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Der Kommunismus in einem kleinen Staat mitten in Europa

Wahlkundgebung der Kommunistischen Partei der Schweiz in Zürich im Jahr 1926.
Wahlkundgebung der Kommunistischen Partei der Schweiz in Zürich im Jahr 1926. Schweizerisches Sozialarchiv

Vor hundert Jahren wurden in vielen Ländern der Welt Sektionen der Kommunistischen Partei gegründet. In der Schweiz wurde die KP nie gross, doch sie spielte in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens eine wichtige Rolle innerhalb der Kommunistischen Internationale. Interview mit der Historikerin Brigitte Studer.

Im März 1921 wurde die Kommunistische Partei der Schweiz gegründet. Sie entstand aus dem Zusammenschluss einer unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg gebildeten kommunistischen Gruppe und dem linken Flügel der Schweizerischen Sozialistischen Partei. Die KPS erhielt vor allem in Städten der Deutschschweiz Zulauf und hatte wenig Einfluss auf die nationale Politik – ausser vielleicht als Schreckgespenst für den weit verbreiteten Antikommunismus.

Doch dank der persönlichen Beziehungen der kommunistischen Führer zu Vertretern des internationalen Kommunismus, aber auch auf Grund der geopolitischen Position der Schweiz im Ersten Weltkrieg, spielte die KPS dennoch eine wichtige Rolle innerhalb der Komintern. Die Geschichte der KPS zeig auch, meint die Historikerin Brigitte Studer, dass die Schweiz den grossen europäischen politischen Bewegungen nicht fremd war, sondern in deren Mittelpunkt stand.

SWI swissinfo.ch: Aus welchem Kontext heraus ist die KPS 1921 entstanden?

Brigitte Studer: Im Ersten Weltkrieg gab es auch in der Schweiz die starke Vorstellung, dass mit dem Ende des Krieges eine neue Gesellschaft, eine fundamentale Änderung kommen musste. Der Krieg war schrecklich, auch in der Schweiz verarmte die Arbeiterschaft. Es gab eine hohe Teuerung und die Löhne stiegen nicht. Viele Männer waren an die Front beordert worden und der Lohnersatz war kümmerlich klein.

Zudem war die Schweiz im Ersten Weltkrieg ein Zentrum der Radikalisierung der Opposition gegen den Krieg. Das Land war neutral, deswegen konnten sich viele ausländische Revolutionäre im Land aufhalten, so auch die russischen.

Wie wichtig war die Anwesenheit von ausländischen Revolutionären in der Schweiz für die Gründung der KPS?

Der Austausch mit russischen Revolutionären wie Lenin, Grigory Zinoviev oder Inessa Armand, die alle in der Schweiz waren, hat sicher eine Rolle gespielt. Aber es gab auch in der Schweiz radikale Köpfe, zum Beispiel Fritz BrupbacherExterner Link, der Zürcher Arzt, der einen grossen Einfluss auf Willi MünzenbergExterner Link hatte, der der sozialistischen Jugend vorstand, die für die Gründung der KPS wichtig werden sollte.

Bereits im März 1915 fand in Bern die Internationale Konferenz sozialistischer Frauen gegen den Krieg  statt, im April berief Münzenberg eine internationale Jugendkonferenz in Bern ein, und in ZimmerwaldExterner Link und KientalExterner Link fanden die zwei zentralen Konferenzen statt, die sich gegen den Krieg und das kapitalistische System richteten.

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Aus welchen sozialen Schichten kamen die Gründer der Partei?

Die Mitglieder waren vor allem Facharbeiter, darunter waren viele Stadt- und Staatsangestellte wie Arbeiter der öffentlichen Verkehrsbetriebe. Mit der Zeit kamen auch Partei- und Gewerkschaftsangestellte hinzu. Bei den Kadern gab es aber auch etliche Vertreter von bürgerlichen Berufen, der erste Präsident der KPS war beispielsweise Rechtsanwalt. Was in der Schweiz im Unterschied zu anderen Ländern völlig fehlte, war die Bauernschaft. Der KPS ist es nie gelungen, in diesem Milieu Fuss zu fassen.

Warum?

Die Struktur der Landwirtschaft in der Schweiz spielte sicher eine grosse Rolle. Es gab keinen Grossgrundbesitz und relativ wenig Pächter. Die meisten Bauern besassen ihren eigenen Boden. Und das politische Terrain war schon vom Schweizerischen Bauernverband besetzt.

Welche Rolle spielten die Frauen in der KPS?

Am Anfang waren 15% der Mitglieder weiblich. Das war viel, wenn man bedenkt, dass Frauen in der Schweiz kein Stimmrecht hatten. Auch im Vergleich war das beeindruckend: So waren in der KP Frankreich in den 1920er Jahren nur an die 4% der Mitglieder Frauen.

In der Schweiz gab es frühere Frauenorganisationen, die das Gros der Aktivistinnen und auch der Kader geliefert haben, darunter wichtige Figuren wie Rosa BlochExterner Link oder Rosa GrimmExterner Link. Der Anteil Frauen in der KPS sank aber mit der Zeit.

