Wie die Theatermaschinerie Humperdincks Märchenoper verzaubert
Schwebende Kinder und volle Einblicke hinter die Kulissen: Thom Luz zeigt am Opernhaus Zürich Engelbert Humperdincks Märchenoper "Hänsel und Gretel" nicht als Illusionstheater, sondern lässt die Theatermaschinerie zaubern.
(Keystone-SDA) Gut eine Woche nach Bern hatte die beliebte Märchenoper am Sonntag auch am Opernhaus Zürich Premiere. Die beiden Häuser wählten dabei unterschiedliche Konzepte: In Bern hat Regisseur und Bühnenbildner Raimund Orfeo Vogt eine inhaltliche Neuinterpretation inszeniert, in Zürich verzichtet man auf eine inhaltliche Deutung. In Bern wurde die Oper zum Traumspiel von Kindern, die im Kleiderkasten weggesperrt werden, in Zürich konzentrierte man sich auf Formales.
Luz hat in seiner ersten Operninszenierung nicht vor, das berühmte Märchen von «Hänsel und Gretel» als abgeschwächte Schauergeschichte stringent nachzuerzählen, so wie es im Libretto von Humperdincks Oper steht. Da gibt es keinen «richtigen» Wald mit bedrohlichen Bäumen, kein ärmliches Haus, von wo die Geschwister weggeschickt werden, kein Lebkuchen-Knusperhäuschen, an dem sich knabbern lässt.
Aber natürlich findet das alles auf der Bühne des Zürcher Opernhauses statt und noch einiges mehr, was das Theater an Zauberdingen bewerkstelligen kann. Da schweben Kinder vom Bühnenhimmel herunter, da flirren Schatten von Bäumen und Sträuchern vorbei und da baut sich ein riesenhaft-garstiges Hexenschloss auf, in dem sogar Wände zum Leben erwachen.
Zeigen, wie das Theater zaubern kann
Bei Luz kommt das aber ganz anders daher, als man sich das vom gängigen Illusionstheater gewohnt ist. Seine Inszenierung zeigt, wie das Theater zaubern kann, wie Kulissen verschoben und gedreht werden, wie die Kinder an Seilzügen befestigt werden, wie aus Schattenprojektionen ein Wald entstehen kann.
Die Theatermaschinerie solchermassen zu enttarnen, birgt natürlich die Gefahr, dass dem Zauber die Illusionskraft genommen wird. Ein erwachsenes Publikum kann Gefallen an solchen analogen Spielereien finden. Aber junge Zuschauerinnen und Zuschauer, die sich an computergenerierte Special Effects gewöhnt haben?
Den zahlreichen Kindern im Premierenpublikum schien dies nicht gross zu stören. Es wurde kräftig applaudiert, was sicherlich auch an der ansteckenden Spielfreude des Ensembles lag. Svetlina Stoyanova und Chrisitina Gansch als Hänsel und Gretel sowie Rosie Aldridge in der Doppelrolle als Mutter und Hexe überzeugten auch gesanglich.
Gefälligkeitsfalle umgangen
Bern oder Zürich? An beider Häusern bemüht man sich, nicht in die Gefälligkeitsfalle eines harmlos-oberflächlichen Märchenspiels zu tappen. Bahnbrechende Neuinterpretationen sind aber auf beiden Bühnen nicht zu erleben. Zur eingängigen Musik gibt es gute Unterhaltung. Mehr nicht, aber auch nicht weniger.
Das Operhaus Zürich hatte die Premiere live in rund zehn Kinos übertragen. Wie erfolgreich diese Aktion war, war am Premierenabend aber noch nicht in Erfahrung zu bringen