
Reaktionen: Lob aber auch Kritik und Ablehnung
Erste Reaktionen auf die Veröffentlichung des Bergier-Berichts widerspiegeln die bereits im Vorfeld erhitzte Diskussion. Besonders scharf wurde der Bericht aus dem rechten Lager angegriffen. Punktuelle Kritik übten auch die Bürgerlichen.
In ersten Reaktionen wird der Bergier- Flüchtlingsbericht von jüdischen Organisationen als wertvoll, ausgewogen und mutig begrüsst. Rechte Kreise weisen den Bericht dagegen als selbstgerechte und unhaltbare Geschichtsschreibung linker Historiker zurück. Punktuelle Kritik übten auch die Bürgerlichen.
Für Rolf Bloch, Präsident des Holocaust-Spezialfonds und Präsident des Israelitischen Gemeindebundes (SIG), ermöglicht der Bergier-Bericht erstmals eine Gesamtschau der schweizerischen Flüchtlingspolitik während der Nazi-Zeit. Der umfassende Rapport enthalte sowohl bekannte, als auch neue Elemente und beleuchte so einen Teil der Geschichte, der sich die Schweiz stellen müsse. Der Bergier-Bericht müsse nun einen Dialog über die Vergangenheit in Gang setzen.
Für die Schweizerische Flüchtlingshilfe beleuchtet der Bericht «mit neuer Tiefenschärfe das Zögern der Schweizer Regierung während des 2. Weltkriegs». Ervermeide generelle Schuldzuweisungen, ohne die schwere Verantwortung der damals Zuständigen zu verschweigen.
Die Grünen begrüssen den Bericht als fundierte Untersuchung, aus der auch die Lehren für die Asylpolitik der Gegenwart zu ziehen seien.
Anders tönt es von rechter Seite: Für die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (AUNS) enthält der «parteiische und selbstgerechte Bericht linker Historiker» unhaltbare Schuldzuweisungen an die damalige Staatsführung, die unter schwierigsten Umständen handeln musste. Der Bericht unterschlage, dass die Schweiz damals mehr jüdische Flüchtlinge aufgenommen habe als jedes andere Land.
Bericht für SVP-Präsident Maurer unbefriedigend
Der Flüchtlingsbericht der Bergier-Kommission enhält laut SVP-Parteipräsident Ueli Maurer unhaltbare Verzerrungen, weil er die Situation aus heutiger Sicht beurteile und der damaligen Situation nicht gerecht werde. Der Bericht sei daher unbefriedigend ausgefallen, sagte Maurer auf Anfrage. Als übergeordnetes Ziel habe damals gegolten, die Schweiz aus dem Krieg herauszuhalten. Passagen, die eindeutig aus heutiger politischer Sicht gewertet würden, müssen laut Maurer daher zurückgewiesen werden.
CVP sieht auch Mängel
Der Flüchtlingsbericht der Bergier-Kommission bildet laut CVP-Parteipräsident Adalbert Durrer eine interessante Grundlage für den Dialog über die schweizerische Geschichte und über das Bewusstsein der eigenen Geschichte. Die Bergier-Kommisson dürfe aber nicht als Tribunal anerkannt werden für das Verhalten der Schweiz im Zweiten Weltkrieg. Laut Durrer gibt es keine kollektive Verantwortung; es seien zwar sehr bedauerliche Fehler passiert, für die sich der Bundesrat aber bereits 1995 entschuldigt habe. Der Bergier-Bericht zieht auch Schlüsse, die Durrer laut seinen Angaben nicht mittragen kann. Er erwähnte dabei unter anderem den Vorwurf der moralischen Kapitulation vor dem Antisemitismus. Der Bericht trage auch der fast unerträglichen Situation, in der sich die Bevölkerung damals befunden habe, zu wenig Rechnung.
SP-Präsidentin:»Erschütterndes Dokument»
Die Präsidentin der SP Schweiz, Ursula Koch, hat den Bericht der Bergier-Kommission als «sehr eindrückliches und erschütterndes Dokument» zur Kenntnis genommen. Er zeige klar, dass es während des Zweiten Weltkriegs auch in der Schweiz Alternativen für ein menschlicheres Handeln in der Flüchtlingspolitik gegeben hätte, sagte sie. Es genüge deshalb nicht, das damalige Unrecht einfach zur Kenntnis zu nehmen; der Bericht müsse vielmehr dazu führen, die Verantwortung für das Schicksal der an der Grenze abgewiesenen Flüchtlinge zu übernehmen. Laut Koch ist die damalige Regierung der Schweiz direkt verantwortlich für den Tod von Tausenden von Menschen. Die SP-Präsidentin empfiehlt allen, den Bericht zu lesen und die darin enthaltenen Fakten zu akzeptieren. Als ein mögliches Zeichen zur Wiedergutmachung nannte Koch die Realisierung einer Solidaritätsstiftung.
FDP will sachliche Auseinandersetzung
Die Freisinnig-Demokratische Partei FDP hat im Flüchtlingsbericht einige Passagen als unzulässiges Urteil über die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg kritisiert. Er enthalte einseitige, tendenziöse und irreführende Bewertungen, die als politisch motivierte Färbungen nicht akzeptabel seien, schreibt die FDP. Der Bericht stelle zwar viele wichtige Fakten zu einer schwierigen Zeit zusammen, blende aber auch wichtige Komponenten der Flüchtlingspolitik aus. Zu wenig Gewicht beigemessen werde etwa der Situation der nicht-jüdischen Flüchtlinge sowie der wichtigen positiven Rolle kirchlicher und humanitär ausgerichteter Kreise. Zudem enthalte der Bericht keinen umfassenden Vergleich mit der Flüchtlingspolitik anderer Staaten. Die Schweiz habe sich insgesamt redlich verhalten und gut gehandelt. Im Bereich der Flüchtlingspolitik wäre aus heutiger Sicht teilweise zwar ein anderes Verhalten am Platz gewesen, räumte die FDP ein. Für diesen Teil der offiziellen Flüchtlingspolitik habe sich Bundesrat Kaspar Villiger im Namen des Gesamtbundesrats 1995 bereits entschuldigt. Die FDP fordert nun die Rückkehr zu einer sachlichen Diskussion um die schweizerische Flüchtlingspolitik im Zweiten Weltkrieg.
SRI und Agenturen

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