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Zwei Jahre vor den nächsten Wahlen: Die Parteien im Formcheck

In jeder Session eine «Sondersession Asyl»: Die SVP gibt in Bundesbern den Takt vor.
In jeder Session eine «Sondersession Asyl»: Die SVP gibt in Bundesbern den Takt vor. Keystone / Alessandro Della Valle

Es ist Mitte der laufenden Legislaturperiode. Die SVP strotzt vor Kraft. Andere Parteien suchen noch ihre Linie – oder beklagen bereits eine verlorene Legislatur. Unsere Analyse mit Blick auf die Fünfte Schweiz.

Die Verschiebungen liegen im Prozentbereich, doch in der stabilen Schweiz sind es mittlere Beben. Das Wahlbarometer der SRG von Anfang Oktober offenbart, wie die grösste politische Kraft im Land weiterhin wächst, während die Parteien jenseits der Pole an Zustimmung einbüssen.

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Nach zwei Jahren Parlamentsarbeit, fünf Abstimmungswochenenden, zwei Bundesratswahlen und elf Wahlen in die Kantonsparlamente lässt sich analysieren: Was sind die Themen? Wer bringt sie durch? Wer kommt nicht vom Fleck? Und wie steht es um das Angebot für Schweizerinnen und Schweizer im Ausland?

Zusammen mit Politprofi Lukas Golder vom Meinungsforschungsinstitut gfs.bern schauen wir auf den Formstand der Parteien.

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Die SVP kratzt an der 30%-Marke

Klares Nein zu den neuen Verträgen mit der EU: SVP-Spitzenpolitiker Magdalena Martullo-Blocher und Thomas Aeschi.
Klares Nein zu den neuen Verträgen mit der EU: SVP-Spitzenpolitiker Magdalena Martullo-Blocher und Thomas Aeschi. Keystone / Peter Klaunzer

Nichts scheint der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei SVP bei ihrem weiteren Aufstieg im Weg zu stehen. Als grosse Siegerin der letzten eidgenössischen Wahlen hat die stärkste Partei der Schweiz seither auch in elf Kantonsparlamenten 36 Sitze dazugewonnen.

Das Angebot für Schweizer:innen im Ausland

Die Abgrenzung zur EU beschäftigt auch die internationale Sektion der Partei, die rund 350 Mitglieder zählt.
«Wir kämpfen im Namen der in der EU lebenden Schweizer gegen die Unterwerfung unseres Landes unter Dschungel der europäischen Regulierung», sagt SVP-Generalsekretär Henrique Schneider.

Im Parlament sorgte zuletzt eine Motion für Aufsehen, welche die Postfinance dazu verpflichten will, Konti für Auslandschweizer:innen zu fairen Konditionen anzubieten. Absender ist der Genfer Ständerat Mauro Poggia von der Regionalpartei MCG, der im Rat Teil der SVP-Fraktion.

Wenig Freunde innerhalb der Auslandschweizer-Community machte sich die SVP hingegen mit ihrem Kampf gegen die 13. AHV-Rente Anfang 2024. Die Partei stellte Rentenbezüger:innen im Ausland als Schmarotzer dar.

Anfang Oktober überschritt die SVP laut Wahlbarometer erstmals die 30%-Marke. «Alles deutet darauf hin, dass sie diese Schwelle bei den eidgenössischen Wahlen 2027 überschreiten wird», sagt Lukas Golder, Politologe bei gfs.bern.

Die konservative Rechte bleibt bei der Strategie, die ihr seit den 1990er-Jahren Erfolg beschert: Sie lehnt jede Annäherung an die Europäische Union ab. Gezielt nutzt sie die Debatte um die neuen Verträge mit Brüssel für sich.

Daran ändert auch der Zollhammer der USA nichts. «Eine Annäherung an die EU, die sich in einer Krise befindet und hoch verschuldet ist, wäre das Schlimmste, was die Schweiz derzeit tun könnte», sagt der Generalsekretär der SVP, Henrique Schneider, dazu.

Ebenso bewirtschaftet die Partei auch weiterhin die Zuwanderung als Kernthema. Sie schafft es auch, fast jedes beliebige Problem als Folge der Zuwanderung darzustellen. Zwar zeigt das jüngste Wahlbarometer, dass dieses Thema in der Bevölkerung etwas an Dringlichkeit verloren hat.

Aber Schneider entgegnet: «Die Politik der SVP basiert nicht auf Umfragen, sondern auf realen Problemen, mit denen die Schweizer Bevölkerung konfrontiert ist, wie etwa den katastrophalen Folgen einer übermässigen Zuwanderung.»

