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Eine Schweizer Firma im Wettrennen um Satellitensysteme

Satellite
Ein Modell des Astrocast-Nanosatelliten: Ein Konzentrat aus miniaturisierter Technologie, das von Solarmodulen angetrieben wird. swissinfo.ch

Das Startup-Unternehmen Astrocast ist dabei, ein neues Kapitel in der Weltraumgeschichte aus Schweizer Sicht zu schreiben. Das junge Unternehmen aus dem Kanton Waadt ist der erste Schweizer Anbieter, der ein eigenes Nanosatelliten-Netzwerk betreiben wird. Das Netzwerk dient dazu, eine Telekommunikation und das Internet der Dinge dort zugänglich zu machen, wo eine Abdeckung über Mobilfunk nicht gewährleistet ist.

«Als wir ganz am Anfang unser Projekt in der Schweiz vorstellten, schauten uns die Leute wie Ausserirdische an», erinnert sich Fabien Jordan, Mitbegründer und Geschäftsführer von AstrocastExterner Link. Warum? «Die Leute verstanden nicht, warum eine kleine Waadtländer Firma Dutzende von Miniatur-Satelliten in den Weltraum schicken wollte», so der Firmenchef.

Doch im Lauf von wenigen Jahren hat das in der Nähe von Lausanne gelegene Unternehmen seine Skeptiker überzeugt. Mehr noch: Es gelang der Firma, eine erste Tranche an Finanzierungen aufzutreiben, eine Zusammenarbeit mit den besten Hochschulen der Schweiz aufzugleisen, sich die Unterstützung der Europäischen Weltraumorganisation, von Airbus und weiteren Partnern zu sichern. Vor allem aber: Die ersten beiden Nanosatelliten wurden im Weltraum stationiert.

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Fabien Jordan, CEO von Astrocast. swissinfo.ch

Die mit diesen beiden Satelliten ausgeführten Tests waren erfolgreich. Nächstes Jahr werden 20 weitere Nanosatelliten folgen: 10 werden mit indischen Abschussrampen in den Weltraum katapultiert, 10 weitere von der französischen Gesellschaft Arianespace. Bis 2023 sollte Astrocast über ein Netzwerk von 80 Nanosatelliten im Weltraum verfügen – in einem Abstand von zirka 500 Kilometern von der Erde. Diese Satelliten können untereinander kommunizieren und praktisch innerhalb weniger Minuten jeden Winkel der Erde erreichen.

Stark wachsender Markt

Die Schweiz war bereits an mehreren Weltraum-Missionen beteiligt. Die Zusammenarbeit betraf in der Regel Spitzentechnologie, Sondermaterialien oder andere wissenschaftliche Hilfsmittel.  Astrocast ist das erste Schweizer Unternehmen, das komplette Satelliten fertigt und ein eigenes Netzwerk im Weltraum betreiben wird. Aber was ist der Nutzen dieser ersten Weltraum-Flotte «Made in Switzerland?»

«Auch heute noch deckt die Mobilfunktechnik kaum 10 Prozent der Erdoberfläche ab. Diese Technologie ist in dicht besiedelten Regionen präsent, in denen Mobilfunknetze für Telefonbetreiber rentabel sind. Im restlichen Teil der Welt – Gebieten mit geringer Bevölkerungsdichte, Wüsten, Berge, Ozeane – können Daten nur über Satelliten übertragen werden», erklärt Fabien Jordan. «Nanosatelliten sind unsere Infrastruktur, um das Internet der Dinge überall zugänglich zu machen, das heisst um Millionen von Objekten auf der ganzen Welt zu verbinden.»

Astrocast hat ein Kommunikationsmodul von der Grösse einer Streichholzschachtel entwickelt, das in jedes Objekt auf der Erde integriert werden kann, und es ermöglicht, kostengünstige Informationen an Satelliten zu senden. Der Markt boomt. Unter den Interessenten für diese Satellitenverbindungen befinden sich Unternehmen, die Infrastrukturen aller Art in abgelegenen Regionen der Welt betreiben: Wasser- und Energieversorgung, Schiffe, Lastwagen und schwere Maschinen, Sensor-Netzwerke und Rettungssysteme.

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Vielfalt von Anwendungen

«Einer unserer Partner ist zum Beispiel ein Schweizer Unternehmen, das Wasserfilteranlagen in Afrika herstellt und betreibt. Diese Anlagen befinden sich oft in entlegenen Regionen ohne Mobilfunkverbindung, so dass es nicht möglich ist zu wissen, wie viel Wasser gefiltert wurde und welche Wartungsarbeiten erforderlich sind. Mit unserem Modul werden diese Informationen via Satellit übertragen; und ein Techniker wird erst dann vor Ort geschickt, wenn es wirklich notwendig ist», sagt Fabien Jordan.

Die Satellitenverbindung eignet sich auch zur Überwachung von Containern, die per Schiff, Lastwagen oder per Bahn transportiert werden. Die Spediteure wollen wissen, wo sich ihre Container befinden, ob sie geöffnet wurden oder ob die Innentemperatur stabil ist. Zu den mobilen Infrastrukturen gehören etwa auch Bojen, die mittels Sensoren zum Beispiel die Präsenz von Thunfisch-Beständen in den Ozeanen erfassen können.  Durch die Übertragung dieser Informationen über Satellit an die Fischereiboote werden Kraftstoffverbrauch und CO2-Emissionen reduziert.

