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Gender-Fragen erfassen Privatbanken nur langsam

Two women and a man in a lift
Auf dem Weg nach oben? Trotz Geschlechterquoten bleibt die Unternehmenslandschaft in der Schweiz bei der Frauenquote weit hinter den Nachbarländern zurück. Keystone / Martin Ruetschi

Die traditionsreichen Schweizer Privatbanken sind ein konservatives Refugium in der Finanzwelt. Doch auch sie mussten sich in den letzten Jahren an Veränderungen anpassen: Die Globalisierung und der Druck zu mehr Transparenz versetzten die Branche in eine Art "Rebranding-Modus". Dennoch öffnen diese Banken ihre Teppichetagen für Frauen nur langsam.

Die Schweizer Banken mussten sich vom Bankgeheimnis verabschieden und ihre Tätigkeiten globaler ausrichten. Zugleich sehen sie sich als Drehscheibe für eine nachhaltige Finanzwirtschaft. Doch in Sachen Gender-Gerechtigkeit befindet sich die Branche noch in dichtem Nebel.

Zwar sind auf 1. Januar 2021 auf Grund eines neuen GesetzesExterner Link Geschlechterquoten in Verwaltungsräten und Geschäftsleitungen eingeführt worden. Demnach müssen mindestens 30% der Verwaltungsräte und 20% der Geschäftsleitungen von Frauen besetzt sein. Gleichwohl bleibt die Schweiz hinsichtlich der Frauenvertretung in Unternehmungen weit hinter ihren Nachbarländern zurück.

In einer kürzlich publizierten StudieExterner Link, die den Anteil von Frauen in Führungspositionen in börsenkotierten Unternehmen europäischer Länder untersuchte, rangiert die Schweiz am unteren Ende der Rangliste (Position 16 von 19), und keines der 20 im Swiss Market Index SMI gelisteten Unternehmen wird von einer weiblichen CEO geführt.

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Dafür gibt es Gründe. Die Mindestquoten wurden nicht verbindlich eingeführt und es sind keine Sanktionen für den Fall vorgesehen, dass die Quoten nicht eingehalten werden. Zudem wurden für die Erreichung der Quoten unterschiedliche und langjährige Fristen festgelegt.

Konservative Branche

Dass sich Gender-Fragen noch nicht durchgesetzt haben, illustriert das folgende Beispiel: Als ein Kommunikationsverantwortlicher einer mittelgrossen Genfer Privatbank kürzlich in einem Telefoninterview auf die Geschlechtervielfalt in seinem Unternehmen angesprochen wurde, erläuterte er verschiedene Arten von Anlagestrategien. Die Journalistin musste ihn dann daran erinnern, dass es bei der Frage um die gleichberechtigte Vertretung der Geschlechter im Finanzinstitut ging, nicht um geschlechtsspezifische Anlagestrategien.

“Eine sehr konservative Unternehmenskultur zieht diese Art von konservativ denkenden Personen an”, meint Anina Cristina HilleExterner Link, Wirtschaftsdozentin und Diversity-Expertin an der Hochschule Luzern. Dies erkläre, warum es gewissen Unternehmen nicht gelinge, Frauen in ihre Führungsetagen zu bringen.

Laut der Finanznachrichtenagentur AWP sind bei elf Genfer Privatbanken, bei denen die Kaderpositionen traditionell von männlichen Mitgliedern einiger weniger Gründerfamilien besetzt waren, immer noch weniger als 10%Externer Link  der Spitzenmandate in der Hand von Frauen – sprich Teilhaberinnen, Verwaltungsrätinnen oder Mitglieder der Generaldirektion. Es existiert kein internationaler Vergleich mit ähnlichen Banken in Finanzzentren wie London oder Luxemburg.

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Bei den Privatbanken BordierExterner Link, GonetExterner Link und HeritageExterner Link gibt es beispielsweise keine einzige Frau in der Geschäftsführung oder im oberen Management. Keine dieser Banken war bereit, auf Fragen von swissinfo.ch zu antworten.

Veraltete Mentalität

In der gesamten Bankenbranche sind die Nachteile und Hürden für Frauen nach wie vor hoch. Oft ist es aber auch eine veraltete Mentalität oder das jeweilige Arbeitsumfeld, das Frauen von Führungspositionen abschreckt.

