Was die Schweiz erwartet: Die wichtigsten politischen Themen für 2026
Das neue Jahr wird entscheidend für die künftigen Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU sein. Und den Bürgerinnen und Bürgern ein aussergewöhnlich dichtes Abstimmungsmenü bieten.
2026 wird das Jahr der Wahrheit für die Beziehungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union sein. Die Parlamente der Schweiz und der EU werden über ein neues Paket von Abkommen zur Stabilisierung und Entwicklung ihrer Beziehungen abstimmen.
Das Dossier hat die politische Bühne in diesem Jahr bereits dominiert. Im Oktober endete die VernehmlassungsphaseExterner Link, in der Parteien, Verbände und Kantone sich positionieren konnten. Nach seiner Analyse plant der Bundesrat, gewisse Punkte anzupassen, und wird seine Botschaft voraussichtlich im März an das Parlament weiterleiten. Die Eidgenössischen Räte werden die Debatte am Frühjahr eröffnen – die Diskussionen versprechen hitzig zu werden.
Nur die Schweizerische Volkspartei SVP (rechtskonservativ) lehnt die sogenannten Bilateralen III kategorisch ab. Für die anderen politischen Fronten ist es ein Ja – mit verschiedenen «Aber». Die Sozialdemokratische Partei SP (links) fordert einen Kündigungsschutz für Gewerkschaftsvertretende. Die Mitte stellt Forderungen im Zusammenhang mit der Einwanderung. Die FDP (wirtschaftsliberal) kritisiert die dynamische Übernahme von EU-Recht. Und die bäuerlichen Kreise planen für den Erhalt ihrer Autonomie im Lebensmittelbereich zu kämpfen.
Der Prozess endet aber nicht in Bern. Die Abkommen müssen auch vom EU-Rat und im Herbst vom Europäischen Parlament ratifiziert werden. In Brüssel haben die Fraktionen unter der Leitung von Christophe Grudler, Berichterstatter für die Beziehungen zur Schweiz, damit begonnen, die 1800 Seiten des Pakets zu analysieren. «Es gibt einige Kritikpunkte, aber eine Mehrheit der Abgeordneten wünscht sich heute gute und dauerhafte Beziehungen zur Schweiz», sagt er.
Der Kampf um das Referendum
Wenn der Vertrag von den Abgeordneten auf Bundes- und EU-Ebene angenommen wird, ist der letzte Schritt der schwierigste: der Gang an die Urne. Eine Volksabstimmung wird für 2027 erwartet, vor den eidgenössischen Wahlen im Oktober.
Doch 2026 wird es noch einen weiteren Kampf geben: Es braucht eine Einigung bezüglich der Art der Abstimmung.
Der Bundesrat will das Vertragspaket dem fakultativen Referendum unterstellen, was bedeutet, dass es nur mit einfachem Volksmehr angenommen werden muss. Die SVP will jedoch für ein obligatorisches Referendum kämpfen, das eine doppelte Mehrheit erfordert: Volk und Stände. Damit würde die Annahme des Vertragswerks erschwert werden.
Das Parlament wird darüber entscheiden müssen. Aber die Frage wird auch dem Stimmvolk vorgelegt: über die von drei Milliardären aufgesetzte «Kompass»-Initiative, die eine doppelte Mehrheit für jedes Abkommen mit Brüssel fordert.
Eine weitere Initiative, die bereits im Juni zur Abstimmung kommen könnte, gefährdet das Zustandekommen der neuen Verträge mit der EU ebenfalls: die Initiative «Keine 10-Millionen-Schweiz» der SVP. Diese fordert eine strenge Kontrolle der Zuwanderung und sieht vor, Massnahmen einzuführen, sobald die Bevölkerungszahl 9,5 Millionen überschreitet.
Sollte sie durchkommen, würde die Personenfreizügigkeit in Frage gestellt, was über die «Guillotine-Klausel» zur Kündigung der anderen bilateralen Abkommen führen könnte. In diesem Zusammenhang könnte die EU auf die Fertigstellung des neuen Pakets verzichten.
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Eine Lawine von Volksabstimmungen
Diese mit dem EU-Dossier verbundenen Anliegen werden nicht die einzigen sein, die in diesem Jahr an der Urne entschieden werden. Fast zwanzig InitiativenExterner Link könnten demnächst Gegenstand von Volksabstimmungen werden.
Der erste Abstimmungssonntag gibt den Ton an: Am 8. März wird über vier Vorlagen abgestimmt. Zentral dabei ist das Anliegen «200 Franken sind genug». Die Initiative, die von der SVP, dem Schweizerischen Gewerbeverband und der Jungen FDP getragen wird, schlägt vor, die Gebühren von 335 auf 200 Franken pro Jahr zu senken und alle Unternehmen davon zu befreien. Mit diesen Einnahmen werden die Radio- und Fernsehprogramme der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG, zu der auch Swissinfo gehört, finanziert.
