Jacques Bourgeois, der unermüdliche Verteidiger der Landwirtschaft, tritt ab
Jacques Bourgeois hört auf. In diesem Herbst wird er seinen Sitz im Nationalrat räumen, nach 16 Jahren. Der Freiburger Abgeordnete verkörpert die Agrarlobby, aber auch eine bestimmte Art, Politik zu machen.
Jacques Bourgeois kennt sich in den Winkeln des Parlamentsgebäudes aus. Schon vor mehr als sechzehn Jahren, als Direktor des Schweizerischen Bauernverbandes (SBV), schritt er regelmässig durch die Wandelhalle des Bundeshauses, um Beziehungen zu pflegen und die Stärke der Agrarlobby auszuspielen. 2007 dann fand er sich selbst im Plenarsaal wieder, als Bundesparlamentarier.
«Am Tag der Vereidigung war ich gerührt», sagte er in «Profil», einer Freiburger Zeitung mit liberaler Gesinnung, anlässlich seiner ersten 100 Tage als Vertreter der FDP des Kantons Fribourg in der grossen Kammer. Er fügte jedoch an: «Ich habe kaum Eingewöhnungszeit gebraucht».
Als Mann der Tat reichte der Freiburger umgehend zwei Interpellationen beim Bundesrat ein. Damit konnte er zwar nicht die Welt verändern – es ging um die Verfolgung von Lebensmittelbetrug und die Situation der Elektroinstallateure, die sich durch die europäische Konkurrenz bedroht sahen –, aber er konnte seinen Ruf festigen.
Sechzehn Jahre später, im Mai 2023, ist Jacques Bourgeois immer noch guter Dinge: Im Herbst wird er anlässlich der Erneuerung des Parlaments seinen Sitz im Nationalrat räumen. «Natürlich gibt es ein lachendes und ein weinendes Auge. Aber wenn ich eine Entscheidung treffe, kann ich sie nicht rückgängig machen, denn sie ist wohl überlegt.
Ich muss aber sagen, dass es eine Ehre und ein Privileg war, all die Jahre im Nationalrat sitzen zu dürfen. Wir können unseren Beitrag leisten und die Dossiers, die uns am Herzen liegen, vorantreiben. Aber wie das Sprichwort sagt: ‹Dienen und verschwinden›. Nach 16 Jahren habe ich das Gefühl, dass ich mein Bestes gegeben und die Erwartungen meiner Wählerinnen und Wähler erfüllt habe.»
Ein Mann vom Land
Obwohl sich Jacques Bourgeois während seiner politischen Karriere in vielen Bereichen engagierte, blieb die Verbundenheit mit der Landwirtschaft sein Markenzeichen. Er war der wichtigste Vermittler der Bäuer:innen im Parlament und hat nie aufgehört, sich für seine Klientel einzusetzen.
Das ist nicht ungewöhnlich für den Sohn eines Landwirts, der über eine Ausbildung als Agraringenieur verfügt und während seiner gesamten beruflichen Laufbahn die Interessen der verschiedenen Akteure der Branche vertreten hat. Zunächst im Verband Schweizerischer Gemüseproduzenten, dann im Bauernverband (SBV), dessen Leitung er von 2002 bis 2020 innehatte.
Der Bürger von Avry-sur-Matran hat zahlreiche Kämpfe geführt. So hat er seine Energie in ein halbes Dutzend Überarbeitungen der Agrarpolitik investiert (für die es einen Revisionszyklus von 4 Jahren gibt), darunter die letzte, AP22+, die der Nationalrat im März verabschiedet hat.
Ganz zu schweigen von den der Landwirtschaft gewidmeten Budgets, die ständig korrigiert werden mussten. «Als er Bundesrat war, sagte Ueli Maurer einmal zu mir: ‹Wir schlagen vor, zu kürzen, weil wir wegen der Schuldenbremse ein ausgeglichenes Budget brauchen. Aber wir wissen, dass ihr hinterher korrigieren werdet.› Das ist zwar nett gemeint, aber es erfordert immer viel Überzeugungsarbeit, um den Kurs noch zu korrigieren», erzählt Bourgeois.
Ein geschätzter Gegner
Im Parlament loben selbst seine politischen Gegner:innen die Zusammenarbeit mit dem 65-Jährigen: «Ich habe die Arbeit mit Jacques Bourgeois in der Finanzkommission und der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (UREK) sehr geschätzt. Unsere Diskussionen waren immer geprägt von gegenseitigem Respekt und dem Bestreben, Lösungen zu finden, auch wenn wir nicht die gleiche Meinung hatten», sagt die Freiburger SP-Nationalrätin Ursula Schneider Schüttel.
Pierre-André Page, Landwirt und Abgeordneter der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei, einer Partei, die für eine konventionell produzierende Landwirtschaft eintritt, nennt Bourgeois einen «sehr präzisen Mann». «Er kann zwischen den Zeilen lesen und das Element finden, das sich negativ auf die Landwirtschaft hätte auswirken können. Er ist sehr gut organisiert. Wir waren nicht immer einer Meinung, aber die Diskussion und die Verhandlungen hatten immer Vorrang.»