“Die Privatbanken kennen diese Geschichte, in denen die Teilhabe an die Söhne und Enkel weitergegeben wurden”, sagt Nathalie FontanetExterner Link, Finanzdirektorin der Genfer Kantonsregierung.  Und ergänzt: “Aber wir müssen am Rollenverständnis der Frauen arbeiten, genauso wie am Vertrauen, das auf sie gesetzt wird, um zu zeigen, dass Frauen diese Rollen genauso wie Männer übernehmen können.”

Fontanet war vor ihrem Einstieg in die Politik in der Finanzbranche tätig. Sie setzt sich seit langem für ein Gesetz zur Geschlechtergleichheit und gegen Diskriminierung ein, um den Anteil von Frauen in Verwaltungsräten von öffentlichen Unternehmen und Stiftungen zu erhöhen.

Nach Auffassung von Christèle Hiss Holliger, Leiterin der weltweiten Personalabteilung bei der Genfer Vermögensverwaltung und Privatbank PictetExterner Link, braucht der Prozess zur Erhöhung des Frauenanteils bei den Schweizer Privatbanken “Zeit und Überzeugung”. Als sie selbst 2016 die erste weibliche equity partner der Bank wurde, sah sie dies als ermutigendes Zeichen für die Verbesserung der Geschlechtergleichheit in ihrer Branche.

Simone Stebler, Beraterin bei der Personalberatung Egon ZehnderExterner Link in Zürich, verweist auf den Faktor Familie. Neben den hohen Kosten für eine externe Kinderbetreuung in der Schweiz halte auch eine traditionelle Mentalität, wonach sich zuerst die Mütter um die Kinder zu kümmern hätten, Frauen von einer beruflichen Karriereplanung ab. Zudem fehle es an Flexibilität in Bezug auf den Beschäftigungsgrad. Anders gesagt: Es gebe zu wenig Teilzeitstellen in Kaderpositionen und keine Alternativen zur Vollzeitbeschäftigung.

Bis anhin begnügten sich Frauen oft mit Positionen im mittleren oder unteren Management der Banken. “Diese Denkweise muss sich ändern”, sagt Stebler. Und fügt an: “Frauen erscheinen eher zögerlich, wenn es darum geht, Verantwortung an der Front zu übernehmen, das heisst wenn man Zeit mit Kunden und Kundinnen verbringen und mit diesen auch mal auswärts essen gehen muss.” Dann kämen Zweifel dieser Art auf: “Werde ich genug Kunden akquirieren können, kann und will ich das überhaupt tun?”

Stebler ist überzeugt, dass eine zielgerichtete Politik helfen würde, den Frauenanteil in dieser Branche zu erhöhen und die Geschlechtervielfalt zu verbessern: “Dieses Thema muss ganzheitlich angegangen werden, denn es gibt keine schnelle Lösung.”

Ein langsamer Wandel?

Bei einigen Banken ist jedoch Bewegung in das Thema gekommen. Im Jahr 2021 wurde Elif Aktug bei Pictet, der viertgrössten Schweizer Vermögensverwaltungsbank, zur ersten weiblichen Managing Partnerin und damit zur geschäftsführenden Gesellschafterin ernannt. Aktug wurde in diese Position befördert, nachdem sie die europäische Aktienstrategie der Bank im Wert von 2,5 Milliarden Euro geleitet hatte. Sie sprach vor kurzem auf einem Gender-Panel bei der Konferenz Building BridgesExterner Link, die vom Bankensektor, den Vereinten Nationen und anderen internationalen Gruppen zur Förderung eines nachhaltigen Finanzwesens organisiert worden war.

Als Mitbegründerin des Pictet-Frauennetzwerks betonte sie die Wichtigkeit, die Erfahrungen von Frauen am Arbeitsplatz in die Diskussionen einzubringen, “um Fortschritte zu erzielen”. Nur eine Handvoll Männer nahm übrigens an der Podiumsdiskussion teil, was die Teilnehmenden bedauerten. Denn es spiegelt die Tatsache, dass solche Diskussionen bei den männlichen Entscheidungsträgern nach wie vor kaum Beachtung finden.

