
Adoption: Ians Eltern liessen ihn in Afrika – kriegt er je den Schweizer Pass?

Ian van Rooyen wurde 1977 in Bulawayo geboren – mitten im Bürgerkrieg im damaligen Rhodesien. Seine Eltern, ein junges Auslandschweizer-Paar, gaben ihn zur Adoption frei. Heute kämpft er um die Rückkehr in das Land seiner leiblichen Eltern. Doch das Gesetz steht ihm im Weg.
Rhodesien (heute Simbabwe), in den Siebzigerjahren. «Neben Südafrika die letzte weisse Bastion im südlichen Afrika, in der 270’000 Weisse über 5,8 Millionen Schwarze herrschen», schrieb der SpiegelExterner Link 1976. Laut der SRF-Rundschau aus dem Jahr 1978 lebten damals um die 660 Rhodesien-Schweizerinnen und -Schweizer im Land. Doch die Bastion bröckelte, ein Bürgerkrieg breitete sich aus.
Und inmitten dieses Tumults kamen ein zwanzigjähriger Auslandschweizer und eine siebzehnjährige Auslandschweizerin wegen eines Jobangebots ins Land. «Ich hatte gerade mal 200 Südafrikanische Rand dabei», sagt Christine* heute. Zu dieser Zeit waren das rund 500 Schweizer Franken. Ihre Grossmutter habe ihr noch Geld fürs Hochzeitskleid geschickt.
Christine – heute 66 Jahre alt – ist als Auslandschweizerin in Südafrika aufgewachsen, Hans* kam erst wenige Monate davor aus der Schweiz. Was damals und bis heute kaum jemand wusste: Die 17-jährige Christine wurde schwanger. Und im September 1977, als sich rundherum Krieg ausbreitete, brachte die junge Auslandschweizerin in der rhodesischen Stadt Bulawayo einen kleinen Buben zur Welt.
Zu jung für ein Kind
Doch das Paar fühlte sich zu jung, um sich um sein Kind zu kümmern. Die Zukunft im südlichen Afrika war ungewiss. Und so entschieden sie sich, ihren Sohn zur Adoption freizugeben. «Wir hatten kaum Geld und waren Vagabunden», erzählt Christine heute am Telefon. «Ich war mir sicher, dass es dem Jungen besser gehen würde, wenn er nicht bei uns bleibt.» Ihn abzugeben, sei schwer gewesen – niemand wusste davon, niemand konnte ihnen zur Seite stehen.
Das Kapitel blieb lange verschlossen. Die Vergangenheit wiegt für die leiblichen Eltern heute noch schwer. Darüber zu sprechen, sei aufwühlend und sehr emotional, sagt Christine.
Das junge Schweizer Paar zog kurz nach der Geburt des Kindes weiter nach Botswana, «auch um einer Einberufung ins rhodesische Militär zu entgehen», erklärt Christine. Das sei nicht ihr Krieg gewesen.

