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“Wir sehen es als Verbrechen, was man mit Tieren macht”

Box mit Petitionsunterschriften
Momentan ist im Parlament eine Petition hängig, die ebenfalls eine Forschung ohne Tierversuche fordert. Keystone / Peter Schneider

Renato Werndli erklärt in Interview, weshalb er sich im Komitee der Initiative "Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot" engagiert. Und wie eine Schweiz ohne solche Versuche aussehen würde.

Am 13. Februar stimmt die Schweiz über ein totales Versuchsverbot an Tier und Mensch ab. Würde die Initiative angenommen, wäre die Schweiz weltweit das erste Land mit solch weitreichenden Bestimmungen.

Renato Werndli ist Gründungsmitglied der Tierschutzorganisation „Ärztinnen und Ärzte für Tierschutz in der MedizinExterner Link“ und Mitbegründer der ersten veganen Arzt-Praxis in der Schweiz. Er setzt sich seit Jahrzehnten für Tierrechtsfragen ein.

swissinfo.ch: Herr Werndli, Bundesrat und Parlament empfehlen die Vorlage ohne Gegenstimme zur Ablehnung. Weshalb konnten sie die Politik nicht von Ihrem Anliegen überzeugen?

Renato Werndli: Tierrechtsfragen sind leider in der Politik eine unwichtige Sache und das Thema Tierversuche ist halt kontrovers. Wir hatten auch keine Gelegenheit, unsere Argumente vorzubringen, aber wir hoffen das jetzt während der Abstimmungskampagne verstärkt machen zu können.

Auch von der Forschung und selbst von Tierschutzorganisationen wurde die Initiative als zu extrem bezeichnet. Wie erklären Sie sich, dass es so eine breite Front gibt gegen die Initiative?

Bei der Forschung ist es eigentlich verständlich, obwohl es letztlich nur um eine einzige Forschungsmethode geht, die wir verbieten möchten. Unzählige andere wären natürlich nicht verboten. Die Forschung ist praktisch nicht eingeschränkt. Von den Tierrechtsorganisationen hingegen sind schon einige auf unserer Seite.

Renato Werndli
Renato Werndli zVg

Für manche ist unsere Haltung vielleicht zu konsequent, aber es ist nicht extrem, jegliche Tierversuche verbieten zu wollen. Wir sehen es als Verbrechen, was man mit Tieren macht. Und Verbrechen kann man nicht einfach nur einschränken, sondern die muss man gänzlich verbieten.

Die Experimente würden dann einfach ins Ausland verlagert, ist ein oft gehörtes Argument. Was sagen Sie dazu?

Das glauben wir nicht. Die Forschenden, die diese Versuche machen, sind ja nicht nur wegen der Forschungsmethode der Tierversuche hier, sondern sie leben auch aus anderen Gründen in der Schweiz. Und was die Forschung selbst angeht, glaube ich nicht, dass die einfach ins Ausland verlegt werden kann.

Zudem muss man sagen: Wenn man so argumentiert, dann könnte man gar nichts mehr abschaffen. Denken Sie nur an die Kinderarbeit, die war früher auch in der Schweiz erlaubt und wurde dann verboten. Da hätte man auch sagen können: “Jetzt geht die Produktion ins Ausland.” Aber es gibt grundlegende ethische Gründe, das zu riskieren, auch wenn ich nicht glaube, dass ins Ausland ausgelagert würde.

Was könnten Alternativen zu Tierversuchen sein?

Wir sind davon überzeugt, dass Tierversuche nicht nur ethisch, sondern auch wissenschaftlich schlecht sind. Wir können das auch belegen, mit über 80 Studien von sogenannten Metaforschenden. Das sind Forschende, die verschiedene Forschungsmethoden miteinander vergleichen. Und die zeigen auf, dass der Tierversuch eine unsichere und dadurch eine schlechte Forschungsmethode ist: Sie ist schlecht reproduzierbar, weil Tiere mit ihrer Psyche und ihren Emotionen als Messinstrumente, als die sie ja im Tierversuch missbraucht werden, instabil sind.

