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STEUERAFFÄRE/Schäuble sieht Schweizer Bankgeheimnis ‹am Ende›

BERLIN (awp international) – Nach der jüngsten Steuersünder-Affäre ist das Bankgeheimnis für den deutschen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) auch in der Schweiz «am Ende». Es könne im 21. Jahrhundert kein Instrument mehr sein, «das von Staats wegen die Steuerhinterziehung ermöglicht», sagte Schäuble der «Süddeutschen Zeitung» (Samstag).
Das Ausmass der Affäre ist nach Angaben der Bundesregierung noch nicht absehbar. Spekulationen, die gestohlenen Bankdaten könnten einen Steuerbetrug von bis zu 400 Millionen Euro entlarven, seien unseriös. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) verteidigte den geplanten Kauf der Steuersünder- CD. Bei Finanzämtern gingen in jüngster Zeit mindestens 50 Meldungen ein, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur dpa in elf Bundesländern ergab. Dem Land Baden-Württemberg wurden ebenfalls Daten potenzieller Steuersünder zum Kauf angeboten.
Schäuble rechnet trotz Widerstands aus der Schweizer Bankenbranche damit, dass es einen «allgemeinen Informationsaustausch zwischen Deutschland und der Schweiz» geben wird. Die Verhandlungen darüber gingen schrittweise voran. Künftig sollten von der Schweiz Daten über Steuerhinterzieher herausgegeben werden. Ein Ankauf von ausgespähten Daten wäre dann nicht mehr notwendig. Die Schweizer Banken wehren sich gegen einen automatischen Informationsaustausch mit den EU- Ländern über ihre Kunden.
Nach Angaben der «Süddeutschen Zeitung» könnte die Aufdeckung der Schweiz-Steueraffäre dem Fiskus bis zu 400 Millionen Euro einbringen. Eine Sprecherin Schäubles erklärte, man könne das Ausmass nicht abschätzen: «Das ist aus unserer Sicht momentan nicht seriös möglich.» Medienberichten zufolge sollen insgesamt bis zu 100.000 Deutsche rund 23 Milliarden Euro an der Steuer vorbei auf Schweizer Konten versteckt haben. Auf der Steuer-CD sollen bis zu 1.500 Namen stehen. Wie viele davon tatsächlich Steuern hinterzogen haben, ist offen.
In Expertenkreisen wird die Grössenordnung der Affäre angezweifelt. «Das werden keine 400 Millionen Euro sein», sagte der Fachanwalt für Steuer- und Strafrecht, Andreas Hagenkötter, der dpa. Die Regierung baue eine Drohkulisse auf, damit es möglichst viele Selbstanzeigen gebe.
Die Schweizer Banken sperren sich gegen einen automatischen Informationsaustausch. Einen solchen massiven Eingriff in die Privatsphäre könne die Schweiz nicht akzeptieren, sagte der Geschäftsführer der Schweizerischen Bankiervereinigung, Urs Roth, der «Berner Zeitung». Finanzminister Hans-Rudolf Merz hatte angedeutet, dass für die Schweiz ein von der EU seit langem geforderter und dort üblicher automatischer Informationsaustausch möglich wäre.
«Solche Aussagen sorgen für Unsicherheit», sagte Roth. Dass Deutschland für gestohlene Bankdaten aus der Schweiz zahle, sei ungeheuerlich. «Dass ein Rechtsstaat Unrecht mit Unrecht vergilt, geht doch einfach nicht.» Dies komme einer Einladung an potenzielle Datendiebe gleich.
Dem Land Baden-Württemberg liegt ebenfalls ein Kaufangebot von Daten potenzieller Steuersünder vor. Ein Sprecher des Finanzministeriums in Stuttgart bestätigte einen Bericht der «Frankfurter Rundschau» (Samstag): «Wir haben Daten bekommen und prüfen sie. Wir stimmen unser weiteres Vorgehen mit dem Bund ab», sagte er der dpa. Nach Recherchen der Zeitung handelt es sich um Daten von rund 2000 möglichen Steuersündern. Der Datensatz betreffe Kunden «verschiedener Schweizer Banken und Versicherungen», sagte der Sprecher dem Blatt. Man habe schon im vergangenen Jahr Stichproben erhalten. Nach Informationen der Zeitung handelt es sich dabei um viele Daten von Kunden der Schweizer Bank UBS. Auch Kunden von Credit Suisse und des Lebensversicherers Generali seien betroffen.
In Niedersachsen gingen inzwischen zehn Selbstanzeigen ein. Das Finanzministerium in Hannover teilte mit, dass es um nicht versteuerte Einnahmen von insgesamt mehr als 3 Millionen Euro gehe. Für den Staat bedeute das rund 1,2 Millionen Euro mehr Steuern. Bei den hessischen Finanzämtern meldeten sich diese Woche 27 reuige Steuersünder. Auch in anderen Ländern zeigten sich Bürger selbst an. Offen blieb, ob es einen Zusammenhang zur Schweiz-Affäre gab.
Die «SZ» berichtete, der anonyme Informant habe sich bereits vor knapp einem Jahr bei der Steuerfahndung in Wuppertal gemeldet. Dort habe er die Daten von deutschen Kunden der Grossbank Credit Suisse angeboten. Inzwischen hätten die Fahnder mehrere Stichproben mit über einhundert Namen erhalten, die sich in vielen Fällen als Volltreffer erwiesen hätten, schrieb die Zeitung, die die Affäre mit aufgedeckt hat, unter Berufung auf die Finanzbehörden. Die Credit Suisse erklärte, keine Hinweise auf einen Datendiebstahl zu haben.
Am Donnerstag hatte Nordrhein-Westfalen die rechtliche Prüfung über den Ankauf der Steuer-CD abgeschlossen. Danach machen sich die Behörden nicht strafbar. Die gestohlenen Beweismittel seien in Steuer- und Strafverfahren verwertbar. Die NRW-Steuerfahnder können nun mit dem Informanten über den Kauf der Steuer-CD verhandeln. Schäuble hofft, dass der Kauf zügig abgewickelt wird. Bund und Länder wollen das Honorar des Informanten von 2,5 Millionen Euro je zur Hälfte übernehmen./tb/lü/loh/DP/stb

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