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UNO-Militärbeobachter: Überleben lernen

Militärbeobachter müssen Gefahren erkennen können. swissinfo.ch

Das sonst friedliche Bergstädtchen Stans ist in eine Übungs-Kriegszone umgestaltet worden. Soldaten trainieren dort, wie man UNO-Militärbeobachter wird.

In der Ausbildung lernen die Soldaten alles – von Friedensvermittlung bis zum Überlebens-Training in einigen der feindseligsten Gegenden der Welt.

Auf einer Hügelkuppe, von wo aus eine Flugzeugfabrik und eine Landepiste zu überblicken sind, beobachten Soldaten Truppenbewegungen, Waffentransporte und Kampfjet-Einsätze über einer imaginären Waffenstillstands-Linie. Sie sind angehende Militärbeobachter der UNO, landläufig auch Blaumützen (“Blue Berets”) genannt.

Ihr Auftrag besteht in der Aufzeichnung von dem, was sie sehen, und im Bericht an die Kommando-Basis. Was die 17 lernenden Soldaten nicht wissen: Hoch über ihnen fliegt eine ferngesteuerte Drohne, die jede ihrer Bewegungen aufnimmt und festhält.

Ein Vorgeschmack der Wirklichkeit

Einer der Überwacher ist Major Christophe de Courten, der selbst als Militärbeobachter für die UNO (UNMO, United Nations Military Observer) in den Kriegsgebieten des ehemaligen Jugoslawiens im Einsatz stand. Zu swissinfo sagt de Courten, dass das Ausbildungsprogramm einen Vorgeschmack von dem geben soll, was Beobachter alles erwartet.

“In diesem Szenario fallen die Störfälle jede halbe Stunde an”, sagt de Courten weiter. “In den Golanhöhen hingegen ereignet sich die gleiche Anzahl innert eines halben Jahres.”

Dies ist nur eine der Vortäuschungs-Übungen, um das Können und die Reaktionen der Soldaten zu testen. Sie riskieren jedoch auch, während einer Entführung durch den Schlamm gezogen zu werden. Ausserdem erwarten sie an bewaffneten Checkpoints feindselige Befragungen.

Der Job der “Blue Berets” besteht im Überwachen von Waffenstillstands-Übereinkommen, in der Umsetzung von Friedensabkommen, im Vermitteln zwischen verfeindeten Parteien und im Verhindern einer Ausweitung von Konflikten. Oft werden die Blaumützen daher auch als “Augen und Ohren” des UNO-Sicherheitsrates bezeichnet.

Obschon sie unbewaffnet sind, werden sie oft Opfer von Gewalt.

Im Klassenzimmer

Derweil, zurück im Klassenzimmer, ist eine andere Soldatengruppe daran, an Attrapen Wiederbelebungs-Versuche zu üben. Militärbeobachter leisten ihre Einsätze oft in abgelegenen Gebieten, in denen jegliche Sanitäts-Infrastruktur zerstört worden ist.

Deshalb müssen sie gut bewandert in Grundanwendungen der Ersten Hilfe und in lebensrettenden Massnahmen sein.

Das weitgefächerte Angebot des diesjährigen geschlossenen UNMO-Kurses umfasst Lektionen in Patroullieren, Auskundschaften, Verhandeln, Funkverkehr, im Fahren und Reparieren von Fahrzeugen, dem Aufspüren von Minen und Überlebenstraining.

Während dem intensiven dreiwöchigen Kurs werden die Studierenden auch in Englisch und im Völkerrecht unterrichtet.

Schweizer im Vorteil

Ein Posten als Militärbeobachter gilt unter internationalen Berufssoldaten als guter Karriere-Schritt. Fünfzehn Profis sind im Stanser Kurs dabei, den sie automatisch bestehen.

Dagegen müssen sich die 17 Teilnehmer aus der Miliz-Armee der Schweiz immer wieder bewähren. Sie können auch aus dem Kurs ausgeschlossen werden, falls sie die Erwartungen nicht erfüllen.