Die wichtigste Alternative sind Biochip, wo man Zell-, Gewebs- und Organ-Kulturen in Miniaturform herstellt – wichtig ist dabei, dass es sich um menschliche Kulturen handelt – an denen man Forschung betreiben kann, ohne dass da Emotionen oder die Psyche involviert sind. Aber jede andere Forschungsmethode kann verwendet werden: Computersimulationen, epidemiologische Studien oder bildgebende Verfahren wie Röntgen, MRI können zum Erkenntnisgewinnen bei Medikamenten oder bei diagnostischen Methoden führen.

Wieso haben Sie auch die Menschenversuche in die Initiative gepackt und sich nicht auf die Tierversuche konzentriert?

Von uns aus gesehen sind Menschenversuche gefährlich, auch für die Menschen, die sich da zur Verfügung stellen. Es ist vielen nicht bewusst, dass heute in der klinischen Phase immer Menschenversuche gemacht werden – meistens an jungen, gesunden Männern, die keine anderen Erkrankungen haben, die das Ergebnis beeinflussen könnten.

Es gibt eine Studie von Metaforschenden die zeigt, dass 95% aller Medikamente, die im Tierversuch erfolgreich waren, später beim Menschen nicht funktionieren und auch nicht auf den Markt kommen – auch weil später Nebenwirkungen rauskommen können. Es ist wirklich bedenklich, dass man das an gesunden Menschen prüft. Man darf die Vertrauensseligkeit vieler Menschen nicht zur Forschung ausnutzen.

Wir möchten diese Menschen schützen. Die sind sich nicht bewusst, dass sie da ein gefährliches Spiel mitspielen, dass immerhin 95% der Medikamente danach nicht funktionieren.

Da die Initiative auch die Einfuhr von Produkten verböte, wenn für diese weiterhin Versuche an Mensch und Tier durchgeführt werden, könnten unter anderem Medikamente nicht mehr importiert werden. Wie könnte dieses Problem gelöst werden?

Das wäre kein Problem, denn wenn eine Mehrheit am 13. Februar die Initiative annähme und damit aussagte, dass Tierversuche wissenschaftlich schlecht sind, könnte man diese Bevölkerung nicht mehr mit Medikamenten versorgen, die im Ausland ungenügend getestet wurden.

Die Schweiz würde aber auch ihre internationalen Verpflichtungen nicht mehr wahrnehmen können, ist ein Kritikpunkt gegen die Initiative.

Viele sagen, dass die Handelsverträge ein Problem werden könnten, insbesondere WTO-Verträge, die die Schweiz unterschrieben hat. Bei den WTO-Regeln gibt es einen Artikel, der genehmigte Ausnahmen vorsieht, wenn die öffentliche Moral beeinträchtigt ist. Beispielsweise darf man Robbenfelle nicht mehr in die Schweiz einführen, eben weil die öffentliche Moral das so will.

Ein anderes Beispiel: Die EU erlaubt keine Importe mehr von Kosmetika, die an Tieren getestet worden sind. Auch dort konnte die WTO offenbar mit der EU etwas vereinbaren. Ein Importverbot wäre in dem Fall meines Erachtens gerechtfertigt.

Wenn gewisse medizinische Produkte nicht mehr erhältlich wären, bestünde dann nicht die Gefahr eines Medizintourismus ins Ausland, den sich vor allem besser Verdienende leisten könnten?

Wir gehen umgekehrt von einem Medizintourismus in die Schweiz aus, und zwar genau deshalb, weil sich herumsprechen würde, dass wir die beste Forschung haben, die Medikamente nicht mehr mit der schlechten Methode der Tierversuche testet.

Die Schweiz hätte bei Annahme der Initiative und einem totalen Versuchsverbot eine weltweit einzigartige Stellung.

Genau. Uns geht es darum, ein Signal zu senden. Wir sind ja nur ein Promille der ganzen Erdbevölkerung. Obwohl wir so klein sind, hätte das natürlich eine immense Signalwirkung.

Es gab bisher schon mehrere Anläufe, Tierversuche mittels Initiativen einzuschränken oder zu verbieten. Was rechnen Sie sich dieses Mal für Chancen aus?

Das Verhältnis zu den Tieren hat sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt, die Gesellschaft diskutiert das Thema von einer ganz anderen Warte aus. Wir hoffen natürlich sehr, dass sich das auch im Abstimmungsresultat ausdrückt und hoffen insgeheim auf einen Abstimmungssieg.

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