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“Sie gaben mir den Auftrag, den Folterraum zu säubern”

Ein ukrainischer Soldat zeigt einen der Räume, die angeblich als Gefängnis für ukrainische Soldaten und Zivilisten in Wowtschansk in der Region Charkiw im Nordosten der Ukraine genutzt wurden. Keystone / Oleg Petrasyuk

Der 16-jährige Ukrainer Vlad wurde im Frühjahr von der russischen Armee inhaftiert. Inzwischen ist er frei und wohlbehalten in der Schweiz. Im französischsprachigen Schweizer Radio RTS erzählte er von seiner Gefangenschaft.

Als Vlad im Mai aus den besetzten ukrainischen Gebieten fliehen wollte, hielt ihn die russische Armee an einem Checkpoint an und inhaftierte ihn.

Sein Vater Oleg berichtet, dass Vlad mit seinem Handy auf der Rückbank des Autos gesessen hatte. Der russische Offizier dachte deshalb, dass er gefilmt würde.

“Sagen Sie dem internationalen Genf, dass Kinder, darunter auch meines, von den Russen gefangen gehalten werden”, hatte Oleg daraufhin gerufen, weil er Angst hatte, dass sein Sohn gefoltert oder getötet werden könnte.

Nach drei Monaten Haft in einer zwei Quadratmeter grossen Zelle wurde der junge Ukrainer freigelassen. Eine grosse Erleichterung für seinen Vater, der in Saporischschja geblieben war, wo er für die Militärverwaltung des Bezirks zuständig ist.

Nach seiner Freilassung erzählte Vlad der Korrespondentin von RTS in der Ukraine, Maurine Mercier, von den Bedingungen während seiner Gefangenschaft. Warnung: Die folgende Erzählung enthält Aussagen, die schockieren können.

>> Die Sendung bei RTS (auf Französisch):

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“Dieser Geruch blutdurchtränkter Kleider verfolgt mich”

“Sie gaben mir die Aufgabe, den Folterraum zu reinigen. Ich habe immer noch diesen Geruch von nassen Kleidern voller Blut in der Nase, der mich verfolgt”, erzählt Vlad aus der sicheren Schweiz seinem Vater über den Bildschirm. Während seiner Erzählung holt er mehrmals tief Luft.

Was er durchgemacht hat, ist sehr anstrengend, aber er möchte Zeugnis ablegen aus Solidarität mit seinen Kameraden, die sich noch immer in Haft befinden.

Laut dem jungen Mann trafen jeden Tag neue Gefangene ein, jeweils 15 bis 20 ukrainische Militärs und Zivilisten. Die Zahl der von der russischen Armee gefangen gehaltenen Kinder ist unbekannt und schwankt zwischen Hunderten und Tausenden.

Ein 24-Jähriger, der “verrückt geworden” ist 

“Die Russen foltern sowohl Zivilisten als auch Soldaten mit brutalen Schlägen. Sie setzen ihnen auch Nadeln unter die Fingernägel, um ihnen anschliessend einen Stromschlag zu versetzen. Ich hatte grosse Angst, dass sie auch mich foltern würden”, erzählt Vlad.

“Ich werde nie diesen jungen Mann vergessen, einen 24-jährigen Zivilisten, den sie zwei Tage lang gefoltert haben. Sie zogen ihm die Hose aus und verpassten ihm Stromschläge an den Genitalien. Er wurde verrückt. Er konnte die Folter nicht mehr ertragen. Er beschloss, sich das Leben zu nehmen. Er wollte sich in der Zelle erhängen. Ich konnte ihn festhalten, aber dann nahm er eine Konservendose, um sich die Handgelenke aufzuschlitzen”, sagt Vlad, der nicht weiss, ob der junge Mann überlebt hat.

“Ich bekam ein Stück meines Herzens zurück”

“Als ich an einem anderen Tag in den Folterraum ging, um ihn zu reinigen, sah ich einen Mann, der angeschlossen an Kabel von der Decke hing. Unter ihm stand ein kleiner Eimer mit seinem Blut. Rechts von ihm sass ein russischer Militär und zeichnete seelenruhig seine Worte auf, völlig unbeeindruckt, als würde er das Normalste der Welt tun”, berichtet Vlad.

Le père de Vlad, Oleg Buryak, et ses deux enfants.
Oleg Buryak mit seinen beiden Kindern (rechts Vlad). RTS-SWI

Nach Angaben von Vlad waren die russischen Männer, die ihn festhielten, zwischen 20 und 50 Jahre alt und Tschetschenen aus Dagestan und Ossetien.

Eines Tages teilte ihm einer seiner Peiniger mit, dass er freigelassen werde. Die russische Armee hatte seinen Austausch gegen russische Gefangene in der Ukraine ausgehandelt.

Während Vlad erzählt, treten Tränen in die Augen seines Vaters. Er hat die gesamte Haftzeit seines Sohnes durchgehalten, aber jetzt kommt der Stress wieder hoch. “Als mein Sohn freigelassen wurde und ich ihn in meinen Armen halten konnte, fühlte es sich an, als ob ein aus meinem Herzen gerissenes Stück mir endlich zurückgegeben würde”, sagt er mit emotionaler Stimme.

Adaptiert aus dem Französischen von Sibilla Bondolfi

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