 «Die SVP hat die Macht, der Politik ihre Agenda zu diktieren», stellt Lukas Golder fest. Im Parlament verlangt sie regelmässig nach einer Sondersession zum Thema Asyl. Und für kommende Urnengänge hat sie bis zu den Wahlen 2027 gleich mehrere Volksinitiativen vorbereitet.

Da ist die «Nachhaltigkeits-Initiative», die verhindern will, dass die Schweiz bis 2050 mehr als 10 Millionen Einwohner:innen hat. Die «Neutralitäts-Initiative», die eine strikte Auslegung der Schweizer Neutralität in der Verfassung verankern will sowie die SRG-Initiative, die eine Halbierung der Radio- und Fernsehgebühren verlangt.

Der Siegerkurs gelingt der Partei auch ohne SVP-Übervater Christoph Blocher. Sie profitiert vom internationalen Rechtsruck. «Man hat die Inspiration aus den USA, dass noch viel mehr Machtpotenzial da ist, wenn man richtig mobilisiert, wenn man sich weniger an Fakten orientiert, wenn man noch drastischer auf Oppositionskurs macht», analysiert Golder.

SP: Im Parlament blockiert, erfolgreich an der Urne

Die SP-Parteispitze mit Samira Marti (Mitte) feiert im September 2024 das Nein des Volks zur BVG-Reform.
Die SP-Parteispitze mit Samira Marti (Mitte) feiert im September 2024 das Nein des Volks zur BVG-Reform. Keystone / Peter Schneider

Die sozialdemokratische SP sieht sich in der laufenden Legislatur einem rechtsbürgerlich dominierten Parlament gegenüber. «Bei unseren drei Kernthemen – Kaufkraft, Gleichstellung und Klimaschutz – steht die SVP stets auf der Gegenseite», sagt SP-Co-Fraktionschefin Samira Marti.

Das Angebot für Schweizer:innen im Ausland

Die SP International ist mit zahlreichen Länder-Antennen für die Auslandschweizer:innen präsent. Seit 2023 sei die Mitgliederzahl um 40% gestiegen, schreibt die Partei. «Wir schaffen Angebote auf all unseren Kanälen, die auch von Mitgliedern im Ausland genutzt werden, damit diese so nah wie möglich am politischen Leben in der Schweiz teilnehmen können.»

Im Parlamentsbetrieb fiel eine SP-Motion auf: Sie forderte ein Sonderkontingent an Aufenthaltsbewilligungen für Nachfahren von Ausgewanderten, die keinen Schweizer Pass haben. Zahlreiche Vorstösse forderten auch eine engere Zusammenarbeit der Schweiz mit der EU, was im Sinn der meisten Schweizer:innen mit Wohnsitz in Europa sein dürfte.

Doch was die SP im Parlament nicht durchbringt, holt sie an der Urne. Die Annahme der 13. AHV-Rente 2024 war ein Meilenstein. Auch bei Abstimmungen zum Mietrecht, zur beruflichen Vorsorge und zum Autobahnausbau setzte sich die Partei durch – und versenkte damit gleich mehrere Vorlagen des bürgerlichen Lagers.

Ein Grund: Die SP hat früh auf digitale Kampagnen gesetzt. «Im Campaigning ist sie derzeit die modernste Kraft», sagt Politologe Lukas Golder. Bemerkenswert sei das, weil in anderen Ländern eher rechte Parteien digital dominieren. «Die identitäre Politik gibt der SP grosse Feuerkraft im Netz», sagt Golder.

Das Co-Präsidium der Partei treibt diese «permanente Mobilisierung» aktiv voran. Die beiden Juso-Gewächse Cédric Wermuth und Mattea Meyer haben ihre Führungsrolle gefestigt. «Intern stehen sie jedoch vor der Herausforderung, die gesamte Breite der Partei abzubilden», sagt Golder.

Bei kantonalen Wahlen gewann die SP 13 Sitze hinzu – teils allerding auf Kosten der Grünen, ihrer Schwesterpartei.

«Wir sind zufrieden», sagt Marti. «Aber der weitere Aufstieg der SVP bereitet uns Sorgen.» Die Bekämpfung der Initiative «Keine 10-Millionen-Schweiz» gilt der SP als zentrale Herausforderung für 2026.

Rückschläge gab es ebenfalls: Die Prämienentlastungsinitiative scheiterte, und die Abschaffung des Eigenmietwerts traf die Partei überraschend und hart.

