von der Wissenschaft, insbesondere von der Astronomie. Deshalb studierte ich Physik in Lausanne und anschliessend Astrophysik in Genf.
Ich wollte Astronom werden, musste aber mit Physik beginnen. Zum Glück kann man im Schweizer Milizsystem neben dem Beruf auch Kampfflugzeug-Pilot werden. Und das wurde ich dann auch.
Damit erfüllte ich mir zwei Träume: Ich war Pilot und, insbesondere, Astronom. Zu jener Zeit hatten die USA und die Sowjetunion mit der Erforschung des Weltalls begonnen. Ich hatte das Gefühl, dass das zwar sehr faszinierend sei, aber nichts für mich, da ich weder amerikanischer noch sowjetischer Staatbürger war.
Sie dachten als junger Mann also nie daran, dass Sie eines Tages Astronaut werden könnten?
Nein. Erst Mitte der Siebzigerjahre gab es erstmals eine Chance. Damals gruppierte sich die ESA neu. Die 11 Mitgliedsstaaten, darunter die Schweiz, beschlossen, beim Shuttle-Programm der NASA mitzuarbeiten.
Die ESA wollte zum Weltraumprogramm beitragen. Dabei geht es um das Labor, das sich an Bord der Raumfähren befindet und für hochwissenschaftliche Missionen genutzt wird.
Gleichzeitig gab die ESA bekannt, dass Europäer in einigen Raumfähren mitfliegen könnten. Als ich das hörte, meldete ich mich natürlich an. Nach einem einjährigen Selektionsprozess wählte die ESA aus 2000 Bewerbern 3 aus.
Welches Training hatten sie für die Teilnahme an einer Shuttle-Mission zu absolvieren?
Da ist natürlich einmal das körperliche Training, aber noch wichtiger ist das geistige Training zu den Themen Technologie, Raumschiff, Experimente, Teamwork sowie Interaktion mit den anderen Teammitgliedern und dem Kontrollteam am Boden.
Was ist das für ein Gefühl, mit einer Raumfähre zu fliegen?
Ich war fasziniert von unserer Arbeit im Shuttle, vor allem von den beiden Missionen zum Hubble Weltraumteleskop. Die verschiedenen Ansichten der Erde, die Sternennächte, die fehlende Schwerkraft, das Herumschweben in der Kabine - das sind alles unglaubliche, fantastische und schwer zu beschreibende Eindrücke.
Für mich als Astronaut und Astrophysiker war es ein grosses Privileg, die Chance zu haben, im Weltraum, in 600km Höhe und mit einer Geschwindigkeit von 28'000 km pro Stunde an einem Erdtag 16 Mal um die Erde zu fliegen und mit dem unglaublichsten wissenschaftlichen Instrument zu arbeiten, das je zur Erforschung des Weltalls konzipiert wurde.
Und wie fühlt sich das an, aus der Raumfähre auszusteigen und im All herumzuspazieren?
Das ist nochmals eine ganz andere Dimension, denn plötzlich ist man losgelöst vom Raumschiff - wenn auch nicht vollständig, denn aus Sicherheitsgründen bleibt man physisch mit der Fähre verbunden.
Aber im Wesentlichen geht man im Raumanzug hinaus, der gleichzeitig wie ein eigenes Raumschiff ist.
Man hat sein eigenes Raumschiff auf dem Rücken, mit allem, was man braucht - Sauerstoff und die Patrone zur Eliminierung des Kohlendioxids aus dem reinen Sauerstoff, den man einatmet.
Und wenn es ein Problem gibt, muss man sofort in die Luftschleuse zurückkehren.
Was geht einem im Moment des Ausstiegs durch den Kopf?
Oh, das ist Aufregung, gemischt mit etwas Besorgnis. Etwa wie das Lampenfieber eines Schauspielers nehme ich an.
Aber das war vorbei, sobald ich die äussere Luke der Luftschleuse geöffnet hatte und zu arbeiten begann. Ich war so gut trainiert, ich hatte das zuvor Hunderte von Stunden im Wasser getan und war auf alle Eventualitäten des Weltraumspaziergangs vorbereitet.
Wird man auch daraufhin trainiert, dass man vielleicht von einer Mission nicht zurückkehrt - vor allem nach den Unfällen der Challenger und der Columbia?
Nein, das werden wir nicht. Wir wissen, dass die Erforschung des Alls ein Abenteuer ist. Man geht an die Grenzen des Wissens und dessen, was der Mensch im Sonnensystem erreichen kann.
Wir akzeptieren das Risiko, das damit verbunden ist. Nach jedem Unglück gibt es Verbesserungen an den Raumschiffen, so dass die Wahrscheinlichkeit eines ähnlichen Unfalls kleiner wird.
Was bedeutet der Ruhestand für Sie?
Nächstes Jahr muss ich zwar als Astronaut in den Ruhestand gehen, aber das heisst nicht, dass ich mich auch von der ESA verabschiede.
Ich stellte fest, dass die Jungen sehr an der Erforschung des Weltraums interessiert sind, und ich möchte dazu beitragen, dass sie den Weltraum und die Astronomie besser verstehen.
Deshalb möchte ich nächstes Jahr an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne unterrichten.
swissinfo-Interview: Jonathan Summerton
(Übersetzung: Charlotte Egger)
Fakten
Einige wichtige Daten der Weltraumforschung
4. Oktober 1957 - Die Sowjetunion bringt den Sputnik 1 in die Erdumlaufbahn.
12. April 1961 - Der sowjetische Kosmonaut Yuri Gagarin geht als erster Mensch ins All.
20. Juli 1969 - Der US-Astronaut Neil Armstrong betritt als erster Mensch den Mond.
12. April 1981 - Start der Columbia, der ersten bemannten Weltraumfähre
28. Januar 1996 - Alle sieben Mitglieder des Challenger-Teams kommen 73 Sekunden nach dem Start bei einer Explosion ums Leben.
20. Februar 1986 - Das erste Element der Weltraumstation Mir wird in die Erdumlaufbahn gebracht.
1. Februar 2003 - Das siebenköpfige Team an Bord der Columbia kommt ums Leben, als die Raumfähre nach einer 16-tägigen Mission zur Landung ansetzt.

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