Brigitte Studer, emeritierte Professorin für Zeitgeschichte der Universität Bern.
Brigitte Studer ist emeritierte Professorin für Zeitgeschichte an der Universität Bern. Eine ihrer jüngsten Publikationen ist der Geschichte der Kommunistischen Internationale gewidmet: Reisende der Weltrevolution, Eine Globalgeschichte der Kommunistischen Internationale. Universität Bern / Vera Knöpfel

Aus welchen Gründen?

Das hat mit der Entwicklung der Partei zu tun. Anfänglich war die KPS noch sehr sozialdemokratisch geprägt, in der zweiten Hälfte der 1920er wurde die Partei in der Orientierung an der Sowjetunion und mit der von der Komintern propagierten Sozialfaschismusthese, die die Sozialdemokratie als “Zwillingsbruder” des Faschismus anprangerte, viel militanter. Und da hatten die Frauen weniger Raum, zumal sie mit dem Übergang von den Strassenzellen zu den Betriebszellen, das heisst von einer territorialen Organisation der Partei hin zu einer Fokussierung auf die Betriebsarbeiter, marginalisiert wurden. Im Zuge der Bolschewisierung verlor die Partei Interesse an den Hausfrauen und den Nicht-Proletarierinnen.

Dennoch engagierten sich die Kommunisten für das Frauenstimmrecht…

Ja, die KPS war eine der aktiven Kräfte. Sie lancierte auch Initiativen auf kantonaler Ebene, zum Beispiel 1927 in Basel. Auf nationaler Ebene kam es zu keiner Volksinitiative zum Frauenstimmrecht. Bei den wenigen Initiativen auf kantonaler Ebene waren entweder die KPS und später die Partei der ArbeitExterner Link die treibende Kraft oder dann in Genf die Schweizerische Vereinigung für das Frauenstimmrecht.

Auf nationaler Ebene blieb die KPS aber politisch eher marginal.

Nach ihrer Gründung hatte die KPS etwa 6500 Mitglieder, was auch im Vergleich mit der Sozialdemokratischen Partei relativ viel war. Doch die Partei war nur in wenigen Regionen verankert, vor allem in Zürich, Basel und Schaffhausen. In Basel erreichte sie einen Wähleranteil von bis zu 19%, in der Stadt Schaffhausen sogar 26%. Auf nationaler Ebene erhielt sie in den 1920er-Jahren nie mehr als 2% der Wählerstimmen.

Welche Rolle spielten die Schweizer Kommunisten in der Kommunistischen Internationale?

Die KPS lieferte der internationalen Organisation viele Kader, auch weil man für sie in der Schweiz keine richtige Verwendung fand. Der bekannteste ist Jules Humbert-DrozExterner Link, der 1921 ins Sekretariat und 1926 ins Präsidium des Exekutivskomitees der Komintern gewählt wurde. Mit der Zeit aber geriet die KPS immer mehr in den Hintergrund, bis sie Ende der 1920er-Jahre in Opposition zur politischen Linie der Komintern stand, was eine scharfe Reaktion zur Folge hatte. Schliesslich wurde die ganze Parteileitung ersetzt, um die KPS zu disziplinieren.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland wurde die Schweiz erneut zum Rückzugsort für viele Kader der Kommunistischen Partei Deutschlands und auch der Komintern. Sie blieben aber meistens nicht lange, weil die Kleinräumigkeit des Landes und die polizeiliche Repression den Aufenthalt erschwerten.

Doch die Schweiz war eine wichtige Drehscheibe für kommunistische Publikationen und diente dazu, den KPD-Besitz vor dem Zugriff der Nationalsozialisten zu bewahren. Die KPS ermöglichte auch den Transit der freiwilligen Spanienkämpfer aus Österreich und anderen Ländern nach Frankreich. Der Handlungsspielraum der KPS wurde aber immer mehr von der antikommunistischen Gesetzgebung eingeschränkt.

Woher rührte dieser Antikommunismus?

Der Antikommunismus war in der Schweiz schon früh präsent, verstärkte sich aber mit dem Generalstreik von 1918. Diese Ablehnung war überall im Land und bei den Behörden spürbar und wurde auch von der Sozialdemokratie geteilt. Die Ideologie war so dominant, dass die Schweiz bis nach dem Zweiten Weltkrieg keine diplomatischen Beziehungen mit der Sowjetunion schloss, obwohl die Wirtschaft eigentlich gerne Handelsbeziehungen gehabt hätte.

Paradigmatisch war der Conradi-Prozess: Der Schweizer Moritz Conradi, dessen Familie St. Petersburg nach der Revolution verlassen musste, erschoss 1923 den sowjetischen Diplomaten Wazlaw Worowski. die Schweizer Richter sprachen ihn aber frei – weil man den Mord als Reaktion auf die “unerhörten Gewalttaten und Beraubungen” verstand.

Conradis Verteidiger war Théodore Aubert, Gründer der antikommunistischen Organisation Entente Internationale contre la IIIe Internationale. Die Schweiz war nicht nur für den Kommunismus ein internationales Zentrum, sondern auch für antikommunistische Netzwerke, die den Antikommunismus in der Schweiz wiederum anheizten. Diese Stimmung führte in den 1930er-Jahren zu einer Reihe von antikommunistischen Gesetzen, die 1940 im Verbot der KPS kulminierten.

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