Sechs Kantone feiern ihre Jubiläen
1803 gab Napoleon der alten Eidgenossenschaft ein neues Gesicht. Für sechs Kantone steht das Jahr 2003 im Zeichen der Reflexion und des Feierns.
Eine kurze Übersicht zu den Programmen.
Paris, 19. Februar 1803: Napoleon Bonaparte überreicht den helvetischen Gesandten die Mediationsakte. Nach fünf Jahren französischer Militärbesetzung und innerer Unruhen kann die Schweiz wieder ihren Frieden finden. Während zehn Jahren bleibt das Land innerhalb von Europa eine Insel, das von den revolutionären Truppen überrollt wird.
«Es gibt genügend Gründe, den Anlass gebührend zu begehen», sagt Walther Hofstetter, Delegierter für die Feierlichkeiten im Kanton Thurgau. «Es war eine wichtige Etappe in der Entstehung der modernen Schweiz.»
Auf den Spuren Napoleons in Paris
Die sechs Kantone, die das 200-jährige Jubiläum ihrer Zugehörigkeit zur Eidgenossenschaft begehen, haben alle ein offizielles Programm auf die Beine gestellt. Einige feiern in grossem Stil, andere geben sich eher bescheiden.
Allen gemeinsam ist nur der erste Akt des Jubiläumsjahres: Offizielle Delegationen der sechs Kantone begeben sich am 19. Februar zu einer Erinnerungsfeier nach Paris. Dort treffen sie auf Behördenvertreter der «Grande Nation» und somit auf die Nachfahren des einstigen Kaisers.
Aargau mit der grossen Kelle
Die weiteren Feierlichkeiten organisieren die Kantone getrennt. Der Aargau hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Alle Einwohner sollen am Fest teilnehmen. Dafür gibt es laut Koordinatorin Caroline Guggisberg gute Gründe: «Der Kanton ist 1798 aus der Vereinigung mehrere Landvogteien hervor gegangen, aber eine wirklich einheitliche Seele hat er nie gefunden. Deshalb wollen wir die Gelegenheit des Festes als Treffen zu einer gegenseitigen Annäherung nutzen.»
Überraschend ist der Ort des Hauptanlasses: die Autobahn A1, die Osten und Westen des Landes verbindet. Wo Napoleon einst hoch zu Ross vorbei ritt, wird zurzeit am dritten Baregg-Tunnel gebaut, um ungeduldigen und staugeplagten Autofahrern das Leben zu erleichtern. Bevor der Tunnel den Automobilisten übergeben wird, dürfen die Bürger davon Besitz ergreifen – zu Fuss.
St. Gallen im Dialog mit der Bevölkerung
Auch für St. Gallen ist das Jubiläum eine Herzensangelegenheit. «Wir wollten ein bürgernahes Fest. Die 38 Projekte und 300 Veranstaltungen wurden in einem öffentlichen Wettbewerb ermittelt», sagt Marc Reinhardt, Sprecher von «St.Gallen 2003».
Im Ostschweizer Kanton will man laut Reinhardt «die Ängste, Hoffnungen und Ansprüche einer Region ernst nehmen, die sich oft vom Rest des Landes ausgeschlossen fühlt». Deshalb sei der Blick nach vorne insgesamt wichtiger als der Blick in die Vergangenheit.
Ein Fest für alle
Andere Kantone geben nur einen Fünftel dessen aus, was die Kantone St. Gallen und Aargau in ihre Jubiläumsfeiern stecken. Doch nirgendwo soll jemand auf das Feiern verzichten müssen.
So stellt der Thurgau sein Jubiläum unter die Stichworte «leben, denken, feiern». Ende August soll das «grösste Fest aller Zeiten im Thurgau» steigen. Zum Mega-Anlass in der Kantonshauptstadt Frauenfeld werden 100’000 Personen erwartet. Die Organisation wird Experten von Open-Air-Musikfestivals überlassen.
Das Motto «Köpfe und Berge» bildet den Rahmen für das Bündner Jubiläumsprogramm. Als besonders symbolträchtiger Akt ist für September eine dreitägige «Besetzung» des Zürcher Hauptbahnhofs vorgesehen. Für den Delegierten Mariano Tschuor ist dies eine einmalige Gelegenheit, um über den Beitrag des dreisprachigen Bergkantons zur modernen Schweiz nachzudenken.
Eher bescheiden will das Tessin das Jubeljahr begehen. Es gibt einen offiziellen Festakt am 24. Mai, ausserdem ein wissenschaftliches Begleitprogramm für Historiker und Forscher sowie Ausstellungen. Die Federführung hat die Staatskanzlei. Der Organisationsapparat hält sich in kleinem Rahmen.
Auch der Kanton Waadt will nicht übertreiben. Ein Theaterstück wird der «Geburt eines eidgenössischen Kantons» nachgehen. Es folgen ein Festakt in der Kathedrale von Lausanne, Symposien und Publikationen. Napoleon hat man im Kanton Waadt vor allem als Befreier von der bernischen Herrschaft in Erinnerung.
Keine Opposition
Während sich 1991 ein Proteststurm gegen die 700-Jahr-Feier und ihren nationalen Anspruch erhoben hatte, ist die Lage in Bezug auf die Jubiläumsfeiern der Kantone ruhig. Opposition gibt es keine, wie alle kontaktierten Delegierten bestätigen.
1803 ist ein sehr konkretes Datum und Napoleon ist auf seine Weise noch heute präsent. Die damals geschaffenen nationalen Institutionen, die nie mehr durch Krieg oder Revolutionen bedroht wurden, sind nach wie vor erkennbar. Ihre Funktionsweise müsste vielleicht überdacht werden.
Es wird Debatten und Gespräche geben, aber die Lust zum Polemisieren ist vergleichsweise gering. Die Tendenz geht mehr in Richtung von Volksfesten. Aber auch das stellt eine Konstante für die Schweizer Geschichte dar: ein Fest feiern, um sich gegenseitig kennenzulernen. Dies ist notwendig in einem Land, das keine nationale Einheit kennt und sich durch das Zusammenleben seiner diversen Kulturen und Sprachen definiert.
swissinfo, Daniele Papacella
Mit der Mediationsakte von 1803 setzt Napoleon einen Schlussstrich unter die Unruhen in der Helvetischen Republik.
Der alten, aus 13 Kantonen bestehenden Eidgenossenschaft werden definitiv sechs neue Kantone mit gleichen Rechten angegliedert: Aargau, Graubünden, St. Gallen, Tessin, Thurgau und Waadt.
Genf, Neuenburg und Wallis folgen 1815.
In regelmässigen Abständen feiert sich die Schweiz selber.
1991 erinnerte die Eidgenossenschaft in der 700-Jahr-Feier an den Rütlischwur von 1291. 1998 beging man 150 Jahre Bundesstaat. Im gleichen Jahr erinnerte man auch an den Geburtstag der Helvetischen Republik und den ersten Versuch der französischen Eroberer, einen modernen Staat einzurichten.
2002 war die Expo.02 an der Reihe, die sechste nationale Landes-Ausstellung seit 1883.
Die Erinnerung an die Geschichte und den Einigungsprozess sind typische Charaktere eines kulturell und sprachlich zerklüfteten Landes.
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