Auch die Europapolitik bleibt schwierig. Beim neuen Vertragswerk mit der EU herrscht intern nicht die Einigkeit, die nach aussen dringt. Zwar akzeptieren die Gewerkschaften inzwischen die Lohnschutz-Massnahmen, doch beim Stromabkommen befürchten sie Einbussen bei der Kaufkraft.

Bis zu den Wahlen 2027 plant die SP einige Volkinitiativen. Sie will die Krankenkassenprämien an die Einkommensstärke koppeln oder Bundesgelder gegen die Männergewalt an Frauen einsetzen. Damit bleibt die Mobilisierung hoch.

Die Mitte: Kräfte sammeln nach dem Sturm

Befreiungsschlag im März 2025: Kantonalpolitiker:innen der Mitte feiern die Wahl von Martin Pfister in den Bundesrat.
Befreiungsschlag im März 2025: Kantonalpolitiker:innen der Mitte feiern die Wahl von Martin Pfister in den Bundesrat. Keystone / Marcel Bieri

Die Legislatur hat für die wertkonservativ-zentristische Mitte gut begonnen. Die aus dem Zusammenschluss von BDP und CVP hervorgegangene neue Partei konnte bei ihren ersten Wahlen unter neuem Namen Stimmenanteile gewinnen.

Das Angebot für Schweizer:innen im Ausland

Das Ausland-Netzwerk «Mitte International» verfügt über keine Mitgliederzahlen. Man stelle jedoch ein wachsendes Interesse an Fragen im Zusammenhang mit der Diaspora fest, teilt die Partei mit.

In den Räten gingen einige Vorstösse von Mitte-Vertreter:innen ein, die im Interesse der Diaspora sind. So etwa eine MotionExterner Link, die verlangte, dass die Schweiz mit Frankreich eine bestehende Doppelbesteuerungs-Falle wegverhandelt. Ein Kernthema der Partei ist die Gesundheitspolitik. Entsprechend setzt sie sich auch für ihre im Ausland lebenden Mitglieder ein, beispielsweise für eine Krankenversicherung für Schweizerinnen und Schweizer, die ausserhalb der EU und der EFTA leben.  

Auch die Beibehaltung von Bundesgeldern für Swissinfo, die SRG-Einheit für Auslandschweizer:innen, hat die Mitte verteidigtExterner Link

Doch dann bahnte sich eine Krise an. Anfang 2025 brach sie mit einer Reihe von Rücktritten an der Spitze der Partei aus: Zunächst trat der Präsident zurück, dann die Generalsekretärin und schliesslich auch die Bundesrätin.

Diese Rücktrittswelle brachte interne Differenzen ans Licht und offenbarte, wie schwer es der Partei fiel, Kandidierende für einen Bundesratssitz zu finden. Dies, obwohl sie eigentlich einen zweiten Sitz in der Regierung anstrebt.

Mit der Wahl von Martin Pfister in den Bundesrat im März setzte eine Phase der Beruhigung ein. Es sei der Partei gelungen, wieder Ruhe in ihre Reihen bringt, stellt Lukas Golder fest. «Dies ist im Hinblick auf die nächsten Wahlen auch notwendig.»

Auf die Wahlen in den Kantonsparlamanten wirkte sich die Krise nicht negativ aus: Die Partei gewann sogar drei Sitze hinzu. Doch wird das reichen, um die FDP zu überholen und so zur drittstärksten politischen Kraft des Landes zu werden?

Die Mitte gibt sich zurückhaltend: «Das Ziel ist es, neue Wähler zu gewinnen und unseren Stimmenanteil in allen Regionen zu erhöhen», erklärt Parteisprecherin Annette Kupferschmied. Sie beschreibt ihre Partei als «stärkste Kraft in der Mitte des politischen Spektrums, die durch ihre Fähigkeit, Lösungen zu finden, überzeugt.»

Lukas Golder relativiert diese Sichtweise. Seiner Meinung nach konnte sich die Partei im Parlament in der laufenden Legislaturperiode noch nicht als Brückenbauerin etablieren.

Nach der Namensänderung müsse sie nun ihr urbanes Profil mit ihrer konservativen Verankerung in Einklang bringen und gleichzeitig lösungsorientiert bleiben. «Wenn die Mitte ihre politische Linie nicht klarer definiert, könnte diese Unschärfe zu einem Handicap werden», sagt der Politologe von gfs.bern.

Editiert von Mark Livingston, Grafiken: Kai Reusser

Unsere Analyse der FDP und der Grünliberalen Partei finden Sie im Teil 2 unseres Parteienchecks:

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Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die SVP strotzt vor Kraft. Andere suchen noch ihre Linie. Unsere Analyse der ersten Legislaturhälfte mit speziellem Blick auf die Fünfte Schweiz.

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