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“Börsenkrieg” zwischen Brüssel und Bern – darum geht es

Nestlé, Roche, Novartis & Co.: Ab Montag können Aktien von Unternehmen, die an der Schweizer Börse kotiert sind, nicht mehr in der EU gehandelt werden. Dies, weil Brüssel die Börsenäquivalenz mit der Schweiz per 30. Juni auslaufen lässt. Die Schweiz reagiert mit Gegenmassnahmen: Schweizer Aktien dürfen ab 1. Juli nur noch an Börsen in der Schweiz gehandelt werden, nicht mehr innerhalb der EU.

Wie du mir, so ich dir: Dies die Strategie der Schweizer Regierung nach der Nicht-Verlängerung der Gleichbehandlung der Schweizer Börse mit EU-Börsen. Auf Fachchinesisch wird diese Gleichbehandlung Börsenäquivalenz genannt.

Herrscht ab 1. Juli jetzt “Börsenkrieg” zwischen Brüssel und Bern? Stellungskrieg käme der Sache schon näher. Aber der Reihe nach.

Was genau ist Börsenäquivalenz?

Damit anerkennt die EU die Börsengesetze des Nicht-Mitglieds Schweiz. Wie sie die Börsengesetze etwa der USA oder Australiens anerkennt. Wichtiger Zusatz: Unbefristet anerkennt. 2017 hatte Brüssel die Börsenäquivalenz der Schweiz in ein einjähriges Provisorium umgewandelt. Ende 2018 wurde dies um ein halbes Jahr verlängert.

Die Börsen dieser Länder sind jetzt auf gleicher Stufe wie jene der EU-Staaten. Investoren und Wertschriftenhändler aus der EU können also an der Schweizer Börse Aktien kaufen. Wie sie dies an den Börsen in New York oder Sidney tun können.

Was bedeutet das – vorläufige – Ende der Börsenäquivalenz?

Für die Händlerinnen und Händler in der EU fällt der Börsenplatz Schweiz weg. Sie dürfen Schweizer Aktien zwar nach wie vor kaufen und verkaufen, aber nicht mehr an den Schweizer Börsen. Andernfalls machen sie sich strafbar.

An Schweizer Börsen sorgen EU-Händler für über die Hälfte der erzielten Umsätze. Das sind also keine Peanuts.

Was sind die Gegenmassnahmen der Schweiz?

Wer uns aussperrt, den sperren auch wir aus: Dies ist der Grundsatz der von Bern aktivierten Gegenmassnahmen.

Bern kehrt den Spiess gegen die EU um: Ab Montag ist der Handel mit Schweizer Titeln an Börsen innerhalb der EU untersagt. Massnahme und Gegenmassnahme heben sich so gegenseitig auf und die Wirkung der Aufhebung der Börsenäquivalenz verpufft mehr oder weniger wirkungslos.

Wer gegen die Schweizer Bestimmungen verstösst, riskiert eine Strafanzeige oder gar Gefängnis. Die Pattsituation besteht also auch bei der Drohkulisse.

Wie gross ist der Anteil der Schweizer Aktien, die in der EU gehandelt werden?

An den Börsen im EU-Raum wird rund ein Drittel des Handelsvolumens der Schweizer Aktien gehandelt, so die Nachrichtenagentur Reuters Thomson. Also auch hier keine Peanuts.

Das Ziel der Gegenmassnahmen

Die Schweiz will dieses Handelsvolumen auf die Schweizer Börse umlenken. Gleichzeitig ist dieser Anteil das Pfand für die Forderung, dass Aktien von Schweizer Unternehmen wieder an EU-Börsen gehandelt werden können. Denn nur das ist das Ziel des Bundesrats.

Wieso lässt die EU die Börsenäquivalenz überhaupt auslaufen?

Brüssel lässt die Muskeln spielen, weil die Schweizer Regierung das institutionelle Rahmenabkommen mit der EU auch nach Abschluss der viereinhalbjährigen Verhandlungen noch nicht unterzeichnen will. Zur Erinnerung: Der Wunsch der EU, des wichtigsten Handelspartners der Schweizer Exportindustrie, nach einem solchen Rahmenvertrag mit der Schweiz datiert aus dem Jahr 2008.

Wieso will die EU das Rahmenabkommen?

Um mit dem “Flickenteppich” der bilateralen Abkommen aufzuräumen: Die Schweiz ist mit 120 Einzelabkommen an die EU assoziiert. Mit dem Rahmenabkommen würde sie die laufenden Änderungen am Regelwerk des europäischen Binnenmarktes gewissermassen automatisch übernehmen.

Wie weiter?

Das Patt kann theoretisch länger dauern. Aber sowohl Brüssel wie Bern sind zumindest verbal bemüht, die Türen nicht ganz zuschlagen, sondern signalisieren Gesprächsbereitschaft. Ein Fenster für Bewegung bietet sich Bern Ende Oktober, wenn die EU-Kommission neu besetzt wird. Aber alles andere als eine Unterschrift unter den Rahmenvertrag dürfte Brüssel auch dann nicht goutieren. 

Denn mit der Nicht-Erneuerung der provisorisch erteilten Börsenäquivalenz hat Brüssel Bern die gelbe Karte gezeigt – wegen Spielverzögerung. In dieser Partie macht nicht die Fifa die Regeln, sondern Brüssel.

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