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Sozialliberaler wird höchster Schweizer

Yves Christen, neuer Nationalrats-Präsident. Keystone Archive

Der Waadtländer Freisinnige Yves Christen ist für ein Jahr Nationalratspräsident. Er will den nationalen Zusammenhalt stärken.

Am ersten Tag der Wintersession hat er das Amt von Vorgängerin Liliane Maury Pasquier übernommen. Ständerats-Präsident wird Gian-Reto Plattner (SP/BS).

Hohe Ehre für den 61-jährigen Waadtländer FDP-Nationalrat Yves Christen. Mit 129 von 156 Stimmen zum obersten Schweizer gewählt, leitet er seit Montag nachmittag die Sitzungen des Nationalrats. Christen sieht das Nationalratspräsidium als Krönung seiner politischen Karriere.

Eines seiner Ziele sei, “dass die zahlreichen Gesetze, die in der ‘Pipeline’ stehen, während des letzten Jahres der Legislatur behandelt werden können”, wie er gegenüber swissinfo sagte.

Auch in der Aussenpolitik will Christen Zeichen setzen. Und zwar mit dem Export der Schweizer “Geheimwaffe” Föderalismus: “Ich hoffe, dass sich die Schweiz auf ein aussenpolitisches Projekt einen kann; zum Beispiel könnte sie ihre Erfahrung in Sachen Föderalismus für die Einigung der Länder im ehemaligen Jugoslawien einsetzen.”

Eine Integrationsfigur

Der Humanist Christen steht ein für einen “menschengerechten Liberalismus” und fordert einen gerecht verteilten Wohlstand. Damit schafft er sich allerdings innerhalb der Freisinnig-demokratischen Partei nicht nur Freunde. In den neoliberalen Kreisen um Pascal Couchepin gilt er als rotes Tuch, wie verschiedene Zeitungen berichten.

Auch bei dem Hin und Her um das Parteipräsidium der FDP ging Christen lieber in die Opposition und votierte früh gegen den Wirtschaftspolitiker Hans-Rudolf Merz. Doch er ist sich des Risikos bewusst, das ein in der Wirtschaft tätiger Politiker wie er selber eingeht.

“Nur mit einem Berufsparlament könnte man dieses Risiko vermeiden. Das soll einmal das Volk entscheiden, ob wir unser Milizsystem beibehalten wollen”, erklärte er gegenüber swissinfo.

Ein Umstand könnte sein Jahr als Nationalratspräsident gefährden: Christen ist auch von den Untersuchungen über die Milliardenverluste bei der Waadtländer Kantonalbank betroffen. Doch er blickt diesen gelassen entgegen. Für den Fall, dass er belastet würde, hat er bereits seinen Rücktritt von allen politischen Ämtern angekündigt.

Karriere nach Mass

Christen wurde am 13. Juli 1941 in Bern geboren. Seine Familie stammt aus dem Kanton Neuenburg. Nach dem Studium an der ETH Zürich zog es den 30-jährigen Zweisprachigen in die Westschweiz.

In Vevey kletterte der Ingenieur bald die Karriereleiter hoch. Er wurde Vizedirektor einer Baufirma. Und schon bald stieg er auch in die Politik ein: 1978 als Gemeinderat, 1982 schaffte er es in den Waadtländer grossen Rat.

Schon vier Jahre später wechselte Christen in die Exekutive, in die Stadtregierung von Vevey. 1990 wurde er zum Stadtpräsidenten gewählt. Ein Amt, das er bis letztes Jahr ausübte.

1995 schaffte er den Sprung auf die nationale Bühne der Politik, in den Nationalrat. Ein Jahr später übernahm er auch das Amt des Präsidenten der (damals zerstrittenen) Waadtländer FDP, welche er zu einigen vermochte.

Seit er nationale Politik betreibt, kämpft Christen für eine offene Schweiz, für den UNO-Beitritt und eine Öffnung gegenüber der EU und anderen internationalen Organisationen. Ausserdem will er die Ausländer in der Schweiz besser integrieren und fordert für diese ein kommunales Stimmrecht.

Nationalrat im Judogriff

Der höchste Schweizer ist auch ein passionierter Sportler. Die grosse Karriere machte er im Judo, wo er es 1968 bis zum Schweizer Meister im Leichtgewicht schaffte. Seine Teilnahme an den olympischen Spielen in Tokio scheiterte nur an einem gebrochenen Arm.

Yves Christen war auch während einigen Jahren Präsident des Fussballclubs Vevey-Sports. Zu kantonalen Parteikongressen fährt der Präsident der Stiftung “Veloland Schweiz” regelmässig mit dem Fahrrad, und sei es in einem entfernten Winkel des grossen Kantons Waadt.

Ausserdem steigt er gerne auf die Langlauf-Ski und geht regelmässig Joggen. Doch auch Lesen bezeichnet Christen als ein Hobby: “Ich lese Schweizer Autoren und die griechischen Philosophen.”

Physikprofessor leitet das Stöckli

Im Ständerat übernimmt der Basler Sozialdemokrat Gian-Reto Plattner das Zepter von Anton Cottier.

Plattner, der Basler mit Wurzeln im Kanton Graubünden, will sich in seinem Präsidialjahr für die Schweizer Hochschulen stark machen. Ein Ruck müsse durchs Land gehen, wünscht sich der frischgebackene Ständeratspräsident.

Weiter will sich der Vizedirektor der Uni Basel für bessere Beziehungen zwischen Bern und Basel einsetzen. Seine Stadt werde in der Hauptstadt immer noch zu wenig wahrgenommen.

Wahrgenommen wurde allerdings seine Haltung in Sachen Gentechnik, die von der Mehrheit seiner Partei abweicht. Dies trug ihm Kritik aus den eigenen Reihen ein. Der Vorwurf: Er sei zu nah bei der Chemie- und Pharmaindustrie. Doch Plattner wehrte ab: Er sei ein selber denkender Mensch.

Nach seinem Präsidialjahr will sich Plattner aus der Politik verabschieden.

swissinfo, Christian Raaflaub

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