
Kirschblüten – und plötzlich blüht alles immer früher

In den Städten blühen die Zierkirschen. Nun folgt der berühmte Wildbaum bei Liestal BL, doch dieser muss bald ersetzt werden.
Vielerorts explodiert derzeit der Frühling. Von heute auf morgen ist überall der weisse oder rosarote Blütenzauber von Zierkirschen zu beobachten. Kleine Plätze, Pärke oder Strassenränder werden kurzzeitig in ein prachtvolles Blütenmeer getaucht. Dagegen lässt sich der legendäre, wilde Kirschbaum am Waldrand von Liestal noch ein paar Tage mehr Zeit.
Doch auch er ist jetzt offiziell so weit. «Seit heute sind rund ein Viertel der Blüten aufgegangen», sagt Susanne Kaufmann aus Liestal. Die Biologin beobachtet im Moment jeden Tag mit einem Feldstecher, ab wann die Knospen offen sind und meldet ihr Ergebnis an Meteo Schweiz.
Denn der wilde Kirschbaum am Rand eines Waldes bei Liestal ist eine Legende. Er ist seit Jahrzehnten der historische Referenzbaum für den Blühbeginn im Frühling. Auffällig sei, dass sich der Klimawandel bemerkbar mache und auch die Wildkirsche in den vergangenen Jahren eindeutig immer früher blühe, sagt die Bio-Meteorologin Regula Gehrig von Meteo Schweiz. Er sei dieses Jahr zwei Wochen früher dran als im Durchschnitt der letzten 131 Jahre. So weit reicht die Beobachtungsreihe zurück.
Im Jahr 1894 begann Eduard Heinis mit den Aufzeichnungen der Aufblühdaten des am Waldrand stehenden wilden «Weideli»-Kirschbaums bei Liestal.
Denn der einstige Lehrer, Regierungsrat und spätere Gefängnisdirektor kaufte sich den Bauernhof Weideli oberhalb der Liestaler Burghalde.
«Er wählte wahrscheinlich einfach den Baum aus, den er durch das Küchenfenster sehen konnte», sagt die Biologin Susanne Kaufmann. Er habe davon abgeleitet, wann die Ernte der Tafelkirschen beginne.
In Liestal wird die Blüte des Kirschbaums seit 1894 dokumentiert – eine weltweit einzigartige Zeitreihe. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts diente dies den Bauern als Referenz, um den genauen Erntezeitpunkt zu berechnen.
«Die Bundesbahnen mussten damals rechtzeitig Lokomotiven, Wagen und Personal bereitstellen. Aber auch die Verlader benötigten Spankörbe, Lastwagen, Leute und Geld», erzählt Susanne Kaufmann.

Der berühmte Baum am Waldrand ist inzwischen jedoch in die Jahre gekommen. «Er blüht zwar noch regelmässig, sieht aber inzwischen fürchterlich aus», sagt Kaufmann. Denn seine Äste brechen ab und nur noch hoch oben in der Krone hat er Blüten.
Eigentlich sei es auch nicht mehr der ursprüngliche Baum von vor 131 Jahren. Weil dieser irgendwann mal abgestorben sei, habe man damals einen viel jüngeren Nachbarbaum auserkoren. Seit 1968 liefert der «Neue» jedes Jahr zuverlässig die Daten. Nun muss jedoch auch dieser demnächst ersetzt werden.
Erneut Nachfolger gesucht
«Vielleicht wird es dann der Kirschbaum nebenan, der aber regelmässig ein bis zwei Tage später blüht», sagt Susanne Kaufmann, die ihn bereits regelmässig im Visier hat. Parallel dazu wird derzeit auch versucht, den jetzigen Referenzbaum zu klonen.
Deshalb wurden letztes Jahr mit einer Hebebühne ganz oben Äste abgeschnitten und diese danach auf einen anderen, jungen Kirschbaum aufgepfropft.
Dadurch hätten die Triebe das genetische Material des alten Liestaler Baums. Der Neue würde dann am selben Ort wie der Alte ausgepflanzt.
Welche der beiden Methoden letztlich zum Zug kommt, ist aktuell noch offen. Wichtig sei vor allem, dass der Standort am Waldrand erhalten bliebe, sagt Regula Gehrig. Denn nirgendwo sonst werde so weit zurück die Blüte der Kirsche Jahr für Jahr protokolliert.
«Generell hat auch dieses Jahr in der Schweiz erneut alles viel früher zu blühen begonnen», sagt Regula Gehrig von Meteo Schweiz, aber nicht so extrem wie im Rekordjahr 2024.
Neben dem Kirschbaum mit sieben Tagen Vorsprung vor dem mittleren Datum von 1991 bis 2020 starteten etwa der Huflattich und das Buschwindröschen rund zwei Wochen eher in den Frühling als im Durchschnitt.
«Vor allem im Februar hatten wir dieses Jahr im Mittelland jedoch viel Hochnebel gehabt, weshalb beispielsweise die Kätzchen der Hasel jetzt nur 10 statt wie im letzten Jahr 19 Tage früher als im Durchschnitt von 1991 bis 2020 parat waren», sagt Gehrig.
Allgemein seien aber alle Wintermonate wärmer als normal gewesen, was deutliche Anzeichen für den Klimawandel seien.

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