Auf die Frage von swissinfo.ch, wann ihrer Meinung nach die nächste Frau als Partnerin in die Bank eintreten werde, antwortete Aktug mit einem Lächeln und einer gewissen Ironie: “Ich hoffe, in weniger als 216 Jahren!” Die 1805 gegründete Bank wurde bisher von insgesamt nur 45 Teilhabern geführt, darunter die derzeitigen acht.

Personalchefin Hiss Holliger betont ihrerseits, die Bank Pictet habe die Rahmenbedingung für Frauen deutlich verbessert. So seien Mitarbeitergespräche über Vielfalt und Integration, Unterstützung von Elternschaft und flexible Arbeitszeiten eingeführt worden.

Im Jahr 2021 habe die Bank mit 45% einen so hohen Frauenanteil wie nie zuvor bei Neuanstellungen verzeichnen können. Die Zahlen für den Frauenanteil im Topmanagement nannte sie nicht. “Wir haben positive Diskriminierung in Betracht gezogen, weil wir wirklich mehr Vielfalt erreichen wollen. Und wir stellen uns immer Fragen, wenn es keine oder kaum Frauen unter den Bewerber:innen gibt. Das gilt auch für interne Bewerbungen und interne Stellenwechsel. Alle unsere Partner sind in dieser Hinsicht sehr aktiv,” so Hiss Holliger.

Auch andere Genfer Privatbanken beginnen, ihre Türen für Frauen zu öffnen. Doch der Prozess verläuft langsam.  Seit 2017 hat Lombard Odier eine weibliche Teilhaberin, Annika Falkengren. Sie stiess zu einem Gremium von fünf Männern. Bei Mirabaud, einem weiteren altehrwürdigen Finanzinstitut, ist Camille Vial eine von vier geschäftsführenden Partnerinnen der Bank. Ihre Ernennung erfolgte 2012.

Frauen als Feigenblatt?

Das Bestreben nach Veränderung wird indes auch darauf zurückgeführt, dass die Kunden und Kundinnen die Banken zu mehr Vielfalt drängen. Mehrere Studien haben zudem aufgezeigt, dass eine bessere Vertretung der Geschlechter zu mehr Innovation und besseren Firmenergebnissen führt.

Einige Experten vertreten jedoch die Meinung, dass die Präsenz von Frauen im Finanzwesen – wie auch anderswo – teilweise nur als Feigenblatt genutzt wird, um sich nach aussen besser und zeitgemässer präsentieren zu können.

Neil Tredennick, Bankenspezialist bei Lotus Partners in Genf, stellt seinerseits aber einen “sehr starken Trend” bei Privatbanken fest, weibliche Mitarbeiterinnen zu finden. Er erhalte Anfragen, eine ausschliesslich weibliche Auswahl von Bewerberinnen für eine bestimmte Stelle zu finden, oder zumindest die klare Aufforderung, dass unter den Bewerbenden Frauen sein müssen.

“Die Banken haben klare Ziele, die sie in Bezug auf die Erhöhung des Frauenanteils erreichen müssen, und in einigen Fällen könnte das bedeuten, dass sie den Frauenanteil bei Neueinstellungen um 40% erhöhen”, sagt Tredennick.

Die Teilnehmer:innen der erwähnten Podiumsdiskussion “Building Bridges” wiesen auf die Wichtigkeit hin, dass die Schweizer Finanzbranche sich als Drehscheibe für nachhaltige Investitionen profiliere. In diesem Zusammenhang müsse die Geschlechtergerechtigkeit nicht nur bei Einstellungen, sondern auch bei der Anlageberatung zum Tragen kommen.

In der Zwischenzeit warnen die Personalverantwortlichen die Banken vor einer “Schlacht” um die besten Bewerberinnen. “Diversität ist eine Realität, aber Inklusion ist eine Entscheidung”, sagte Simone Stebler von Egon Zehnder.

All diejenigen Finanzinstitute, die sich nur langsam an diese Realität anpassen, könnten für ihr Zaudern einen hohen Preis bezahlen. “Die Banken müssen ihren Mitarbeitenden, Männern wie Frauen, das bieten, was sie verlangen. Sonst riskieren sie, Personal zu verlieren”, meint Tredinnick. Am Horizont zeichne sich ein Personalmangel, ein Mangel an qualifizierten Bewerbungen sowie ein rasanter Anstieg der Löhne ab.

(Übertragung aus dem Englischen: Gerhard Lob)

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