Länder wie die Schweiz sind kein prioritärer Markt für Astrocast. Aber gleichwohl sind Einsatzgebiete denkbar, weil es alpine Bergregionen gibt, die nicht von Mobilfunknetzen abgedeckt werden. «Wir arbeiten zum Beispiel mit MeteoSchweiz für deren Messstationen in den Bergen zusammen; oder mit einem Unternehmen, das ein Überwachungssystem für Hochspannungs-Masten entwickelt hat. Im Alpengebiet gibt es auch Anwendungen für Steinschlagschutznetze: Fällt ein Stein ins Netz, wird ein Signal an die Überwachungsstation gesendet», ergänzt der Astrocast-Geschäftsführer.

Neues Wettrennen ins All

Der technologische Fortschritt und der wachsende Bedarf an Telekommunikation haben den Wettlauf ins All wieder in Gang gebracht. Innerhalb weniger Jahre werden sich mehrere Tausend kleine, mittlere und grosse Satelliten zu den mehr als 2000 in Betrieb befindlichen Satelliten gesellen, die im letzten halben Jahrhundert in die Umlaufbahn gebracht wurden. Sie werden hauptsächlich für militärische Zwecke, Erdbeobachtung (Meteorologie und Fotografie) und Telekommunikation (Satellitennavigation, Telefonie, Internet) eingesetzt.

Fabien Jordan fürchtet sich nicht vor Konkurrenz durch grosse Satellitenbetreiber wie SpaceX oder OneWeb. «Im Bereich der Telekommunikation decken diese ganz anderen Märkte ab. Sie zielen vor allem darauf, Unternehmen und Privatpersonen auf der ganzen Welt Breitband-Internet für die Übertragung grosser Datenmengen und zu viel höheren Preisen zur Verfügung zu stellen. Wir befinden uns in einem kostengünstigen Marktsegment mit wesentlich agileren Miniatur-Satelliten.»

Caméra de laboratoire
Nanosatelliten werden bei Astrocast zahlreichen Tests unterzogen, das gilt auch für diese Schwerelosigkeits-Kamera. swissinfo.ch

Mit Investitionen von Hunderten von Millionen oder Milliarden Franken benötigen Grosssatelliten lange Entwicklungszeiten und sind so konzipiert, dass sie viele Jahre im Orbit bleiben. Der Produktionspreis eines Astrocast Nanosatelliten liegt dagegen bei rund 200’000 Franken, zu denen 250’000 Franken für das Einbringen in die Umlaufbahn hinzukommen.

Die Flotte wird alle 3 bis 4 Jahre erneuert, um stets die neuesten Technologien und die beste Leistung anbieten zu können. Die stillgelegten Nanosatelliten werden mit einer Geschwindigkeit von 26’000 km/h  in die Atmosphäre entlassen. Sie werden verdunsten, ohne Rückstände im Weltraum zu hinterlassen.

Extreme Bedingungen

Die Firma Astrocast wurde von fünf Wissenschaftlern gegründet, die bereits am SwissCube-Projekt beteiligt waren, dem ersten Schweizer Nanosatelliten, der von der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne entwickelt wurde, um Studenten die Raumfahrttechnologie näher zu bringen. 2009 wurde dieser Nanosatellit in eine Umlaufbahn gebracht. Das Waadtländer Start-up Astrocast beschäftigt rund vierzig Mitarbeitende, die sich auf ein Dutzend unterschiedliche Fachgebiete spezialisiert haben, darunter Elektronik, Ingenieurwesen, Mechanik, Wärmelehre, Informatik und Hochfrequenz.

«Es war für uns eine grosse Herausforderung, Talente aus so unterschiedlichen Disziplinen zusammenzubringen. In vielen Bereichen gab es in der Schweiz bereits Leute mit diesen Kompetenzen, aber in einigen Fällen mussten wir uns ausserhalb des Landes nach Spezialisten umsehen. Uns fehlten vor allem Fachleute für das Betreiben von Nanosatelliten: Es gibt eben kein Unternehmen in der Schweiz, das so etwas macht», sagt Fabien Jordan.

Bevor die Nanosatelliten in die Umlaufbahn gebracht werden, werden sie auf dem Firmengelände von Astrocast zahlreichen Tests unterworfen, um die Bedingungen im Weltraum zu simulieren. Zum Beispiel, um zu prüfen, ob sie den Vibrationen beim Start der Raketen oder den Auswirkungen von kosmischer Strahlung und Temperaturschwankungen im Orbit standhalten. In eineinhalb Stunden umrunden die Nanosatelliten die Erde: Eine Stunde lang sind sie der Sonne bei Temperaturen von bis zu 60 Grad ausgesetzt und eine halbe Stunde bewegen sie sich bei minus 40 Grad.

Fabien Jordan ist überzeugt, dass er sich mit seinem Spezialistenteam zusehends dem Wettbewerb stellen kann: «Unser Ziel ist es, bis 2024 mindestens 7 Millionen Objekte zu verbinden. Wir waren die ersten, die sich mit Satellitenverbindungen für das Internet der Dinge beschäftigt haben, und heute gibt es weltweit ein gutes Dutzend Unternehmen, die versuchen, dasselbe zu tun. Wir denken, dass es in diesem Markt Platz für drei oder vier Unternehmen haben wird, aber wir sind mit unserer Technologie klar führend und wir haben alle Karten in der Hand, um uns als Nummer eins zu etablieren.»

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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