Sie haben zwar wesentlich weniger Erfahrungen im Feld als ihre internationalen Kollegen. Jedoch bringen sie nützliches Wissen aus der Zivilgesellschaft mit.

“Die Schweizer haben alle möglichen Vorteile, die ein Profi-Offizier nicht besitzt”, meint Instruktor Roy Thomas, der in sieben verschiedenen UNO-Missionsgebieten im Einsatz stand.

“Sie sind sprachlich gut, können funken und sind sichere Fahrer.” Ein weiterer Vorteil ist laut Thomas, dass die Schweizer nicht autoritätsgläubig seien.

“Die Schweizer haben keine Angst, sich zu wehren, damit das Richtige in den Reports drin steht. Viele Karriere-Offiziere haben eher Angst, sich offen zu äussern.”

Ein gemeinsames Ziel

Blaumützen operieren oft auf gefährlichem Territorium. Normalerweise stehen sie für ein Jahr im Einsatz, meistens in unwirtlichen Gegenden, und bezahlen ihr Engagement unter Umständen auch mit dem Tod. So waren im Mai zwei Blaumützen während ihres Einsatzes in der Demokratischen Republik Kongo ums Leben gekommen.

Unter solchen Umständen fragt sich, was denn der Anreiz ist, sich zum Militär-Beobachter auszubilden?

“Wir Schweizer sind ja neutral. Dies ist eine gute Art, andere Länder zu unterstützen”, sagt Major Alam Alexis, im zivilen Leben IT-Berater, gegenüber swissinfo.

“Wir haben alle das gleiche Ziel: Einen dauernden Frieden zu erreichen”, ergänzt Major Dominik Knill, der schon als Militärbeobachter in Georgien im Einsatz stand.

Laut Oberst Christoph Brun, Kommandant des Trainingszentrums in Stans, werden die Beobachter je nach Eignung und Persönlichkeit an verschiedenen Orten eingesetzt – zwischen zwei und zwölf Monaten nach dem Training.

Doch Knill gibt zu bedenken, dass Training alleine nicht reiche, um aus einem Offizier einen guten Militärbeobachter zu machen. “Blaumützen dürfen keine Rambos sein. Es braucht eine gewisse Reife und Selbstsicherheit – etwas, das man sich über Jahre hinweg erarbeiten muss.”

Und er ergänzt: “Militärbeobachter müssen kommunizieren und verhandeln können. Und diese Fertigkeiten kann man nie genug üben.”

swissinfo, Julie Hunt, Stans

Angriffe auf UNO-Militärbeobachter:
Juni 2003: Zwei Blaumützen werden im Kongo entführt.
Juni 2003: Vier Militärbeobachter werden in Abchasien entführt. Die UNO weigert sich, ein Lösegeld zu bezahlen – die Geiseln wurden eine Woche später befreit.
Mai 2003: Zwei Beobachter werden im Kongo brutal ermordet.
April 2002: Militärbeobachter werden im Südlibanon mit Gewehrkolben geschlagen.

Zur Zeit sind 20 Offiziere der Schweizer Armee als Militärbeobachter in Georgien, Kongo und Äthiopien/Eritrea im Einsatz.

Eine neue Gruppe Blaumützen wird nun ausgebildet, um den Pool zu vergrössern.

Im dreiwöchigen Kurs lernen die Offiziere Patroullieren, Auskundschaften, Verhandeln, Funkverkehr, das Fahren und Reparieren von Fahrzeugen, das Aufspüren von Minen und absolvieren Überlebenstraining.

Militärbeobachter berichten direkt dem Büro des UNO-Generalsekretärs in New York. Ihre Beobachtungen sind die Basis der Entscheide des Sicherheitsrates; sie werden daher oft als “Augen und Ohren” des Sicherheitsrates bezeichnet.

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