Ludovico Antonio David: Ein aufmüpfiger Tessiner Maler in Rom
Der polemische und eklektische Tessiner Künstler Ludovico Antonio David griff in einem Traktat, das jahrhundertelang unveröffentlicht blieb, die römischen Kunstinstitutionen an. Im Mittelpunkt einer neuen kritischen Ausgabe stehen nun seine Figur und die seines Sohns Antonio.
Im barocken Rom, in dem die Macht durch die Kunst sprach, erschien ein Tessiner Künstler mit dem Pinsel in der einen und der Feder in der anderen Hand. Sein Name war Ludovico Antonio DavidExterner Link.
Er war eklektisch und brillant und wurde in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts im heutigen Kanton Tessin geboren. Heute fast vergessen, war er eine oszillierende Persönlichkeit zwischen Maler, Graveur und Kunsttheoretiker. Seine Geschichte – zusammen mit der seines Sohns Antonio – bietet einen überraschenden Querschnitt durch die Verbindung zwischen der Schweizer Kultur und der Hauptstadt des Christentums.
David war ein Mann seiner Zeit, jedoch kein Angepasster. In Venedig, wo er seine Karriere als Graveur begann, kam er mit der Tessiner Gemeinschaft in Kontakt, die das kulturelle und handwerkliche Leben der Serenissima belebte.
Hier machte er seinen Weg als Künstler und Intellektueller. Er war von einem Interesse geleitet, das über die Malerei hinausging: Er studierte Mathematik, Naturwissenschaften und Astronomie.
«Eklektisch», so definiert ihn heute Professor Luca Pezzuto, Dozent für künstlerische Literatur an der Universität L’Aquila. Zusammen mit Professorin Stefania Ventra bereitet er die erste kritische Ausgabe einer von Davids unveröffentlichten Abhandlungen vor. «Und polemisch», fügt er hinzu und unterstreicht damit den Unwillen des Tessiner Künstlers, sich den akademischen Regeln anzupassen.
Er war polemisch, weil er die Regeln nicht akzeptieren wollte. Er war misstrauisch gegenüber den Akademien und intolerant gegenüber hierarchischen Meister-Schüler-Beziehungen.
Sein Leben war eine ständige Auseinandersetzung mit Institutionen und Kollegen. Nach seinen venezianischen Jahren unternahm er ausgedehnte Reisen zwischen Mantua, Bologna und Parma, um die Grössen der Vergangenheit zu studieren und sie angesichts der Dominanz der von Vasari gefeierten toskanisch-römischen Schule neu zu bewerten.
David war ein nordischer Denker, der seinen lombardisch-schweizerischen kulturellen Wurzeln treu blieb und entschlossen war, der «Schule des Nordens» ihre Würde zurückzugeben.
In diesem Video stellt die Kunsthistorikerin Ilaria Sgarbozza die römischen Werke von Ludovico David vor (auf Italienisch):
Das Seilziehen mit der Accademia di San Luca
Als David gegen Ende des 17. Jahrhunderts in Rom ankam, schienen die Voraussetzungen gut: Er kannte einflussreiche Personen und stammte aus einem angesehenen Haus. Doch auch dort liessen die Unstimmigkeiten nicht lange auf sich warten. Ludovico Antonio David griff die Accademia di San Luca, das Herz der römischen Kunsterziehung, frontal an und warf ihr vor, die Wissenschaften und die Anwendung der Mathematik in der Malerei zu vernachlässigen.
Er wetterte gegen die übermässige Verwendung anatomischer Zeichnungen, den Raffael-Kult und die starre Tradition. Doch mit seiner Auffassung von Kunst als Synthese von Farbe, Perspektive und Geometrie geriet er bald ins Abseits.
«David wetterte gegen die blosse Nachahmung von Modellen und suchte nach einem wissenschaftlicheren und strengeren Ansatz für die Malerei», sagt Pezzuto.
Dennoch hinterliess David wichtige Spuren in Rom. Zwei seiner Gemälde, «Die Anbetung der Hirten» und «Die Anbetung der Heiligen Drei Könige», die 1691 von Prinz Giovanni Battista Pamphilj in Auftrag gegeben wurden, befinden sich noch heute in der Kirche Sant’Andrea al Quirinale.
Er arbeitete auch an der Kuppel der später zerstörten Kapelle des Collegio Clementino, wo er seine Theorien über die mathematische Perspektive anwandte. In der Kirche Santa Maria della Scala malte David in der Kapelle des Heiligen Joseph eine «Vermählung der Jungfrau», die lange Zeit seinem Sohn Antonio David zugeschrieben wurde.
Unter den Tessiner Künstlern, die ihre Spuren in der Ewigen Stadt hinterlassen haben, ist Francesco Borromini sicherlich der berühmteste:
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Das unveröffentlichte Traktat und seine Wiederentdeckung
Seine theoretische Ader hat David nie zur Seite gelegt. Er schrieb und überarbeitete Abhandlungen, von denen er viele nicht veröffentlichte. Sein Hauptwerk «All’amore dell’arte» ist ein umfangreiches Manuskript mit über dreihundert Abhandlungen, das bis heute unveröffentlicht geblieben ist.
Darin schildert er mit grimmiger Ironie die Irrtümer und Laster der römischen Akademie. Es zeigt einen Künstler im Kampf mit seiner Zeit, einen Intellektuellen aus dem Norden, der ins Herz des Klassizismus verpflanzt wurde und davon überzeugt war, dass die Wahrheit der Kunst nicht durch das Kopieren von Statuen, sondern durch das Studium der Natur, des Lichts und der Wissenschaft erlangt wird.