Am selben Tag stimmen die Bürger:innen auch über die Einführung der Individualbesteuerung ab, mit der die «Heiratsstrafe» korrigiert werden soll. Zwei weitere Vorlagen stehen auf der Tagesordnung: eine Initiative, die das Bargeld in der Schweiz in der Verfassung verankern will, und eine Initiative, die die Schaffung eines Klimafonds fordert.
Es werden drei weitere Abstimmungssonntage folgen. Unter anderem wird die sogenannte «Neutralitätsinitiative» erwartet, die von SVP-nahen Kreisen und dem Verein Pro Schweiz eingereicht wurde. Die Initiative will den Beitritt zu einem Militär- oder Verteidigungsbündnis ausschliessen, ausser im Falle eines direkten Angriffs, und die Beteiligung der Schweiz an internationalen Sanktionen auf die von der UNO beschlossenen beschränken.
Weiterführende Informationen über die «Neutralitätsinitiative»:
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Auf der Suche nach neuen Handelspartnern
Aussenpolitische Ängste werden in der Schweiz meist mit der vermeintlich übermächtigen EU in Verbindung gebracht. Die grösste nationale Erniedrigung der letzten Jahre kam jedoch aus Washington: Die 39% Zölle auf schweizerische Exporte haben einen Schock ausgelöst. Dass sie mittlerweile auf 15% reduziert wurden, hat zwar zu einem Aufatmen geführt, aber den Ärger nicht vertrieben.
Nicht nur, weil die USA – nach der EU – der zweitwichtigste Absatzmarkt für Schweizer Exporte sind. Sondern vor allem auch aufgrund der Art und Weise, wie das Zoll-Diktat in der Schweiz empfunden wurde: Als eine schamlose Demonstration von Stärke, mit dem Ziel möglichst viele finanzielle Mittel abzupressen. Und das alles erst noch kommuniziert am Nationalfeiertag.
Die Schweiz hat wenig Mittel sich dagegen zu wehren, aber sie hat ein klares Ziel formuliert: Die Diversifikationsstrategie zu stärken, welche die Unterzeichnung von Handelsabkommen mit Staaten auf der ganzen Welt vorsieht. Innert kurzer Zeit wurden bereits mehrere neue Abkommen unterschrieben oder aufgegleist. Und das funktioniert in diesem Tempo, weil auch die anderen Staaten das möchten – die meisten wollen Abhängigkeiten von den erratisch auftretenden USA minimieren.
Die amerikanischen Zölle lösten in der Schweiz einen Schock aus. Sie geben jenen Auftrieb, die für eine engere Anbindung an die EU plädieren:
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Schweiz übernimmt den OSZE-Vorsitz zum dritten Mal
Den Vorsitz einer blockierten Organisation zu übernehmen, ist keine dankbare Aufgabe – vor allem nicht, wenn man dazu noch motiviert werden muss. Zum dritten Mal (nach 1996 und 2014) übernimmt nun die Schweiz den OSZE-Vorsitz, hauptsächlich weil man sich in der Sicherheitsorganisation auf keinen anderen Staat einigen konnte.
Die OSZE – die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa – umfasst die gesamte Nordhalbkugel, hat 57 Mitgliedstaaten und ein knappes Dutzend Kooperationspartner. Mit einem Budget von 138 Millionen Franken ist sie im Vergleich zu anderen multilateralen Gremien sehr günstig, aber selbst sich auf dieses Budget zu einigen, ist immer schwieriger geworden. Die USA drohen mit einer Streichung der Gelder, sollte die OSZE sich nicht auf ihre «Kernaufgaben» konzentrieren.
Wie die russische Botschaft in Bern mitteilte, sei die «Unterstützung» der Schweizer Kandidatur als eine Art «Vorauszahlung» zu verstehen – und der Erfolg der Schweiz hänge davon ab, wie glaubwürdig sie als unparteiische Vermittlerin auftrete. Das ist eine diplomatisch-verklausulierte Art zu sagen, dass man sich zu nichts verpflichten will. Die russische «Unterstützung» bestand immerhin einzig darin, kein Veto einzulegen.
Die Schweiz wird diplomatisch und politisch vermutlich trotzdem vom Vorsitz profitieren. Sie ist die einzige Plattform, in der Europa, Russland und die USA gemeinsam an einen Tisch sitzen. Ein möglicher Frieden zwischen Russland und der Ukraine mit einem Einbezug der OSZE wäre das Best-Case-Szenario für den Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis, der den Vorsitz haben wird.
Die Schweiz wird sich auf sehr unterschiedliche Szenarien gefasst machen müssen, schreibt Thomas Greminger, der ehemalige Generalsekretär der OSZE:
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So kann die Schweiz mit dem OSZE-Vorsitz 2026 etwas bewirken
Editiert von Samuel Jaberg
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