Nach zwei Jahren in Botswana zog das junge Ehepaar vorübergehend – das zumindest war der Plan – in die Schweiz. «Ich hätte nie gedacht, dass wir hierbleiben würden», sagt Christine. In der Schweiz bekam das Paar noch zwei weitere Kinder. Hier leben sie noch heute.
Der kleine Schweizer Junge blieb im damaligen Rhodesien und wurde mit sieben Monaten von einem rhodesischen Paar offiziell adoptiert. Er wuchs als Ian van Rooyen zusammen mit einer Adoptivschwester in einer christlichen Familie auf. Die Familie lebte anfangs in Rhodesien, später zog sie nach Südafrika, wo van Rooyen heute mit seiner Frau und den drei Kindern wohnt – darunter ein erwachsener Sohn mit einer seltenen neurologischen Erkrankung.
«Vermisst mich jemand?»
Der 48-jährige Südafrikaner sitzt nach Feierabend in seinem Büro im südafrikanischen Mbombela, einer Stadt in der Nähe der Grenze zu Mosambik, und erzählt seine Lebensgeschichte. «Es ist, wie es ist», sagt van Rooyen über die Wendungen in seinem Leben. Obwohl er immer gewusst hatte, dass er als Kind adoptiert wurde, verspürte er lange kein Bedürfnis, seine leiblichen Eltern zu suchen. Erst nach der Geburt seines dritten Kindes vor über sechs Jahren änderte sich das.
Ihm wurde bewusst, wie viel Liebe man für seine Kinder empfindet. «Ich dachte mir, wenn ich zu solchen Gefühlen fähig bin, dann könnten sie auch Teil meiner Herkunft sein», sagt van Rooyen. Vielleicht gäbe es irgendwo Eltern, die dasselbe für ihn empfinden würden. Er sollte Recht behalten.
Und so packte er die Suche nach seinen Wurzeln an. Vor eineinhalb Jahren schliesslich erhielt van Rooyen über eine Agentur die entscheidende E-Mail. «Sie hatten meine Eltern gefunden», sagt er. Über 46 Jahre nach seiner Geburt erhielt er Einblick in seine Geburtsurkunde und fand so heraus, dass seine leiblichen Eltern beide Schweizer Staatsangehörige sind und heute in der Schweiz leben.
Eine Woche später – Anfang 2024 – telefonierte van Rooyen das erste Mal mit seiner Mutter, zwei Monate später flog er von Südafrika in die Schweiz, um seine leiblichen Eltern und seine Geschwister kennenzulernen. Die erste Begegnung sei emotional gewesen, aber auch vorsichtig», erzählt er. «Für mich ist seine Rückkehr in mein Leben ein Geschenk», sagt seine leibliche Mutter. Sie hatte die Hoffnung längst aufgegeben, dass sie sich jemals finden würden.
Eine lang verdrängte Geschichte
Van Rooyen spricht bedacht über die Vergangenheit. Sein Auftauchen hat bei seiner leiblichen Familie nicht nur Glücksgefühle ausgelöst. Dafür hat er grosses Verständnis. Sein Glaube hilft ihm, diese Situation auszuhalten.
«Es ist für alle nicht einfach», gibt Christine zu. Sie möchte auch deshalb nicht, dass ihr richtiger Name in diesem Artikel erwähnt wird. «Ich habe unsere Geschichte lange verdrängt.» Zu gross wäre sonst der Schmerz über die Trennung von ihrem Erstgeborenen gewesen. Und so kommt es, dass selbst ihr jüngstes Kind nichts von seinem ältesten Bruder wusste.
Doch die Freude über das Wiederfinden ist bei den Eltern und van Rooyen gross. «Christine und Hans kommen uns regelmässig in Südafrika besuchen», sagt van Rooyen. Im Moment weilt sein leiblicher Vater in Südafrika – sie haben gemeinsam van Rooyens Geburtstag gefeiert.
Der Traum vom Leben in der Schweiz
Der 48-jährige Biomedizin-Technologe träumt jedoch davon, mit seiner Familie in die Schweiz zu ziehen. «Ich möchte näher bei Christine und Hans sein. Ich möchte ein Teil der Familie werden», sagt van Rooyen, der auch ein Theologiestudium abgeschlossen hat. «Mit Fernbeziehungen ist es immer das Gleiche, irgendwann verflüchtigen sie sich», sagt er. Und das wolle er vermeiden.
Gemeinsam mit seiner leiblichen Mutter hat er nun juristische Schritte eingeleitet, um die Schweizer Staatsbürgerschaft oder zumindest eine Aufenthaltsbewilligung zu bekommen. Die Hoffnung: Genau dieser Präzedenzfall wie jener von Cate Riley, über den Swissinfo kürzlich berichtete, könnte helfen.
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«Ich weiss, dass es nicht einfach ist, in der Schweiz eine Aufenthaltsbewilligung oder gar die Staatsbürgerschaft zu bekommen», sagt van Rooyen. «Aber ich glaube daran, dass es einen Weg gibt, wenn es sein soll.»
Doch kürzlich haben sich seine Hoffnungen zerschlagen. Eine Sitzung seiner Anwältin zusammen mit seiner leiblichen Mutter beim kantonalen Migrationsamt hat Tatsachen geschaffen. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt keine rechtliche Möglichkeit für ihn, die Schweizer Staatsbürgerschaft zu erlangen, hiess es dort. Dies soll in den nächsten Tagen auch so verfügt werden.
Die Tür bleibt verschlossen
«Wir kämpfen gegen das Gesetz», sagt Christine. Das Vorhaben ist aus mehreren Gründen schwierig: Erstens wurde die Geburt von van Rooyen nie einer Schweizer Behörde gemeldet und zweitens gab es damals nur Volladoptionen, wodurch die rechtlichen Verbindungen zu den leiblichen Eltern gekappt wurden, erklärt Christine.
Die Behörden können sich auch nicht auf einen vergleichbaren Fall berufen – auch nicht denjenigen von Cate Riley – das Gesetz war Anfang Siebzigerjahre anders. «Auch wenn Ian die ersten sieben Monate seines Lebens Schweizer war, es nützt trotzdem alles nichts», so van Rooyens Mutter. Er hat zwar seine Wurzeln gefunden, doch eine Zukunft in der Schweiz dürfte sich schwierig gestalten.
Denn, auch eine Aufenthaltsbewilligung zu bekommen, könnte herausfordernd werden. Als Drittstaatenbürger ohne spezifisch gefragten Beruf wird er wenig Chancen auf ein Einreisevisum haben. Dass er von Schweizer Eltern stammt, spielt dabei keine Rolle.
Van Rooyens Geschichte berührt – das Gesetz aber ändert das nicht. «Das Gesetz kennt offenbar keine Menschlichkeit», sagt Christine traurig. Van Rooyen trägt es mit Fassung und glaubt fest daran, dass irgendwo wieder eine andere Türe aufgehen wird. «Es ist wie es ist», sagt er.
Editiert von Balz Rigendinger.
Auszug aus der SRF-Rundschau von 1978:

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