«Es handelt sich um einen Text, der uns nicht nur die Technik, sondern auch die römische Gesellschaft jener Zeit verstehen lässt», sagt Professorin Stefania Ventra, «und der detaillierte Hinweise auf Verträge, Aufträge und das tägliche Leben der Künstler enthält, mit einer sehr reichen Sprache, die Tessiner, lombardische, toskanische und römische Einflüsse vermischt».
Das Projekt der kritischen Edition von «All’amore dell’arte», das Pezzuto und Ventra durchgeführt haben, wird nun vom Archivio del Moderno der Università della Svizzera italiana unterstützt und soll demnächst bei Officina Libraria erscheinen.
«David ist eine aussergewöhnliche Quelle für die Rekonstruktion der Beziehungen zwischen Künstlern und römischen Mäzenen», fügt Pezzuto hinzu. «Die erste vollständige Transkription seiner Manuskripte ermöglicht es uns endlich, den Umfang seines Denkens zu verstehen.»
Trotz seiner brillanten Intelligenz gelang es Ludovico Antonio David nie, inneren Frieden zu finden oder die Anerkennung der Grossen zu erlangen. Er starb wahrscheinlich um 1716 fern von Rom, nach einem letzten Aufenthalt in Neapel und dann im deutsch-französischen Raum, wo er sich mit astronomischen Fragen und der Reform des gregorianischen Kalenders befasste.
Seine letzten schriftlichen Werke, darunter sein Traktat «Il Disinganno», mit dem er die Geschichte der italienischen Kunst revidieren wollte, indem er den Schwerpunkt von den zentralen Schulen zu denen des Nordens verlagerte, sind verloren gegangen.
Und hier beginnt der zweite Teil der Geschichte: die seines Sohns Antonio David.
Sohn Antonio begrub die Kontroversen seines Vaters
Im Gegensatz zu seinem Vater wurde Antonio nicht in der Schweiz, sondern in Rom geboren. Er lebte ganz in seinem Jahrhundert.
«Er ist ein europäischer Künstler des 18. Jahrhunderts, perfekt in seine Zeit integriert», sagt Ventra. «Während der Vater in die Vergangenheit blickte, bewegte sich der Sohn in der Gegenwart der Höfe und Akademien.»
Als geschätzter Porträtist arbeitete er für Adlige, Kardinäle und Päpste, und einige seiner Werke gelangten in die Fideikommiss-Sammlungen der grossen römischen Familien. Schon in jungen Jahren wurde er in päpstliche Kreise eingeführt – auch dank des Netzwerks seines Vaters – und seine Karriere verlief ohne Skandale oder Kontroversen.
«Antonio war in der Lage, das von seinem Vater geschaffene Netzwerk von Aufträgen zu konsolidieren, ohne sich selbst zu kompromittieren», sagt Ventra.
Antonio David war auf künstlerischer Ebene ein «Berufsmaler». Er schuf zahlreiche Werke und spezialisierte sich auf Porträts in Nahaufnahme mit scharf gezeichneten Gesichtern und detaillierter Kleidung, die jedoch nur wenig psychologische Introspektion aufweisen.
Die Qualität seiner Werke ist uneinheitlich – einige sind exzellent, andere eher konventionell –, aber sein Katalog, von dem ein Grossteil noch rekonstruiert werden muss, könnte einen grösseren Korpus offenbaren als heute bekannt ist.
Das im Staatsarchiv in Rom aufbewahrte testamentarische Inventar des Künstlers listet eine häusliche Sammlung von Gemälden und Kopien alter Meister auf, darunter auch Werke nordischer Künstler. Dies könnte ein Hinweis auf einen Geschmack sein, den er von seinem Vater geerbt hat.
Die kurioseste Hypothese, die von mehreren Gelehrten geteilt wird, ist, dass Antonio selbst einen Teil der polemischen Schriften seines Vaters verschwinden liess, um seine eigene Karriere zu schützen.
Als Sohn eines Rebellen arbeitete er unter den Erben jener Familien, die sein Vater in seinen Schriften öffentlich beleidigt hatte. Eine pragmatische Geste, die vielleicht unvermeidlich war, um in dem empfindlichen römischen Gleichgewicht jener Zeit zu überleben.
So geht die Geschichte der Davids in einer einzigen Generation vom Künstler, der gegen die Akademien kämpft, zum Künstler, der deren Privilegien lebt. Vom einsamen und visionären Theoretiker zum geschätzten, aber diskreten Profi. Es sind zwei gegensätzliche Schicksale, die durch dasselbe Tessiner Erbe verbunden sind. Dieses hat sich gewandelt, verbindet aber weiterhin die Kunst des Nordens mit dem Herzen Roms.
Heute kommen die Davids dank der gemeinsamen Arbeit italienischer und Schweizer Forschender wieder ans Licht. «Ludovico Antonio David war kein grosser Maler, aber ein grosser Zeitzeuge», sagt Pezzuto. «Und sein Sohn Antonio – stiller, aber nicht weniger interessant – vervollständigt das Porträt einer Familie, die von der Intelligenz und Mobilität der Tessiner Künstler geprägt war.»
Es ist eine Geschichte, die auch drei Jahrhunderte später noch von den Talenten und der Hartnäckigkeit jener Menschen erzählt, die von weither kamen, um sich in Rom Gehör zu verschaffen. Selbst um den Preis, sich mit allen anzulegen.
Editiert von Daniele Mariani, Übertragung aus dem Italienischen mithilfe von Deepl: Christian Raaflaub
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