Roger Nordmann, Präsident der sozialdemokratischen Fraktion im Parlament und ebenfalls Mitglied der UREK, die von Jacques Bourgeois geleitet wird, sagt: «Er ist sehr kompetent und immer gut vorbereitet. Er ist ein hervorragender Kommissionspräsident, der die Debatte reifen lassen kann, aber auch weiss, wann die Frucht reif ist, und wann abgestimmt werden muss. Er hat eine sehr positive Rolle bei der Vorbereitung des Klimagesetzes gespielt. Insbesondere war er es, der die Idee hatte, das CO2-Gesetz in einem separaten Text zu fassen. Wenn man mit ihm verhandelt, ist er furchteinflössend. Aber wenn er einmal eine Einigung erzielt hat, verteidigt er sie fair».
Ein Apologet der konventionellen Landwirtschaft
Inhaltlich hingegen hat Jacques Bourgeois während seiner Amtszeit in Bern die Interessenvertretung der konventionellen Landwirtschaft verkörpert und damit die Kritik der Befürworter:innen einer nachhaltigeren Bodenbewirtschaftung provoziert.
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Es ist ihm auch nicht gelungen, die in den letzten Jahren zunehmenden Spannungen in der Landwirtschaft abzubauen, die ihren Höhepunkt am 13. Juni 2021 erreichten, als über zwei Initiativen zum Verbot von Pestiziden abgestimmt wurde.
«Die Gesamtentwicklung der Schweizer Landwirtschaft während der politischen Tätigkeit von Herrn Bourgeois ist besorgniserregend», meint beispielsweise Rudi Berli, Gemüsebauer in Genf und Gewerkschaftssekretär bei Uniterre, der Schweizer Bauernorganisation.
«Der Preisdruck auf den Märkten und der Rückzug der staatlichen Politik aus der Marktregulierung haben in dieser Zeit zum Verschwinden von 15’000 Bauernhöfen geführt. Die verbleibenden Höfe haben ihre Produktivität gesteigert. Diese Entwicklung wirkt sich stark auf die Umwelt und die Arbeitsbedingungen aus.»
Wie stark war die Schweizer Agrarlobby in Bundesbern? Während die Landwirte etwa 2 % der Schweizer Bevölkerung ausmachen, sind 6,5 % der Parlamentarier:innen von Beruf Landwirt:innen (gemäss den Zahlen von 2019).
Im internationalen Vergleich entspricht dies dem Niveau in Deutschland oder Frankreich, die allerdings andere politische Systeme haben. Laut dem europäischen Nachrichtenmagazin euroactiv.fr ist die Landwirtschaft gleich nach dem Gesundheitswesen der Sektor, in dem die meisten Lobbyist:innen tätig sind.
Nicht immer im Einklang mit seiner Partei
Und in der Schweiz hat Jacques Bourgeois viel zum Lobbyig des Agrarsektors beigetragen. Markus Ritter, Nationalrat der Mitte und Präsident des Schweizerischen Bauernverbandes, betont, dass der Dachverband Bourgeois insbesondere den Ausbau der Zweigstelle in Bern und seinen starken Einfluss bei der Entwicklung von Massnahmen zugunsten der Bauernfamilien zu verdanken hat.
«Seine Fähigkeit, Allianzen zu schmieden, sein Engagement, eine Sensibilität für die Bauern und Bäuerinnen in seine Partei zu bringen, und sein pragmatischer Sinn für Lösungen werden der bäuerlichen Welt fehlen», sagt er.
Pierre-André Page weist darauf hin, dass Bourgeois «nicht gezögert hat, mehrmals der Verteidigung der Landwirtschaft statt der seiner Partei zu folgen», und so der SVP geholfen hat, bestimmte Dossiers voranzutreiben.
Der Landwirt und Waadtländer SVP-Nationalrat Jacques Nicolet teilt die Meinung seines Kollegen, bedauert aber, dass es Bourgeois nicht gelungen ist, den Einfluss, den er auf seine Fraktion, die FDP, in Bezug auf landwirtschaftliche Themen hatte, konstant beizubehalten.
«Dadurch haben wir einige wichtige Abstimmungen verloren, insbesondere wurden 10’000 Hektaren gutes Agrarland zur Biodiversität verurteilt», stellt er fest.
Ein Liebhaber der Berge
Jacques Bourgeois freut sich nun darauf, wieder mehr Zeit für sich und seine Frau, seine beiden Kinder und seine beiden Enkelkinder zu haben. «Ich hatte nicht viel Zeit für sie. Ich war zu 200 % in meine beruflichen und politischen Pflichten eingebunden.» Als begeisterter Freizeitsportler trat er kürzlich dem Stiftungsrat der Schweizer Berghilfe als Vizepräsident bei.
«Das ist reine Freiwilligenarbeit. Ich bin im Winter mit Fellen in den Bergen unterwegs und im Sommer mit dem Fahrrad. Dabei kann ich jedes Mal die wunderschönen Landschaften bewundern, mit denen wir gesegnet sind. Sport war für mich schon immer ein Ausgleich. Manchmal habe ich mir meine Stirnlampe von der Patrouille des Glaciers geschnappt und bin in der dunklen Nacht mit dem Fahrrad losgefahren, weil ich Sauerstoff brauchte. Hinterher war ich viel effizienter».
Editiert von Samuel Jaberg, aus dem Französischen übertragen von Marc Leutenegger.
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